Geschichten:Die Weisheit der Schlange - Ein Hort des Wissens
Klosterlande St. Ancilla, Kloster St. Ancilla, 10. Peraine 1044 BF
Eine Allee aus Blutulmen wies Thorin zum Haupteingang, dessen schweres, übermannshohes Portal mit filigranen Schlangenschnitzereien verziert war. Über dem Tor prangerte das in Stein gemeißelte und vergoldete Wappen des Klosters, ein goldenes Buch in einem ebenfalls goldenen Torbogen auf Grün. Zwei Schlangengardisten flankierten das Tor und musterten den Ankömmling aus dem Schlund. Die große Eingangshalle war über und über mit hesindegefälligen Fresken und Wandbildern ausgeschmückt und auch hier herrschten die Farben Gold und Grün vor. Eine imposante Freitreppe führte nach oben in den Kapitelsaal, wo die Brüder und Schwestern des Klosters regelmäßig zusammentrafen um Rat zu halten. Unter dem Kapitelsaal befand sich die eher schlicht gehaltene Halle der Hüter. Hier blickten mahnend die steinernen Büsten sämtlicher Klostervorsteher seit der Gründung durch Rohal dem Weisen auf den Besucher herab und waren stilles Zeugnis des geistigen Wandels für den die Namenspatronin des Klosters, die Heilige Ancilla, stand. Von der Halle der Hüter führte ein Säulengang zum Schlangen-Palas. Dieser dreistöckige, sehr repräsentative Bau beherbergte die privaten Räumlichkeiten des Abtes, sowie einen großen Teil der klösterlichen Verwaltung. Dieses Gebäude könnte, mit seinen großen Fenstern, geräumigen Zimmern und den drei schlanken Türmchen auch eine adlige Sommerresidenz sein, und war es auch in früheren Zeiten einmal, gehörte dieser Teil doch zu den ältesten des Klosters und bildete das Zentrum der Anlage. Eine Tempeldienerin hatte Thorin bereits in der Eingangshalle in Empfang genommen und bis in den Schlangen-Palas geführt. Nun stand er im eher schlichten Amtszimmer des Präfekten Bander Linderhold, der trotz seiner jungen Jahre – besonders aus der Perspektive eines Zwerges war der Präfekt wahrlich noch jung – eine bestechende Weisheit ausstrahlte. Der Präfekt hatte das ihm von Thorin übergebene Schreiben studiert und blickte nun mit einer gewissen Neugier auf seinen Gast. „Werter Thorin aus dem Schlund, was genau erhofft Ihr in den heiligen Hallen der Allwissenden zu finden?“
„Zunächst einmal möchte ich mich dafür bedanken, dass ihr mich vorgelassen habt, und Gehör schenkt euer… ehrwürdigen Gnaden“, setzte der Angroscho zu sprechen an und war sodann bei der Titulatur des Klerikes etwas unsicher. Natürlich hatte sich Thorin auf das Gespräch vorbereitet und entsprechend informiert. Die richtige Anrede zu kennen, hieß jedoch nicht, dass sie sich für ihn auch richtig ‚anfühlte‘. Was machten es sich die Menschen auch so schwer mit solch komplizierten Bezeichnungen, die sich darüber hinaus noch nicht einmal wichtig anhörten? Und das war es doch was sie sollten, oder? „Ich wurde auf meiner Suche nach Erkenntnis auf euer Kloster verwiesen“, fuhr der Besucher nach kurzer Pause fort. „Ich erhoffe mir hier einige Fragen beantwortet zu bekommen, oder zumindest dem Kern der Dinge näher“, blieb der Krieger aus Ârxozim zunächst vage. „In den Hallen der Weisheit der Binge Arabasch fand ich bei der Suche nach der Bedeutung der Albensteyne eine Steintafel, die von einem Steinschrat namens Godix sprach. Und auch wenn mir geraten wurde, die Bedeutung des Textes der Steintafel nicht weiter zu entschlüsseln, so fühle ich mich außer Stande dies zu unterlassen. Mein… Hunger nach Erkenntnis ist zu groß. Ich bin ein Sohn Dumron Okoschs, der Schwarzen Zuflucht in eurer Zunge. Ich wurde in der Bergwacht Ârxozim, hoch oben im Berg geboren, den ihr Menschen Götterfirst nennt. Garetien, oder besser der Schlund, ist so etwas wie meine neue Heimat. Ich möchte das Land ‚verstehen‘, um ihm dienen zu können.“ Tief atmete Thorin ein und aus, bevor er fortfuhr, zum Kern seiner Fragen kam. „Kennt ihr Quellen, die auf diesen Troll verweisen und was wisst ihr von den ‚mystischen Wesen‘, die als ‚Igel und Natter‘ bekannt sind?
