Geschichten:Dreihügeler Familienzusammenführung - Vaterfiguren
Vaterfiguren
Kressenburg, Ende Praios 1036 BF
Einige Stunden später, es war bereits Nacht geworden, saß Wulfhart mit einem Humpen Zwergenbräu vor sich bei seinem Sohn Ardo im Kaminzimmer. Eine Zeit lang unterhielten sie sich über die neuen Geschäftskontakte nach Neerbusch, die Ardo auf seiner Reise dorthin geknüpft hatte, und beschlossen, dass Wulfhart zu dem bald anstehenden Fest nach Bärenau reisen sollte. Die lange umstrittene Baronin Iralda war vom neuen Grafen von Hartsteen endlich offiziell bestätigt worden und wollte dies mit einer Tjost feierlich begehen. Da man freundschaftliche und verwandtschaftliche Beziehungen zum Bärenauer Adel pflegte, sollte ein Keilholtz bei den Feierlichkeiten nicht fehlen und Wulfhart bekam als Familienoberhaupt diese Ehre zugesprochen. Als der junge Baron alles besprochen hatte, was ihm wichtig erschienen war, kam man endlich auf die Reise gen Wandtleth und zurück zu sprechen.
"Hattet ihr auf dem Weg irgendwo Schwierigkeiten", begann Ardo zu fragen. "Ich sah deinen Knappen mit einem Verband am Kopf herumlaufen."
"Nur ein paar Wegelagerer am Rande des Reichsforstes." Wulfhart winkte ab, als wäre die Sache eigentlich nicht erwähnenswert. "Zwei von ihnen hängen jetzt an den Bäumen, die anderen gaben Fersengeld. Außer ein paar Schrammen bei Leuthardt und mir ist uns nichts passiert. Meister Wasjeff hat sich bereits alles besehen und gemeint, es gäbe für ihn nichts mehr zu tun. Ich habe veranlasst, dass dein Majordomus Rahjamunde das beste Gästezimmer zur Verfügung stellt, ich hoffe das ist in deinem Sinne. Bis sie ihren neuen Lehrmeister hat, sollte sie hier auf der Burg Travias Gastrecht genießen."
"Da hast du Recht getan, Vater, und ich entschuldige mich, dass ich mich nicht persönlich darum gekümmert habe. Immerhin ist dies hier mein Heim und ich hätte sie längst willkommen heißen müssen. Leider schien sie von der Reise doch etwas mitgenommen zu sein und ließ sich für heute Abend entschuldigen. Aber Praiadne hat nach ihr gesehen und sich erkundigt, ob es ihr an nichts mangelt." Der Baron machte eine Pause und trank einen Schluck, bevor er weitersprach. "Aber ich habe in der Zwischenzeit einen Lehrmeister gefunden, der gewillt ist, die junge Dame zu unterrichten. Durac selbst hat sich bereit erklärt! Er meinte, er schulde den Kressenburger Baronen noch ein paar Gefallen dafür, dass sein Freund Ulfried ihm damals erlaubte, seine ganze Sippe hierher zu bringen und sie dadurch zu Wohlstand gekommen seien. Außerdem spürt er die Last des Alters und will keinen zwergischen Lehrling mehr nehmen. Angroschs Feuer scheint dieser Tage schwächer in ihm zu brennen."
"So sehr mich sein Angebot freut, so betrübt es mich doch zu hören, dass die Last des Alters über ihn kommt." Wulfhart hob den Krug zu Durac's Ehren und nahm einen langen Zug. "Er hat Kressenburg viel gegeben und hätte dir noch eine wichtige Stütze sein können."
"Nun ja, noch ist er ja nicht zum Stein gegangen und wenn er sich noch nicht zu alt dafür fühlt, einen Lehrling zu nehmen, dann wird er uns wahrscheinlich trotzdem beide überleben. Doch erzähl einmal von der jungen Dame. Wird sie Meister Duracs Anforderungen überhaupt gerecht werden?"
"Ohne Frage", antwortete Wulfhart mit dem Brustton der Überzeugung. "Ich habe das Werkstück gesehen, das sie zum Abschluss ihrer Lehre in Wandtleth angefertigt hat und das hätte jedem Gesellen der Angroschim gut zu Gesicht gestanden."
Ardo pfiff leise anerkennend durch die Zähne. "Wenn sie wirklich so gut ist, dann ist es fast schade, dass sie Kressenburg eines Tages verlassen wird, um Dreihügeln zu verwalten."
"Bis dahin fließt aber noch viel Wasser die Ange herunter." Wulfhart dachte kurz nach und fand dann, dass es an der Zeit war, seinem Sohn die eigentlich wichtige Neuigkeit näherzubringen. "Weißt du Junge, ich habe mich gefragt, ob wir nicht in einem der Gesindehäuser auf der Burg eine Werkstatt für Rahjamunde einrichten könnten."
"Warum das?" Ardo blickte seinen Vater völlig verständnislos an. "Durac wird sicherlich darauf bestehen, dass sie ihre Ausbildung an seiner Esse erhält."
"Aber ich würde darauf bestehen, dass sie in ihrer Lehrzeit wenigstens des Nachts und später dauerhaft Quartier auf Burg Keilholtz erhält. Zumindest wäre es der Herrin Travia wohlgefällig, wenn sie mit ihrem Gatten unter einem Dach und an einem Herdfeuer leben würde, meinst du nicht auch?"
"Natürlich wär es das. Aber ihre Mutter hatte nichts davon geschrieben, dass die junge Dame bereits unter der Haube ist und ihren Ehemann mitbringt." Der Baron war ein klein wenig erbost über diese unerwartete Überraschung. Platz war auf der Kressenburg sicherlich genug, aber er ließ sich ungerne überraschen.
