Geschichten:Dregos Bande - Festungsstürmer
Gareth, Südquartier, Mitte Praios 1035 BF
Die Gassen waren dunkel, aber belebt: Vergnügungssüchtige aus Alt- oder gar Neu-Gareth waren unterwegs, Meilersgrunder Handwerker, die es krachen lassen wollten, und das Gelichter aus der Nachbarschaft. Eine ganz normale Nacht also im Südquartier. Eine Truppe von Männern bahnte sich ihren Weg durch die nächtlichen Schwofer, angeführt von einem humpelnden Schnapphahn im karmesinroten Wams, der seinen Freunden – und den Freunden seiner Freunde – eine Neuheit zeigen wollte.
»Ich sag’s Euch, eine Augenweide! Ein Lächeln wie die Morgenröte, Hüften wie eine Katze, die Brüste so straff und voll wie frische Arangen, ein Mund, den Frau Rahjen nur zum Küssen geschaffen hat! Und zum … Und Augen so schwarz wie meine Seele!«, schwärmte Jagodar von Galothini, der hier immer Stammgast war, wenn seine Geldkatze es zuließ.
»Hast du denn noch eine?«, prustete Drego von Luring und knuffte dem neben ihm Torkelnden Angreto von Ruchin in die Seite. »Ich würde nicht drauf wetten, Angreto. Aber wenn Jago etwas versteht, dann was von Huren! Ihr werdet sehen – Rahjas Tempel sind ein fader Aufguss von ›Rahjas Festung‹. Und genau die werden wir jetzt stürmen!«
Die Bande johlte, und Anzüglichkeiten wechselten schlüpfrig von einem zum anderen. Man war sich in Alt-Gareth begegnet, hatte gemeinsam ein paar unschuldige Humpen geleert, war in einer weniger gut beleumdeten Kaschemme auf Jagodar und ein paar von Dregos Bande gestoßen und nun war man hier, im Südquartier. Man – das waren Angreto von Ruchin mit Besuch aus dem Schlund, zwei Kaisermärker Junker, Gäste der Reichsforster, die dem Grafensohn eine Nachricht überbracht hatten, und natürlich derselbe Grafensohn mit seiner berüchtigten Rasselbande. Es war Mitte des Monats – die Herren hatten also noch Gold.
Angreto von Ruchin war das, was man im Südquartier ›strack‹ nannte, also derzeit erheblich betrunken. Sonst galt er als distinguierter Lebemann – und was hier geschah, war eigentlich so gar nicht seine Veranstaltung. Aber mal ›die Sau rauslassen‹, wie Adhemar von Roßsprunk und Ibramur von Schack es genannt hatten, die von ihrem Besuch in der Hauptstadt auch einiges erwarteten, das mochte wohl drin sein.
Drego legte ihm einen Arm um die Schultern: »Deiner Frau kannste sagen: Du hast nur geguckt, nicht angefasst!« Erneut prustete die Meute los. Dregos Atem roch nach dem Fusel, den er sich in der Kaschemme reingeschüttet hatte, sowie nach Lauch oder Zwiebeln. War es der Alkohol? Drego hatte so eine Art, einem immer zu nahe zu kommen, als wäre man seit Jahren eng befreundet. Oder als stünde man in einem winzigen Zimmer, das einem nicht mehr Platz ließ.
›Rahjas Festung‹ war alles andere als abweisend: Sie wollte genommen werden, am besten im Laufschritt. Galothini wurde begrüßt wie der abhanden gekommene Empfangschef, der Rest der Herren wie geladene Gäste. Hübsche, junge Dinger nahmen die Garderobe ab – leichte Umhänge, schwere Stiefel – und geleiteten die Truppe in das Innere der ›Festung‹.
»Badezuber!«, kommandierte Galothini »Wenig Seife, viel Wasser und willige Begleitung!« Erneut erntete er Beifall seiner Kumpane. Und die Landeier aus Reichforst und dem Schlund bekamen ihre staunenden Münder gar nicht mehr zu.