Der Präfekt von St. Ancilla musterte den Zwerg einen Moment bis seine Stimme erhob. „Hunger nach Erkenntnis ist es, was uns zu vollkommenen Wesen der Allwissenden macht. Hunger nach Erkenntnis ist es, was unser aller Leben antreibt. Ihr stellt die richtigen Fragen am richtigen Ort. Diese heiligen Hallen“, der Präfekt machte eine ausladenden Handbewegung, „sind ein Hort des Wissens und der Erkenntnis. Doch, nicht jeder der Erkenntnis sucht ist stark genug diese in sich aufzunehmen. Schon viele Wesen sind an dieser Last zerbrochen.“ Der Präfekt blickte bedeutungsschwanger zu dem Zwerg. „Die Albensteyne, Godix, der Igelkönig, die Natterkönigin, alles ist miteinander verwoben. Ich werde Euch eine unserer tüchtigsten Novizinnen zur Seite stellen, die Euch in die Halle der Erkenntnis, der größten Bibliothek des Königreiches, geleiten und Euch auf Eurer Suche nach Erkenntnis unterstützen wird.“
„Danke eure ehrwürdigen Gnaden“, brachte der Zwerg zunächst zögerlich und dabei leicht verunsichert heraus, hatte er doch gedacht, dass das Gespräch etwas anders verlaufen würde - komplizierter. „Ich bin nicht mit leeren Händen zu euch gekommen“, fügte Thorin dann rasch an und griff zu seiner Umhängetasche. Er löste die Schnalle, die sie verschloss und holte eine lederne Mappe heraus, der er zwei Blatt Pergament entnahm. „Dies“, er reichte die Dokumente dem Präfekten, „sind die Abschrift der Geschichte um Godix, die ich in der Halle der Weisheit der Binge Arabasch fand und eine detailgetreue Zeichnung des elementaren Schwertes des Erzes. Wisst ihr etwas über diese Waffen, über ihre Herkunft, ihre Bedeutung?“
Der Hesinde-Geweihte nahm die Dokumente mit einem dankenden Nicken entgegen. „Nun, ein Diskurs ist dann besonders erquickend, wenn beide Seiten daraus einen Erkenntnisgewinn ziehen können. So liebt es die Allwissende. Ebenso liebt sie den Weg zur Erkenntnis. Daher möchte ich Euren Weg zur Erkenntnis nicht durch endlose Vorträge zu Euren Fragen schmälern. Geht den Pfad der Allwissenden und Ihr werdet die Antworten auf Eure Fragen bekommen.“ Der Präfekt klingelte mit einem kleinen Glöckchen und eine junge Frau in grüner Robe mit goldenen Stickereien betrat den Raum. „Malveda wird euch bei Eurer Suche unterstützen.“
Thorin beobachtete das Eintreten der Menschenfrau mit neugierigen Augen und nickte ihr freundlich zu, als sich ihre Blicke trafen. Er würde auf die Novizin angewiesen sein und von der Zusammenarbeit mit ihr würde abhängen, ob seine Suche von Erfolg gekrönt seien würde oder nicht, da machte sich der Krieger keinerlei Illusionen. Allein würde er bei all den Büchern, die sich im Kloster befinden mussten, eher dem Wahnsinn verfallen, als etwas brauchbares finden. „Es freut mich eure Bekanntschaft zu machen… Malveda“, sprach Thorin die Novizin trotz dieser Selbsterkenntnis etwas unsicher an. „Nennt mich bitte einfach Thorin.“
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