Geschichten:Dregos Bande - Im Schoß der Familie
Burg Luringen, 15. Efferd 1035 BF
Am späten Nachmittag war Drego von Luring endlich auf Burg Luringen angekommen - nach einer dreitägigen Reise von Gareth in die Reichsforster Hauptstadt. Im Hof hatte Burgsass Odo von Luring-Mersingen die Truppe Dregos als Hausherr formell in Empfang genommen. ›Empfang‹ hatte in diesem Zusammenhang etwas ausgesprochen Winterliches, Drego und Odo gaben sich nur kurz die Hand, die Begleiter des neuen Regenten wurden von dem langen Greis sogar völlig ignoriert. Nachdem die Pferde den Stallknechten und das Gepäck den Kammerdienern übergaben waren, lärmten die Neuankömmlinge durch die alte Burg, ehe sie im Ahnensaal angekommen waren, wo die Familie wartete. Der Ahnensaal war ein hohes Gewölbe im Obergeschoss der Burg, bis Überkopfhöhe mit altem Eichenholz aus dem Reichsforst vertäfelt und mit einem weiten Blick durch bleigläserne Spitzbogenfenster. Waffen, Wappenschilde und ritterliche Banner aus den Tagen der Altvorderen schmückten die Wände und Decke. Mancher Wimpel war so alt und brüchig, dass man die Fenster wohl besser nicht geöffnet hätte; doch die Dunkelheit der Jahrhunderte ließ sich nur vertreiben durch das einfallende Licht des endenden Tages. Im Winter hätten der flackernde Schein des Kaminfeuers und der Kandelaber die Schatten der Verstorbenen kaum vertreiben können, die sich scheinbar raunend um die Nachfahren drängten, die diesen Saal in der Gegenwart bevölkerten. In jeder Gegenwart - denn Luringen schien ewig, und immer gab es Vorfahren, Gegenwärtige und Nachkommen. Immer schon seit vielen Generationen. Und immer auch in zukünftigen, wenn es nach der Familie Luring ging.
Gräfin Rumhilde empfing ihren Sohn mit liebevoller Umarmung: »Sei willkommen, mein Sohn, auf der Burg Deiner Vorväter. Ich bin so froh, dich jetzt wieder jeden Tag hier zu haben.« Sie küsste ihren viel größeren Sohn auf die Stirnglatze, der sich zu seiner zierlichen Mutter extra herunterbeugte. Genauso herzlich empfing Dregos jüngste Schwester ihren Bruder: mit inniger Umarmung und fröhlichem Glucksen. Ederlinde, die jüngere Schwester, begrüßte ihren Bruder verhaltener. Heute war nur Familie anwesend, weshalb Ederlindes gatte Nimmgalf nicht anwesend war.
»Willkommen auf alter Väter Sitz«, begrüßte Onkel Horulf den Sohn des Grafen. Drego und Horulf schüttelten einander die Hände, und allen Anwesenden kam es so vor, als hätte eine Natter ein Frettchen gebissen.
Als Letzter aus dem engsten Kreis der Familie begrüßte Praiodan von Rommilys seinen Verwandten. Die Krähenfüße in den Augenwinkeln und das Grinsen von Drego und Praiodan erwiesen beide als Blutsverwandte.
Drego war ein bisschen aufgeregt, sogar überdreht. Man merkte ihm die Freude an, endlich nach Hause gekommen zu sein, auf die Burg seiner Väter, von der er wusste, dass er sie irgendwann erben würde. Zwar war es noch nicht ganz so weit, aber fast …
»Liebe Freunde!«, hob Drego gut gelaunt an. »Ich …«
»Das sind wir nicht«, blaffte Odo dazwischen. »Das da sind vielleicht deine Freunde, Drego, aber wir sind hier Familie. Du hättest sie nicht mitbringen sollen.«
Drego war aus dem Konzept gebracht, wandte hilfesuchend seinen Blick zu seinen Freunden, seiner Mutter. Die war es auch, die i die Bresche sprang: »Ja, Drego. Stell uns doch deine Freunde vor«, sagte Rumhilde verbindlich.
»Ja, gut.« Drego wischte sich verlegen über die Glatze, grinste kurz sein Spitzbubenlächeln in Richtung der teilweise grimmigen Verwandtschaft, und stellte dann vor: »Also, meine Freunde, ich die hier mitgebracht habe, kennt ihr ja zum Teil: Franwin von Luring-Franfeld ist ein Vetter. Emmeran von Erlenfall und Moribert von Goyern sind Vasallen, waren ja auch letztes Jahr hier. Als es um die Stadt ging. Brobert von Hornbach und Rondger von Scheupelburg auch. Das hier ist der berühmte Jagodar von Galothini, dessen Berichte im Garether Herold und im Aventurischen Boten veröffentlicht werden. Ein patenter und gelehrter Kerl; er wird Euch gefallen, Onkel Horulf. Und dies ist Rudon Langenlob, der mich sowohl in Rhetorik als auch im Schwertkampf unterrichtet. Onkel Odo, du wirst sehen; für einen Bürgerlichen phänomenal!«
Die Freunde Dregos hatten sich alle artig verbeugt. Doch die Familie bleib weitestgehend frostig.
»Willkommen auf Luringen, werte Herren«, begrüßte Gräfin Rumhilde die Bande. »Als Mutter hätte ich mir gewünscht, dass mein Sohn mit einer Braut in das Haus seiner Familie zurückkehrt. Gerade in seinem Alter. Aber es ist schön, dass Ihr meinen Sohn herbegleitet habt, um ihn bei seiner neuen Aufgabe zu unterstützen. Übernächste Woche geben wir einen Empfang für die wichtigsten Vasallen der Grafschaft. Ihr seid alle herzlich hinzugeladen.«
Erneut verbeugten sich die Herren artig. »Doch nun bitte ich Euch, uns allein zu lassen«, schloss Gräfin Rumhilde ihre Begrüßung ab. Als die Bande gegangen war, schoss sofort der lange Odo vor: »Was sind das für Kerle, Drego?«
»Meine Freunde, Onkel Odo«
»Das sind Blutegel, Parasiten, Blutsauger. Keinen Pfifferling wert!«, spie Odo aus.
»Ruhig, Onkel Odo«, schaltete sich Ederlinde ein. »Bruder Drego soll nicht gleich verschreckt werden, nur weil wir hier in Luring die Garether nicht so recht verstehen.« Odo brummte. »Siehst du, Onkel. Vielleicht kann man deine Freunde in den Hof einbinden, Drego?«
»Danke, Schwester. Ja, ich habe Moribert und Rondger versprochen, sie zu Hausrittern zu machen, wo doch Vater so viele mit auf seine Wallfahrt genommen hat.«
»Gut«, entschied Gräfin Rumhilde. »Erlenfall ist sowieso Vasall, Hornbach desgleichen. Die anderen beiden, Drego, müssen Gäste auf deine Kosten bleiben.«
»Danke, Mutter.«
Zufrieden nach diesem ersten Treffen wirkten nur Drego und Lechmin, die nun untergehakt flachsend den Ahnensaal verließen.
Rumhilde runzelte die Stirn und sah fragend zu Ederlinde, diese funkelte Horulf an, Praiodan wirkte wie abwesend und Odos Kiefern mahlten, als wollte er Kiesel zu Weizenmehl verarbeiten.