"Das konnte die ehrenwerte Junkerin auch gar nicht wissen, mein Junge. Denn Rahjamunde ist erst seit kurzem verlobt und konnte es ihrer Frau Mutter somit schlechterdings schon mitteilen."
"So? Seit wann denn? Und wer ist der Glückliche? Praiadne meinte, die junge Dame sei gebildet und durchaus hübsch anzuschauen." Im Geheimen befürchtete er, dass die junge Maid auf der Reise dem Charme eines dahergelaufenen Stallburschen erlegen sei. Wie sollte er das bloß der Junkerin erklären, der er versprochen hatte, ihre Tochter unbeschadet nach Greifenfurt zu bringen?
"Das Versprechen gab sie heute etwa um die Mittagsstunde und der Glückliche bin in diesem Fall ich." Fast genüsslich sah Wulfhart zu, wie seinem Sohn die Gesichtszüge entglitten. "Schau mich nicht so an. Auch ein Schlachtross wie ich darf doch wohl auf seine alten Tage noch einmal Freude am Leben erfahren."
"Ja, natürlich. Ich hatte nur nicht gedacht, dass..." Ardo fehlten schlicht die Worte und so trank er hilflos ein paar Schlucke, um das Gehörte zu verdauen.
"Du dachtest", vollendete der ältere Ritter den Satz für ihn, "dass ich den Rest meines Lebens deiner seligen Mutter hinterhertrauern werde, bis ich mich schließlich eines lieben Tages in den Speer eines dahergelaufenen Orks werfe, um endlich an ihrer Seite in Alveran zu weilen?"
"Nun, ja..., so etwas in der Art habe ich immer befürchtet." Beschämt schlug der Jüngere die Augen nieder. "Mutters Tod jährt sich im Winter zum zwölften Mal und du schienst all die Jahre nicht gewillt, das Leben auf Dere ohne sie als sinnvoll zu erachten. Verzeih mir bitte, dass ich so über dich dachte."
"Da gibt es nichts zu verzeihen, mein Sohn." Begütigend legte Wulfhart seine Hand auf Ardos Arm. "Denn im Grunde liegst du mit deiner Einschätzung gar nicht so falsch. Ich habe mich lange wegen Holdwieps Tod gegrämt und auch wenn ich euch Kindern eine treusorgende Mutter schuldete, so konnte ich mich doch nie dazu durchringen mich erneut zu binden. Es schien mir stets, als würde ich Holdwiep damit verraten."
"Und bei Rahjamunde ist das nun anders?"
"Oh ja! Warte, bis du sie morgen früh kennenlernst. Ich bin mir sicher, du wirst sie mögen." Wulfharts Stimme wurde schwärmerisch. "Sie ähnelt in so vielem deiner Mutter, dass ich zu Anfang dachte einen Geist vor mir zu haben."
Das Schreien eines Säuglings scholl plötzlich durch die stillen Gänge der Burg und unterbrach das Gespräch. Nach wenigen Augenblicken ebbte es ab und es kehrte wieder Ruhe ein. Ardos kleiner Sohn hatte offensichtlich Hunger und sein Recht bei seiner Amme eingefordert.
"Meine Stiefmutter ist jünger als ich," stellte der junge Baron sachlich fest und machte dann eine Pause. Als sein Vater dazu nichts sagte, fuhr er fort. "Ich nehme an, dass wir das Erbe neu werden regeln müssen?"
"Nein, das denke ich nicht mein Junge. Rahjamunde ist zwar jung und gesund und ich bin noch nicht zu alt. Dementsprechend hoffe ich, dass Tsa unsere Verbindung segnen wird, wenn es soweit ist. Doch wenn wir Kinder haben sollten, werden diese in der Erbfolge der Dreihügeler Junker stehen. Die Neue Gerbaldslohe bleibt das Erbe deiner Schwester und sollte mich Boron vor ihrer Mündigkeit zu sich rufen, so wirst du das Gut für sie verwalten. Dir und deinen Brüdern aber ist das Rüstzeug für Euer Leben bereits gegeben und ich habe nichts weiter, was ich verteilen könnte. Auch mein Schwertarm bleibt dir erhalten, zumindest solange Rahjamunde in Kressenburg weilt. Sollte sie jedoch den Wunsch verspüren, eines Tages zu ihrer Mutter nach Dreihügeln weiterzuziehen, so werde ich sie begleiten, denn nun, da sie mein Werben erhört hat, möchte ich im Leben nicht mehr von ihr getrennt sein. Ich hoffe, du kannst diesen Wunsch verstehen und wirst deinen Vater zu gegebener Zeit von seinem Eid entbinden."
"Natürlich doch, Vater." Ardos Stimme war belegt, denn die Lebensfreude, die Wulfhart ausstrahlte, ließ dem Sohn warm ums Herz werden. Gerade nachdem er mit Praiadne selbst die Freude einer eigenen Familie erfahren hatte und erahnen konnte, wie sehr ihr Verlust ihn treffen würde, gönnte er seinem Vater dieses späte Glück um so mehr. Seine Gedanken kreisten jedoch auch schon voraus und begannen wie von selbst mit der Planung der Feierlichkeiten. "Ich befürchte zwar, dass Lisande nicht aus Hundsgrab wird kommen können, aber deine vier Söhne werden dich vor den Travia-Geweihten führen. Und wenn wir dich tragen müssen, alter Mann!" Fröhlich prostete Ardo seinem Vater zu. Der versuchte zwar einen Moment lang streng zu schauen, doch schließlich stimmte er in das ausgelassene Lachen mit ein. Noch über ein Stundenglas saßen sie zusammen, um Pläne zu schmieden, bevor die Aufregung des Tages und der letzten Wochen sie zu borongefälliger Ruhe trieb.