Geschichten:Die Würfel sind gefallen – Bleib!
Ritterherrschaft Praiosborn, Donnerhof, 20. Boron, am Abend
Ein Kratzen an der Tür. Ganz leise und vorsichtig. Nurinai hätte es überhören können, so leise war es, aber sie tat es nicht. Hatte sie nicht die ganze Zeit darauf gewartet? Und jetzt? Jetzt schlug ihr das Herz bis zum Hals. Das Blut rauschte durch ihre Adern. Sie konnte es hören. Sie zog die Decke enger um sich und presste die Lider ganz fest aufeinander. Wenn sie lange genug wartet, dann würde sie gewiss wieder verschwinden...
„Nurinai?“, wisperte die Raukenfelserin schließlich durch die Tür, „Ich bin es Yolande.“
Einen Moment herrschte vollkommene Stille, selbst Nurinai hielt den Atem an.
„Können wir reden?“, fragte Yolande mit sanfter Stimme.
Wieder Stille. Wieder hielt Nurinai den Atem an.
„Kann ich reinkommen?“
Erneut Stille.
„Ich muss mit Dir reden, Nurinai, verstehst Du? Ich muss einfach! Ich...“
Noch immer regte sich die Geweihte nicht. Lag wie versteinert in ihrem Bett.
„Ich komm jetzt rein, hörst Du?“
Da sprang Nurinai aus dem Bett und in jenem Moment, da Yolande von der anderen Seite die Tür öffnen wollte, schob sie von innen den Riegel vor.
„Nurinai?“, wisperte die Raukenfels mit einer Mischung aus Sehnsucht und Fassungslosigkeit, weil sie den Riegel wohl gehört hatte, „Du bist da! Du bist da. Lass mich rein. Ich muss mit Dir sprechen.“
Die Geweihte blieb hinter der Tür stehen.
„Lass mich bitte rein, Nurinai!“, bat Yolande, „Bitte.“
Ihr Herz schlug so heftig, dass es schmerzte.
„Bitte!“, flehte die Raukenfelserin vor der Tür, „Bitte.“
Sie legte eine Hand gegen das raue Holz der Tür.
„Ich will nicht, dass du gehst“, wisperte sie durch die Tür, „Hörst Du? Ich will das nicht.“
Nurinai atmete schwer.
„Die Brache... sie... sie verschlingt die Menschen, verstehst Du?“, hob Yolande da an, „Und ich will nicht, dass sie Dich verschlingt!“
Nurinai legte ihre Stirn gegen die Tür. Noch immer atmete sie schwer, hatte das Gefühl, etwas raubte ihr den Atem.
„Ich will dich nicht...“, Yolandes Stimme brach, „... verlieren.“
Eine einsame Träne rann Nurinai über ihr Gesicht.
„Ich will nicht verlieren, was... was wir haben. Denn das...“
Auf die eine Träne folgten weitere.
„... ist einzig auf Dere“, auch Yolande begann leise zu weinen, „So etwas gibt es nur ein einziges Mal! Ein einziges Mal.“
Nurinai sank am ganzen Körper zitternd zu Boden. Diese Frau, diese Fremde, sie raubte ihr auch noch das restliche bisschen Schlaf! Sie war immer da. Immer in ihren Gedanken. Drängte sich vor alles. Immerzu ihr Bild und es ging Nurinai einfach nicht aus dem Kopf. Ihre Stimme, die sie immerzu zu hören glaubte. Warum ließ sie sie nicht einfach in Ruhe?
„Bitte!“, flehte die Raukenfelserin atemlos unter Tränen, „Bitte bleib!“