Geschichten:Dreihügler Muttertag - Vom Helfen
Dreihügeln, 11 Peraine 1035 BF
Ohne lange darüber nachzudenken, liefen die Kinder fort, so schnell ihre kurzen Beinchen sie nur trugen, um bei den inzwischen ebenfalls aus der Ferne schauenden Ältesten Schutz zu suchen. Die aus dem Gutshaus getretene Magd jedoch schluckte einmal tief, nachdem sie die aus der Kutsche steigende Person einmal kurz abschätzend gemustert hatte, und trat um ein freundliches Lächeln bemüht näher an die Kutsche heran. Den Pagen zu mustern oder gar anzusprechen, während dieser sich aus dem Staub schälte, erschien der jungen Frau nicht gerade klug, also konzentrierte sie sich auf die Alte, die in dieser kleinen Gesellschaft offensichtlich das Sagen hatte. Doch fiel ihr die Anrede der Fremden schwer, konnte sie doch anhand der staubigen Kutsche und der bescheiden erscheinenden Kleidung den Status der Frau nicht einordnen. Also entschied sie sich für eine eher neutrale Anrede: „Die Zwölfe zum Gruße, edle Dame, und willkommen im schönen Flecken Dreihügeln. Sicher wollt ihr zu unserer Junkerin. Wen darf ich ihr denn melden, Hohe Dame?“
„Ja was denn nun, ungebildeter Fratz? Wenn du auf edle Dame bestehst, dann kannst du gleich Wohlgeboren sagen, wie es sich gehört. Die Hohe Dame hintenweg ist Firlefanz. Immerhin ist eine Ritterin im Status unter der Junkerin. Und was wölltest du hintan setzen, wenn du nun schon bei der Ritterin gelandet bist?“ Die Augen der Frau hatten sich zu Schlitzen verkniffen und versenkten die Magd wie ein glühendes Schüreisen. „Melde der Besitzerin dieses elenden Gehöftes, dass ihre Mutter sich dazu entschlossen hat, ihr die ihr gebührende Aufwartung zu machen. Und dies, wie mir scheint,“ der Blick der Frau umschloss Haus und Hof, „kein Sandkörnlein zu spät.“
Die Magd schaute einen Moment sichtlich irritiert, weil sie den Worten der Dame nicht auf Anhieb folgen konnte. Doch sie entschloss sich, mit einem höflichen Knicks und einem Nicken der Edlen aus den Augen zu gehen und ihrer Herrin diese Angelegenheit zu überlassen. „Sehr wohl, Euer Wohlgeboren. Tretet doch inzwischen ein, ich gebe der Herrin Bescheid.“
So schnell sie meinte, dass es die Etikette zuließe, wandte sie sich ab und gab im Inneren des Hauses einer jüngeren Magd einen Wink. Außer Sicht der Alten flüsterte sie dem Mädchen zu: „Biete dem Gast etwas zu Essen und zu Trinken an, ich hol so schnell es geht Frau Gramhild. Sag so wenig, wie du kannst.“ Und mit einem aufmunternden Klaps auf die Schulter war sie auch schon fort. Dieweil nahm die Alte wie schon den Hof so auch das Haus in Besitz.
Kalt lächelnd betrat Yadviga Keilholtz durch die dicke Eichenholztür das Vogthaus, als sie auch schon mitten in der Bewegung erstarrte und den Raum mit festgefrorenen Gesichtszügen in Augenschein nahm. Vor ihr öffnete sich ein heller, großer Raum, in dem insgesamt vier große Tische aus altersdunklem, schweren Pflaumenholz standen, zur Wand hin mit derben Sitzbänken, zum Raum hin mit massiven Holzstühlen ausgestattet, alles in allem bereit, an die 30 Gäste zu fassen. Ihr gegenüber stand ein Tresen, hinter dem ein junges Mädchen gerade in ihre Richtung blickte. Kurz erfasste der Blick der Alten noch die Treppe im hinteren Bereich der Gaststube, da drehte sie sich auch schon auf dem Absatz um, nur um zu sehen, dass der schlaksige Page, den der Kutscher inzwischen gezwungen hatte, die erste Truhe vom Wagendach entgegenzunehmen, unter deren Gewicht in die Knie brach. Ekel huschte über ihre Züge, dann wandte sie sich an den Kutscher: „Timon, lasse er die Pferde angespannt. Wir sind hier falsch. Das ist hier nur die Kaschemme. Das Junkerngut muss woanders sein.“
Erschrocken schaute das Mädchen die Alte an. „Verzeihung, Wohlgeboren, aber Ihr seid hier schon richtig. ‘s ist nur so, dass es das größte Haus im Ort ist. Deswegen ist hier auch die Herberge und die Wirtsstube mit drin.“ Sie lächelte höflich die fremde Junkerin an, und kam ein paar Schritte um die Theke herum entgegen. „Die Herrin kommt gleich. Wollt Ihr vielleicht schon was trinken?“ Um ihre Unruhe zu verbergen, hatte das Mädchen ihre Hände hinter dem Rücken verschränkt und ballte nun die Fäuste ineinander.
Der Blick, mit dem die Alte nach dieser Eröffnung die Gaststube maß, hätte auch einer Senkgrube gelten können. „Zu meiner Zeit,“ raunte die Alte, „war ein Junkerngut selbst im äußersten Finsterkamme noch gut genug ausgestattet, dass es der Junker nicht nötig hatte, eine Absteige zu betreiben. Zumal keine billige…!“
Erst als sie das Kind ins Auge fasste, geriet der starre Blick wieder in Wandlung, hin zu einem Lächeln, das so von oben herab kam, als befinde sich die Keilholtzerin auf dem vögtlichen Dache und blicke hinunter in den Abwassergraben. „Und was hat dieses… Etablissement an Getränken anzubieten?“ Der Blick der knorrigen alten Frau war lauernd.
Ein Knecht kam aus dem Innenhof und schaute sich Pagen und Kutscher einen Moment an, bevor er näher trat. „Kann ich was helfen?“ fragte er schlicht und beschaute sich die merkwürdigen Gäste weiter, bis man ihm eine Antwort gäbe. Der Page blickte auf und verzog wehmütig das Gesicht: „Würd‘ ich zu gern ja sagen. Aber wenn der Drachen mich dabei erwischt, verpasst der mir ‘nen Einlauf von hier bis Selem. Nee. Vielleicht kannst du Timon zeigen, wo er mit den Pferden hinsoll oder so. Aber das Gepäck nimmt mir keiner ab.“ Ein leises ‚leider‘ folgte einen Herzschlag später, während der Knabe sich unter der Last taumelnd in Richtung der Gaststube stemmte. Mit einem Schulterzucken nuschelte der Knecht ein „Na, wenn de meinst, Jung. Aber hinten rum ist’s kürzer zum Gästezimmer.“ Dann wandte er sich dem Kutscher zu. „Darf man dir helfen? Der Stall ist hinten, da kannst auch die Kutsche abstell’n.“
Der Kutscher nickte stumm und überprüfte die Lederriemen. „Dann hilf man. Zeig mir den Weg. "Ich fahr am Besten die Kutsche nach hinten, bevor die Vettel es sich noch anders überlegt und sofort wieder zurück will." Sprachs und griff nach dem Führungsstrick, um Pferde und Wagen in die angegebene Richtung zu dirigieren.