Geschichten:Die strenge Mutter Teil 2
Erschöpft hockte Alabrecht zwischen den Ruinen von Hommern.
Soweit er es durch den Rauch sehen konnte, war mindestens der halbe Ort niedergebrannt. Der Tempel war verschont geblieben.
Die Flammen hatten sich zurückgezogen. Der Wind der wie von mächtigen Schwingen angefacht worden war, hatte sich beruhigt.
Schreie erreichten sein Ohr. Nicht die warnenden, nicht die ängstlichen. Nein, es waren die leiderfüllten, gramvollen. Ausgestoßen von jenen, die unter den Toten ihre Liebsten fanden. Alabrecht selbst hatte dafür gesorgt, die Leichen zum Tempel zu bringen. Einige waren offenbar erstickt, andere waren kaum noch zu erkennen. Das Feuer hatte sie zu unförmigen, verkohlten Puppen verbrannt.
Er sah, wie sie niedersanken, die Toten berührten, versuchten sie zu wecken.
Er sah die Trauer und die Wut.
Und all das war seine Schuld. Er hätte handeln müssen.
Sollte er aufstehen und seine Schuld bekennen? Hier und jetzt? Vor den Leidenden und den Toten?
Was würden die Menschen tun? Ihm vergeben, ihn aus dem Dorf jagen oder würden sie ihn totschlagen.
Alabrecht wusste es nicht und wollte es nicht herausfinden.
Ächzend erhob er sich um den Trauernden Trost zu spenden.
Vor dem Tempel lag die Leiche von Elaos von Hommern, an seiner Seite hockte Samia. Tränen rannen über das Gesicht der sonst so beherrschten Frau.
Alabrecht sank neben ihr nieder.
"Es tut mir so leid um Euren Bruder ..."
Er erstarrte. Was hatte er getan? Die Junkerin wusste nicht, dass Elaos ihr Bruder war. Die Eltern hatten es verschwiegen, nur die Hebamme hatte es gewusst und es Alabrecht auf dem Sterbebett gestanden. Alle anderen hielten den Junker für einen entfernten Cousin der Junkerin und er selbst hatte sich nie dazu geäußert.
"Mein Bruder?", die Lippen der Junkerin waren schmal, ihr Gesicht blass.
"Verzeiht, Euer Wohlgeboren. Ich hätte das nicht sagen sollen. Der Moment war unpassend."
Samia starrte auf den Toten, schüttelte ungläubig den Kopf, während ihr die Tränen weiter über die Wangen liefen.
"Mein Bruder."
Dann erhob sie sich und ging langsam los.
"Euer Wohlgeboren", rief Alabrecht ihr hinterher.
Doch sie reagierte nicht. Die Junkerin von Hommern ging einfach weiter, Richtung Wald, dort wo das Feuer noch tobte.
"Samia", rief er und lief ihr hinterher.
Dann verschwand sie in den Rauchschwaden.
Alabrecht blieb stehen. Wo war sie? War sie ins Feuer gelaufen, hatte der Rauch ihr die Sinne genommen?
"Samia!", schrie er, doch niemand antwortete.
◅ | Die strenge Mutter - Teil 1 |
|
Die strenge Mutter - Teil 3 | ▻ |