Geschichten:Eichen fallen – Zwischentöne
Praios-Tempel St. Owilmar, Markt Hallklee, Baronie Vierok, Boron 1039 BF:
Ein alternde Ritter schritt mit einem Jüngling die Treppen zum Praios-Tempel des beschaulichen Marktfleckens Hallklee empor. Wobei, beschaulich mag nicht mehr die richtige Beschreibung sein, denn seit dem Sternenfall, der besonders Hallklee schwer getroffen hatte, hatte sich hier einiges verändert.
„Was siehst du?“, fragte Marbert vom Berg seinen ehemaligen Pagen.
„Der Tempel ist gut besucht. Viele Einheimische sind hier, aber auch viele Pilger“, antwortete Romelio von Agur pflichtbewusst.
„Und was siehst du nicht?“
„Äh, was meinst du damit?“ Der Jüngling war sichtlich irritiert.
„Nun, der Ort und der Tempel wurden durch den Sternenregen sehr in Mitleidenschaft gezogen. Ich war hier und habe es mit eigenen Augen gesehen, aber siehst du hier irgendwelche Schäden? Nein, alles blitzt und glänzt, als ob hier nichts passiert wäre.“
„Nun die Pilger und Spenden des Junkers werden schon dafür gesorgt haben, dass alle Spuren beseitigt wurden“, entgegnete Romelio.
„Könnte man meinen, aber nein. Es war das Gold der Familie Weyringhaus.“ Marbert grinste hämisch.
„Weyringhaus also.“ Romelio klang weniger überrascht als Marbert angenommen hatte. „Nun, die Enkelin vom alten Vierok ist mit einem Sohn von Burggraf Oldebor verheiratet. So macht es also Sinn seinen Verbündeten zu helfen.“
„Wie ich sehe haben sie dir in St. Ancilla doch was beibringen können“ Marbert nickte anerkennend. „Ja, wie man hört ist der Burggraf voll des Lobes für seine Schwiegertochter und lässt keine Gelegenheit aus um seine Unterstützung für die Familie Vierok kundzutun.“
„Das dürfte den Borstenfelds nicht schmecken. Ist es doch ein offenes Geheimnis das die nach dem Baronsreif trachten wenn der Alte endlich tot ist.“ Romelio kratzte sich an der Schläfe. „Nur wie werden sich im Falle des Falles die Versallen verhalten?“
„DAS ist die Frage, denn der Marktvogt wird nicht tätigt werden. So hat es mir Trenck gesteckt. Dessen breitarschiges Frauchen sitzt ja an der Quelle, also könnte da was dran sein.“
„Retos Auge und Ohr hatte ähnliche Informationen überbracht. Die Oberem scheinen abwarten zu wollen wer als Sieger hervorgehen würde.“
„Ganz genau, was uns wieder zu den Versallen führt. Trenck sehe ich auf Seiten der Borstenfelds. Lechmin? Meiner lieben Verwandten war diesbezüglich nichts raus zu kitzeln. Sie ist sturer als ein Esel und unverrückbarer als ein Berg.“ Marbert musste ob dieses Wortspiels schmunzeln. „Na und Greifenstolz, die haben sich doch von den Vieroks kaufen lassen, wie die Belehnung von dem Schüpplitz gezeigt hat.“
„Auch die Weyringhauser Zuwendungen für Hallklee sprechen dafür“, ergänze Romelio.
„Richtig. Viel interessanter sind aber die Bündnisse außerhalb der Baronie.“
„Da wären für Vierok also Weyringhaus… und über den womöglich der Höllenwaller. Schließlich ist Orlans Zwillingsschwester mit dem Bluthund von Höllenwall verheiratet.“
„Wie ich sehe kennst du dich auf dem höfischen Parkett bereits bestens aus.“ Anerkennung lag in der Stimme Marberts. „Die Borstenfelds hingegen haben gute Verbindungen zum Haus Hirschfurten. Der Pfalzgraf von Goldenstein ist mit der Tochter von Waltrude von Borstenfeld verheiratet.“
„Sag mal“, Romelio hielt kurz inne, „auf wessen Seite stehst du eigentlich?“
„Haha, welch Frage. Ich schaue mir das Schauspiel aus der Ferne an. Aber sag junger Freund, wie steht dein Dienstherr Reto eigentlich zu dieser Sache? Und wie der Abt von Ancilla? In der Vergangenheit gab es ja gute Verbindungen zwischen dem Kloster und den Vieroks?“
„Reto hält es wie seine Dienstherren, er wartet ab. Und was das Kloster angeht: Soweit ich weiß, gibt es keine Verbindungen mehr nach Vierok.“
„Wie dem auch sei, lass uns nach Gerbaldsaue zurückreiten. Vierok ist zur Zeit kein Ort für uns.“
Die dumpfe Töne des St. Owilmar-Gonges begleiteten den Weg aus dem Tempel.