»Das muss Rahjas Rosengarten sein«, wagte sich Adhemar von Roßsprunk an einen lyrischen Vergleich.
»Unsinn, keineswegs«, wies ihn Rondger von Scheupelburg zurecht, ein aalglatter Parteigänger Dregos und bereits leidlich besoffen. »Denn in Rahjas Rosengarten ist alles kostenlos!« Mit wieherndem Gelächter betrat man den Thermenraum, in dem drei große Holzbottiche dampften. In wenigen Augenblicken waren die Kleider geflogen und die Bande begann in den Bottich zu steigen. Von der anderen Seite ließen sich lasziv drei Freudenmädchen in das dampfende Nass gleiten, und kurz darauf stellte sich heraus: Nicht alle hatten in diesem Bottich Platz.
»Du musst draußen bleiben«, kommandierte einer von Dregos Begleitern, Rudon, den belämmerten Adhemar von Roßsprunk aus Reichsforst, einen der Boten des Grafen. Rudon Langenlob war ein schöner Mann mit einnehmendem Wesen, voller Selbstbewusstsein, Witz und Bildung – und mit vollen Taschen aus dem Handelsgeschäft seiner Familie.
Die Meute lachte, und als Adhemar von Roßsprunk Anstalten machte, in den Bottich zu klettern, verpasste ihm Rudon einen Klaps mit der flachen Hand auf die Stirn, dass Roßsprunk zurückglitt und auf den Thermenboden glitt. Gröhlend spritzten Galothini und Drego Wasser hinterher.
»Du!«, zischte auf einmal Angreto von Ruchin und zeigte auf Rudon. »Was fällt dir ein! Du hast eben einen Adligen geschlagen! Einen Mann von Stand und edler Abkunft, du Krämerkind!« Angreto stand im Bottich und wirkte trotz seiner Nacktheit nicht lächerlich. Das Lachen erstarb auch langsam. Der Ruchiner sah viel mehr aus wie ein Efferdskind, das gerade eine jener Launen bekommt, auf die der Sturm folgt.
»Ach, lass doch, Angreto. Die Jungs spielen doch nur«, versuchte Drego zu beschwichtigen und tätschelte gleichzeitig Rudons Schulter.
»Das ist kein Spiel. Das hört hier auf. Er verlasse jetzt sofort das Bad und mache Platz für Adhemar von Roßsprunk. Hat er verstanden?« Angreto verband die Aufforderung an Rudon Langenlob mit einer beleidigend herablassenden Handbewegung.
»Kommt, Angerto«, versuchte es Drego noch einmal, doch jener zischte nur: »Sofort. Und mit Entschuldigung!«
Rudon erhob sich aus dem Bottich, zögernd, den Ruchiner abmessend. Man mochte denken, jetzt fliegt gleich die erste Faust. Doch Rudon wandte sich um und versuchte dem Bottich zu entsteigen. Doch es war Adhemar von Roßsprunk, der sich längst wieder erhoben hatte und Rudon halb im Aussteigen packte und unsanft aus dem Bottich zerrte, dass der Mann seinerseits zu Boden ging. »Genau, du bürgerlicher Nichtsnutz!«, setzte Roßsprunk nach und trat sogar noch einmal in die Seite des am Boden Liegenden. »Das haste nun davon! Haste nun genug?«
»Ich habe genug«, unterbrach Angreto das unwürdige Spektakel und verließ mit angewidert hochgezogener Oberlippe sowie seinen Schlunder Gästen und den Reichsforster Boten das Etablissement.
Als sie weg waren – die Meute hatte dem Geschehen verblüfft zugesehen – schnippte Drego mit den Fingern: »Schnaps her, sofort! Wir sind jetzt unter ehrlichen Zechern. Rudon, komm wieder rein, hier ist jetzt wieder Platz!« Erlösendes Gelächter begleitete den Witz. Doch Rudons Blick war noch immer auf die Tür gerichtet, durch die Angreto und Adhemar von Roßsprunk verschwunden waren. Und dieser Blick troff vor kaltem Hass.