Geschichten:Eichen fallen - Mehr Birke als Eiche
Gut Golcker, Travia 1037 BF
Hoch beladen kehrten die schweren Wagen von den Feldern heim. Oben auf den schwankenden Heubergen saßen die wagemutigsten Bauern und beschwerten mit ihrem Gewicht die eingefahrene Ernte. Ein gefährliches, aber einfaches Werk – nachdem man fast einen Mond lang die Ähren gedroschen hatte, um die Scheunen des Junkers zu füllen. Eben jener, Alrik Leuwin von Trenck, stand am Rande des Gutes und hielt Aufsicht über das Werk seiner Leute. Seit einigen Minuten allerdings beobachtete er den einzelnen Reiter, der auf dem Weg von Schloss Trenck in gemächlichem Trab herüberkam. Ein Bote? Trenck sah, wie der Mann bei den ersten Bauern hielt, sich zur Frage herabbeugte; sah, wie die Bauern aufblickten und zu ihm herüber zeigten. ›Ein Bote. Für mich‹, dachte der Junker, rührte sich aber nicht, sondern ließ den Mann kommen. Wie er trug der Reiter einen breitkrempigen Hut gegen die Erntesonne. Der Mann mochte irgendetwas zwischen 40 und 60 sein – Pockennarben entstellten sein Gesicht und ließen es schwer lesen, sein Bart war graublond.
»Wohlgeboren?«, fragte der Reiter mit rauher Stimme, nachdem er bei Junker Trenck angelangt war. Er stieg nicht ab, sondern legte nur die Hände überkreuz auf das Sattelhorn.
»Hm?« Trenck mochte es nicht, wenn Leute kein Benehmen hatten, Dieser hatte keines.
»Ich habe eine Nachricht für Euch.« Mit diesen Worten langte der Mann geschickt hinter sich und fischte aus einer Satteltasche einen Umschlag. Auf diesem prangte das königliche Siegel.
»Seid Ihr ein Reiter der Krone?«, fragte der Junker, indem er den Umschlag annahm.
»Mitnichten, Wohlgeboren. Ich habe Order, Eure Antwort unverzüglich entgegenzunehmen.« Der Mann hatte erneut seine unbeteiligte Pose eingenommen und sah ungerührt auf den Junker herab.
»Ihr benehmt Euch ungehörig, Mann. Wer seid Ihr und wer schickt Euch?«
»Ich soll Euch an Euer zu Auenwacht gegebenes Versprechen erinnern: Den wilden Schweinen im Wald zu helfen, wenn diese es verlangten. Es ist soweit.«
Trenck zog eine Augenbraue hoch. Er brauchte einen Moment, um hinter der Chiffre das Wappen der Familie Borstenfeld zu entziffern. Dann erinnerte er sich daran, dass Junkerin Waltrude mit ihm und dem Greifenstolzer ein paar Abmachungen getroffen hatte. »Aha. Habt Dank.«
»Moment, Wohlgeboren. Die Antwort.«
»Dazu muss ich wohl erst einmal lesen, was in der Depesche steht, Mann«, gab Trenck ungehalten zurück.
»Es ist ganz einfach, Ihr sollt …«
»Ihr habt die Depesche gelesen?«, unterbrach der Junker.
»Natürlich. Salderkeims Schule: Bemühe dich stets, alle Fakten zu kennen. Immer. Alle.« Der Mann grinste und offenbarte ein strahlend weißes Gebiss, das so gar nicht in die dunkle Kraterlandschaft seines Gesichts passte. »Die Fakten sind diese: Man bitte Euch, Euren Vasallen, den Ritter von Achenpflock, zum Rösserkauf nach Perricum zu senden. Darin hat er ja Erfahrung.«
Trenck blickte misstrauisch. Die ganze Situation gefiel ihm nicht, zumal dieser Bote mit dem Gebiss eines Raubtiers die ganze Zeit auf ihn herabsah.
»Warum sollte ich Rösser kaufen wollen?«
»Wollt Ihr doch gar nicht. Ihr wollt nur Euren Vasallen nach Perricum schicken«, grinste der Bote.
»Und was soll ich dann in Perricum?«
»Er, nicht Ihr.«
»Gut, was also soll er in Perricum?«
»Sterben.« Das Wort hallte kurz nach. Trenck öffnete den Mund, um etwas zu sagen, beschloss aber, es sein zu lassen. Es wäre kein kluger Satz geworden. der Mann sprach weiter: »Der junge Vierok hat, als er noch das Schoßhündchen der Alriksmärkerin gewesen ist, dort unten in Perricum so manchen stolzen Nebachoten beleidigt. Eine Sippe hat ein hübsches Blutgeld für ihn ausgesetzt, wie wir erfahren konnten.«
»Was ist, wenn ich mich weigere?«
»Aber Wohlgeboren. Dann – das steht da übrigens nicht drin – werden wir der Goldenen Lanze stecken, dass das Silber, das Ihr seit einigen Jahren für den Schutz Eures Gutes abdrückt, von Euch … behandelt wird. Das hören die nicht gern, dass Ihr auf deren Kosten spart!«
Trenck resignierte. Er würde Ritter Celnidan in den sicheren Tod schicken. Warum nur hatte er stets das Gefühl, trotz seiner vornehmen Herkunft, seines unstreitbaren Reichtums und seiner weitreichenden Verbindungen dennoch keinen Handungsspielraum zu haben? Weil er nicht der höchste Baum im Wald war. Deshalb. Er war nur so etwas wie eine Birke neben mächtigen Eichen.