Geschichten:Die Samen Argareths – Ein Baum im Walde
Dorf Holzschlag, Baronie Zackenberg, Anfang Rondra 1046 BF
Salix von Hardenstatt saß im Wohnzimmer seines Hauses. Eben jenes, das über einen mächtigen Kamin verfügte, über den beeindruckende Jagdtrophäen hingen und altertümliche Armbrüste die Wand zierten. Er hatte nicht viel an der Einrichtung geändert, seitdem er der neue Edle geworden war. Die Stühle allerdings waren allesamt wesentlich bequemeren gewichen. Mit weichen Polstern überzogen und die Rückenlehnen waren nicht im 90° Winkel angebracht worden. Schon bei dem Gedanken an die alten Stühle zog es ihm im Rücken.
Er genoss die Stille hier, etwas was er auf Burg Trollwacht nicht hatte. Immer war von irgendwo irgendwer oder irgendwas zu vernehmen. Hier hatte er das ganze Haus für sich, seine Soldknechte verbrachten ihre Zeit lieber unter sich und auch die Dorfbewohner behelligten ihren Herrn nicht. Immerhin hatten der Edle und seine Untergebenen die unausgesprochene Abmachung, dass man sich gegenseitig so weit in Ruhe ließ, wie es nur irgendwie ging. Eigentlich würde es die fünf Soldknechte auch gar nicht brauchen, zumindest nicht, um hier für Ordnung zu sorgen. Sie waren eher zum Schutz des Dorfs vor wilden Tieren da.
Oder eben, um ihren Herrn zu begleiten, wenn dieser Abgaben an den nahen Baronshof bringen musste. Wie beispielsweise das Bannergeld, welches morgen von den Freien Holzens entrichtet werden würde. Zumindest von einer Handvoll, wie Salix bereits durch den vorangegangenen Götterlauf wusste.
Unwillkürlich ging des Adligen Blick aus dem nahen Fenster gen Firun. Es war ihm fast so, als hätte er seinen Namen vernommen. Überrascht stand er auf und schritt in die Richtung, von wo er das Flüstern zu hören geglaubt hatte, verharrte jedoch einen Moment. Da war noch etwas, was seine Aufmerksamkeit beanspruchte. Er drehte sich um und blickte auf den Tisch, wo er seine Tasche abgelegt hatte. Ein Kribbeln durchfuhr ihn und er streckte langsam seine Hand aus.
Instinktiv fanden seine Finger die kleine Box, welche nach ihm gerufen hatte. Einen Moment ruhte sein Blick auf dem unscheinbaren Kästchen und er dachte daran, wie er dessen Inhalt erhalten hatte. Auch damals war es ihm so gewesen, als ob sein Name gerufen worden war. Ohne nachzudenken hatte er gewusst, was er machen musste und auch heute wusste er, was von ihm verlangt wurde! Er verstaute das Kästchen in seiner Gürteltasche, zog den Reisemantel an und ging aus dem Haus, dorthin von wo er seinen Namen vernommen hatte.
Er durchstreifte den Wald seiner Herrschaft, angetrieben von der Gewissheit, dass er trotz Unkenntnis der Umgebung auf dem richtigen Weg war. Instinktiv wusste der blonde Adlige, an welchem umgestürzten Baum er links, an welchem Findling er rechts gehen musste. Immer tiefer in den Wald hinein gen Firun trieb ihn sein Gefühl. Bis er auf eine Lichtung trat, um die sich ein Band aus Blutblättern schmiegte.
Salix wusste, dass er hier richtig war! Langsam, darauf bedacht nichts kaputt zu trampeln, schritt er auf die Mitte der Lichtung zu. Die Stimmen des Waldes erstarben, es war, als ob alles Leben den Atem angehalten hatte nachdem der Diener des unteilbaren Landes mit seiner Kostbarkeit angekommen war. Selbst der Wind wagte es nicht, diesen besonderen Moment zu stören.
In der Mitte der Lichtung blieb er stehen und kniete sich langsam hin. Der Boden war angenehm kühl und wohltuend, nach diesem anstrengenden Fußmarsch. Nur das Licht einiger weniger Sterne erhellte diesen Flecken Dere und schenkte dem Adligen die Möglichkeit zumindest etwas zu sehen. Seine bloßen Hände gruben sich in die kühle und moosige Erde, schufen eine kleine Kuhle, ein Bett für den Abkömmling Argareths. Behutsam griff er in seine Gürteltasche, zog das unscheinbare Kästchen heraus und platzierte eben jenen Samen in der Vertiefung, ehe er sie mit der Erde wieder verschloss.
Nun hielt auch er den Atem an und blickte wie gebannt auf die Stelle, wo er den Samen zurückgelassen hatte. Plötzlich schob sich ein grüner Keim aus dem Erdreich, erst langsam, doch zunehmend schneller. Ein zufriedenes Lächeln umspielte Salix Mundwinkel, als dieser erleichtert ausatmete. Im selben Moment durchbrach das Madamal die dichte Wolkendecke und tauchte die Lichtung in ein silbernes Licht.