Geschichten:Dreihügler Muttertag - Vom Begrüßen
Dreihügeln, 11 Peraine 1035 BF
Bevor sie sich getraute zu antworten, holte das Mädchen noch einmal tief Luft. „Also, wir haben ein helles, dünnes und ein dunkles, starkes Bier, roten und weißen Wein, gelagerten Apfelmost und verschiedene Kräuter für Tees oder zum Würzen des Weins...“ Unsicher brach sie die Rede bei den Kräutern ab. Ob die edle Dame wirklich Tee nehmen würde?
Die Augen der Alten hatten sich unmerklich verkleinert. „Wein? Hier? Und was für ein Zeug ist das? Greifenhorster Praioströpfchen will mir scheinen.“ Errötend knetete das Mädchen weiter fest ihre Hände, während sie sich bemühte, nicht zu Boden zu blicken. „Nein, Euer Wohlgeboren. Wir haben für besondere Gäste einige Flaschen roten Almadaner und etwas weißen Liebfelder eingelagert...“ Sie rang noch um weitere Worte, mit denen sie die Getränke wohl besser beschreiben könne, doch wusste sie nicht mehr über die Flaschen, als sie bereits gesagt hatte. Doch der peinliche Moment des Stockens wurde unterbrochen, als man feste und durchaus eilige Schritte von oben die Treppe herunterkommen hörte. Trotzdem entging dem Mädchen die Replik der Alten nicht: „Dacht‘ ich’s mir doch. Lauter ausländisches Gesöff. Schämen sollte se sich!“
Kaum dass ihre Füße unten zu sehen waren, erhob Edelgunde Gramhild von Schroffenstein bereits ihre Stimme: „Mutter, welch Freude Euch hier begrüßen zu dürfen! Wenn Ihr Euer Kommen angekündigt hättet, wäre bereits ein Zimmer bereitet. So wird es nun leider noch wenig dauern. Was darf ich Euch anbieten? Mögt Ihr Euch nicht setzen?“ Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen näherte sich Gramhild ihrer Ziehmutter, um sie zu begrüßen.
Diese allerdings blickte sich nur gespielt verständnislos um. „Setzen? Hier? In einer Kaschemme? Selbst wenn‘s wohl die vogteiliche Kaschemme ist? Und warten, bis die Taugenichtse aus dem Dorf kommen, um mit mir anzustoßen?“ Die Abscheu war dabei wahrlich nicht gespielt.
Gramhild hatte kaum etwas anderes erwartet, schien aber dennoch ein wenig enttäuscht, konnte ihr Gesicht aber gut genug beherrschen, um den gebührlichen Respekt zu behalten. "Mutter, bitte. Die Leute sind bei ihrer Arbeit und haben in den nächsten Stunden genug zu tun, als dass niemand hierher kommen wird. Ich meinte damit außerdem lediglich den Zeitraum, bis das Zimmer bereitet und das Gepäck verstaut ist. Wenn es Euch aber beliebt, können wir uns auch gern in meine private Stube zurückziehen."
Der Blick, mit dem Yadviga ihre Ziehtochter bedachte, hatte etwas abschätziges. „Hinsetzen, ratschen… kein Wunder, dass ihr hier unten im Tal nichts geschafft bekommt. Wenn ich mich hinsetze, ist es dunkel, bevor ich wieder aus dem Kissen bin. Als ich in deinem Alter war, haben wir bis tief in die Nachtstunden nicht mal den Schimmer des nächsten Hofes gesehen, so haben wir geackert. Rumhocken kann ich auch im Sarg. Du führst mich zuerst über den Hof und zeigst mir alles Wissenswerte. Anschließend will ich die Nebengebäude sehen, die Stallungen und Weiden und die Zentscheuer, damit ich weiß, was dies Land hier so abwirft, und beurteilen kann, wie gute Arbeit hier verrichtet wird, und dann kannst du mich meinetwegen auf deine gute Stube zu einem Schnäpsken einladen, wenn das Essen bis dahin noch nicht fertig ist. Um mein Zimmer kann sich dieser Nichtsnutz von Page kümmern, den man mir ans Bein gebunden hat. Und anschließend kann der beim Melken und Füttern helfen, damit er gar nicht erst lernt, dass man auch auf dem Allerwertesten sitzen kann. Das verdirbt nur den Charakter.“
Während des Vortrags ihrer Mutter nickte Gramhild nur und bemühte sich um eine weiterhin freundliche Miene. Ihr Rücken straffte sich etwas und sie sagte sich in Gedanken immer wieder, dass es unhöflich wäre, der inzwischen nun *wirklich* alten Dame zu widersprechen. „Sicher, Mutter. Es ist kein so imposantes Gut wie das Eure, aber die Leute sind fleißig und klagen nicht.“ Mit einem Wink schickte sie die junge Magd Roselda fort, damit sie sich wieder in die Küche zurückziehen konnte, das Abendessen zu richten.