Geschichten:Drei Krähen und ein Räblein – Todesmutig
Ritterherrschaft Praiosborn, Ruine Praiosborn, Mitte Efferd 1042
Beithir hatte ein bisschen gedöst. Als die Große mit der Kleinen und dem Rest ihrer Herde gegangen war, hatte er erst noch ein bisschen Heu gefressen, natürlich hatte er mal wieder die Anderen daran erinnern müssen, wer hier der Erste an der Heuraufe zu sein hatte, danach hatte er ein bisschen geschlafen, nur um dann anschließend seinen Kopf auf den Hals der Braunen zu betten und ein wenig vor sich hin zu dösen. Und so hörte er gleich, dass jemand sich näherte. Erst drehte er nur seine Ohren und lauschte, dann stand er auf: Die Herde der Großen hörte sich anders an. Vor allem hörte er die schnatternde Gans gar nicht. Die hörte er sonst immer und das noch vor allen anderen, weil die schnatternde Gans ihren Schnabel ja nicht halten konnte.
„Keiner da!“, stellte Ugo zufrieden fest, nachdem er todesmutig einen Blick ins Zelt geworfen und es verlassen vorgefunden hatte.
„Sind ja auch alle auf dem Donnerhof, wie ich’s euch gesagt hab“, erwiderte Olger Rosna, ein Vetter von Nella und Anführer der kleinen Gruppe halbstarker, „Zeit dieser dahergelaufenen Metze mal klarzumachen, dass sie hier nichts verloren hat.“
„Ja!“, stimmte Torm, der Dritte im Bunde, zu, „Die soll gefälligst wieder nach Albernia gehen. Hier wollen wir sie ganz sicher nicht.“ Ugo war nun etwas verwirrt: „Ich dachte die kommt aus dem Kosch?“
„Und warum hat die dann so nen komischen albernischen Namen?“, schollt Torm ihn nun, „Den sich keiner merken kann?“
Ugo wollte gerade anheben, etwas darauf zu erwidern, doch Olger winkte ab.
„Oh ja! Wir können ihr Zelt verwüsten, ja?“, schlug nun Torm tatkräftig vor.
„Wir räumen es einfach aus! Klauen alles was wir tragen können. Die wird da bestimmt ein paar hübsche Dukaten versteckt haben...“
„Ihr Dummköpfe!“, schimpfte der Anführer, „Lohnt die Mühe nicht. Wir hätten doch nichts von den schönen Dukaten, denn wenn wir sie ausgeben, dann steckt Nella das nur den drei klagenden Weibern und die Metze hängt uns an die Rabeneiche.“
„Und wie will die das machen?“, wollte Torm wissen.
„Mit einem Seil um unseren Hals! Wie denn sonst?“, schollt ihn Olger.
„Oh!“, machte er da nur, „Aber... aber... dann sind wir ja tot!“
Die beiden anderen Halbstarken schüttelten seufzend ihre Köpfe. Endlich hatte Torm es auch verstanden.
„Und was hast du jetzt vor?“, fragte nun Ugo, „Wir sind ja nicht hierher zu dieser Spukruine geschlichen um zu gucken und dann wieder nach Hause zu gehen!“
Olger lächelte vielsagend: „Sicher nicht. Wir werden die Metze da treffen, wo es einer Ritterin am meisten weh tut!“
„Und wo ist das?“, hakte Torm nach.
„Na, jetzt überleg doch mal!“, schimpfte Ugo.
„Wir treten ihr zwischen die Beine?“
Erneut schüttelten die beiden anderen seufzend ihre Köpfe.
„Nein, natürlich nicht!“, stellte Olger klar, „Was wäre ein Ritter nur ohne seinen treuen Gaul?“
„Aber... aber...“, hob da Torm an, „Die Herrin Rahja mag’s glaube ich nicht, wenn wir einfach so einen Gaul...“
„Was weißt du denn schon von der Herrin Rahja?“, frotzelte Ugo.
