Geschichten:Dreifaches Glück

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Auf dem Hoftag zu Auenwacht, 7. Travia 1046 BF

„Was ist los Brüderchen? Du siehst aus, als hättest du gerade den Laden voller Igelstacheln vom Leuckers ausgeräumt“, erkundigte sich Praioswin von Steinfelde, als sein Zwillingsbruder Praioswald mit einem breiten Grinsen im Gesicht die Zeltplane mit seiner Krücke beiseite geschoben und das Quartier des Hartsteener Ritters am Turnierplatz betreten hatte.

„Nennen wir es ein dreifaches Glück, Bruderherz“, eröffnete der Einbeinige mit vor Freude glitzernden Augen das Gespräch, „Erstens habe ich gerade das dümmste Gesicht Garetiens gesehen, zweitens habe ich eine Überraschung für dich und drittens ist heute einfach ein besonders schöner Tag zum Feiern.“

„Klingt...interessant. Aber lass hören“, Praioswin kannte die Redensarten seines Bruders zur Genüge und ließ sich in Erwartung des unweigerlich Kommenden auf einen Hocker fallen.

„Ich schlendere also gerade gemütlich über die Schlossbrücke, da kommt mir doch der Linschenaue mit wichtigtuerischer Miene entgegen...“

„Du meinst den aus Waldhelling unten in Rabensbrück?“

„Genau den. Ich grüße ihn also freundlich ‚Collega, wohin so eilig?’ Da erzählt er mir so von oben herab, dass er auf den Hoftag gekommen sei, um sich beim Großfürsten für die offene Stelle als Hofmusicus zu bewerben. Das Ganze wäre allerdings aufgrund der Empfehlung seines Barons – immerhin der Onkel Herrn Alderans – nur eine Formsache. Da sag ich zu ihm, dass er sich den Gang sparen könne, das Amt wäre schon vergeben. Da lacht er und meint ‚Wenn es so wäre, dann hätte ich doch sicher schon davon erfahren.’ Dann betont er, dass keine der Personen, die außer ihm dafür überhaupt infrage kämen, sich diesbezüglich geäußert hätte. ‚Am Ende wollt Ihr vielleicht noch behaupten, der Großfürst hätte Euch gerade zum Hofmusicus ernannt. Ein schöner Scherz, Steinfelde. Fürwahr’. Er klopft mir gönnerhaft auf die Schulter und will weiter, da hole ich das hier raus und halte es ihm unter die Nase.“

Bei diesen Worten zog Praioswald ein gesiegeltes Pergament hervor. Der Hartsteener Ritter überflog es, riss ungläubig die Augen auf und wäre um ein Haar mitsamt dem Hocker umgekippt.

Der Einbeinige gluckste noch zufriedener: „Ja, so ungefähr. Jetzt habe ich das dümmste und das zweitdümmste Gesicht Garetiens an einem Tag gesehen. Rat mal, welches deins ist.“

Praioswin musste sich erst einmal sammeln und ignorierte die Frotzelei: „Tatsächlich! Du? Wie hast du das gemacht?“

„Im Gegensatz zu Dir Bruderherz, der sich in der Tjostbahn amüsiert und schon in der zweiten Runde hat faul in den Sand schubsen lassen, habe ich mich die letzten Tage schwer in Arbeit gestürzt und weder Kosten noch Mühen gescheut...“

„Du meinst, du bist durch die Schänken und Tavernen gezogen, hast zuerst die Leute mit deinen frivolen Liedern bezirzt und dann beim Würfelspiel übers Ohr gehauen?“

„Natürlich nicht. Ich habe hervorragende Musik gemacht. Zumindest sind seine Königliche Durchlaucht der Großfürst ebenso wie seine werte Gemahlin dieser Ansicht gewesen, als sie inkognito einer meiner Darbietungen beigewohnt hatten – und da hatte ich noch nicht einmal das Lied von der Madablume gespielt. Jedenfalls wurde ich vom großfürstlichen Herold für heute Morgen ins Schloss geladen. Da überreichte man mir zu meiner eigenen Überraschung dieses Schreiben, mit dem ich den Leuten, ganz ohne dem Herrn Praios zu freveln, dumme Gesichter zaubern kann. Nebenbei steht wohl auch drauf, dass ich nun Hofmusicus bin und meinen Hintern in Zukunft hier auf Auenwacht breitsitzen soll.“

„Na dann: Herzlichen Glückwunsch - Brüderchen!“, Praioswin trat näher und umarmte seinen Bruder feierlich.

„Dankeschön, Bruderherz. Allerdings gibt es einiges neu zu bedenken. Da ich nun dem Ruf Hesindes und der hohen Kunst folge, muss sich auf dem Gut unserer Vorväter jemand anderes mit solch niederen derischen Angelegenheiten wie der Schuldfrage um einen zerbrochenen Krug der Nachbarin oder der Heuernte abplagen. Darum schlage ich vor, wir gehen gleich noch zu Graf Odilbert und holen seine Zustimmung, dass du ab sofort die Amtsgeschäfte dort übernimmst...“

„Jetzt gleich? Ich weiß nicht. Nach Herrn Trisdhans gewagtem Manöver in der causa der Baronie Hartsteen wirkte seine Hochwohlgeboren etwas verstimmt.“

„Ach was!“, Praioswald winkte ab, „Wenn der Graf hört, dass er mich los wird und fortan der Großfürst meine hochgeistigen Ergüsse ertragen muss, stimmt der allem zu. So, und jetzt lass uns feiern gehen!“