„Ich hab schon mal ne Frau nackt gesehen!“, verteidigte sich Torm eifrig.
„Die eigene Mutter zählt aber nicht!“
„Warum denn nicht? Ist die denn keine Frau?“
Nun schaltete sich Olger wieder ein: „Wir werden ihren geliebten Gaul nur ein bisschen... hm... verschönern. Ein kleines bisschen eben. Eine Warnung. Sonst nichts.“
Damit kletterte er zu den Pferden in die Koppel.
„Ich hab gehört, dass so Pferde von Rittern ganz schon gefähr...“
„Ach, halt doch die Klappe!“, schimpfte Ugo und kletterte ebenfalls zu den Pferden, „Du Feigling!“
Das ließ sich Torm natürlich nicht nachsagen und so folgte er den beiden anderen.
Währenddessen rief Olger: „Schaut euch diesen Gaul doch mal an! Was soll an dem denn schon gefährlich sein. Ein Gaul ist doch ein Gaul. Was kann da schon schief gehn?“
Er guckte sich die kleine Herde von Zweibeinern genau an. Wie er vermutet hatte, war es nicht die Herde der Großen. Die Kleine war auch nicht dabei. Auch nicht die schnatternde Gans. Ja, nicht einmal die Modrige oder der Hengst, der immer vor ihm Reißaus nahm.
Inzwischen waren auch die anderen Mitglieder seiner Herde aufgewacht und aufgestanden. Die drängten sich hinter ihn - wie immer. Also ging Beithir auf die fremde Herde zu und schnupperte interessiert an dem ersten Zweibeiner.
Der hielt ihm auch gleich die Hand entgegen. Da blähte Beithir nur noch mehr seine Nüstern. Ob er vielleicht einen Apfel bekam? Einen saftigen, leckeren Apfel? Nicht so eine schrumpelig modrige Karotte, wie sie die Kleine ihm immer hinhielt. Karotten, wie sehr er die hasste, warum brachte die Kleine ihm nicht einen Apfel, wie die Große es immer tat? Einen süßen, saftigen, leckeren Apfel.
Doch da war kein Apfel. Was sollte das denn? Erst kamen da fremde Zweibeiner zu ihm, dabei war weder die Große noch die Kleine unter ihnen und dann gab es noch nicht mal einen Apfel. Beithir hatte genug. Er mochte fremde Zweibeiner nicht. Er mochte die Große und die Kleine. Aber sonst niemanden.
Gut, dachte Beithir sich, wenn der Zweibeiner schon keinen Apfel, ja nicht einmal eine Karotte zum Reinbeißen mitgebracht hatte, dann musste er ihm eben zeigen, dass das einfach keine Art war und so biss das Streitross zu.
„Scheiße!“, entfuhr es Ugo entsetzt, „Verdammte Scheiße!“
Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte Olger auf die Finger seiner linken Hand, die fast vollständig im Maul des Pferdes verschwunden waren. Mit großen, unschuldigen Augen schaute es ihn an und presst seine Zähne immer weiter und weiter aufeinander. Der Halbstarke wurde immer bleicher.
„Hilf mir seine Hand rauszuziehen!“, wies Ugo nun Torm an und die beide begannen sofort damit, an der Hand ihres Freundes zu ziehen und zu zerren. Der, in eine Schockstarre verfallen, ließ es regungslos über sich ergehen. Dann Knackte es plötzlich, das Pferd ließ los und die drei Halbstarken fielen alle zusammen nach hinten.
Das Streitross kaute zuerst noch ein bisschen auf den beiden Fingern herum, man konnte ja nie wissen, ob die nicht doch genauso lecker wie ein Apfel waren. Waren sie aber nicht und so spuckte Beithir sie wieder aus. Ach, wenn er es sich recht überlegte, wäre ihm jetzt sogar eine der schrumpelig modrigen Karotten recht...
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Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel | ▻ |
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