Geschichten:Ein Abend in Gareth
Gareth, Meilersgrund im Efferd 33 Hal
Es war der Abend des 30. Efferd. Im vierten Stockwerk eines heruntergekommenen Mietshauses, das normalerweise von Straßenhuren und ihren Freiern als Stundenhotel genutzt wurde, trafen sich zwei in dunkle Gewänder gekleidete Gestalten. Die Sonne neigte sich bereits dem Horizont entgegen und es roch erbärmlich. Aus einem der benachbarten Räume war brünstiges Stöhnen zu hören. Außer einem Bett, einem kleinen Hocker und einem Tisch war der Raum bar jeglicher Einrichtungsgegenstände. Die größere der beiden Personen hatte eine längliche Kiste auf den Tisch gelegt. Mit einem kleinen Schlüssel öffnete er die beiden fein gefertigten Schlösser und klappte den Deckel hoch.
„Voilá, da ist sie. Ich hoffe, ich habe Euch nicht zu viel versprochen, Comtessa.“ Die Angesprochene besah sich den Inhalt der Kiste genauer. Da drinnen lagen in einem Bett aus gepresster Baumwolle eine Schusswaffe und ein paar kleinere Gegenstände. Simiona nahm die Waffe vorsichtig heraus und betrachtete sie intensiv. Es war eine reich verzierte und mit Goldintarsien versehene Balestra aus horasischer Fertigung.
„Werte Comtessa, beachtet bitte die äußerst filigrane Form und die Verzierungen. Dieses Meisterwerk wurde perfekt an Eure Armlänge angepasst. Seht hier: dies ist der Magazineinschub. Ein Magazin fasst genau drei Bolzen. 24 davon wurden speziell für diese Waffe gefertigt und perfekt ausgewuchtet, dazu vier Magazine. Über dieses kleine Seitenfach können auch einzelne Bolzen nachgeladen werden. Für Schüsse auf große Entfernung kann vorne ein kleines Visierkreuz hochgeklappt werden. Nur zu, ladet sie ruhig einmal selber. Wozu wolltet Ihr sie denn eigentlich haben? Vielleicht zur Hasenjagd?“
„So kann man es auch ausdrücken.“ Simiona lächelte ihn an und nahm dann eines der Magazine heraus, welches sie sodann mit Bolzen bestückte. Sie führte es vorsichtig in den Einschub und lies den Verschluss einrasten. Dann zog sie behutsam den Spannhebel durch. Sie genoss das leise klickende Geräusch, welches einem wahren Meisterschützen Macht über Leben und Tod geben konnte. Dann hob sie die Waffe in Anschlag. „No, Monsieur ya Berylis, I`r `abt mir nischt zuviel versprochen. Sie liegt wirklisch `ervorragend im Arm. Isch `ätte auch nischt erwartet, dass sie so leischt ist.“
Simiona ging ans Fenster. Meilersgrund im Efferd war ein erbärmlicher Anblick. Die meisten der Häuser waren baufällig oder brüchig und in den Straßen sammelte sich der Unrat. Die wenigen abgerissenen Gestalten in den Gassen passten nur allzu gut ins Bild. Außerdem regnete es leicht. „I`r werdet sischer nischts dagegen `aben, wenn isch das letzte Lischt des Abends ausnutze, um dieses Prachtstück mal abzufeuern?“
„Aber selbstredend nicht, meine Teuerste. Worauf wollt ihr denn zielen? Wie wäre es mit der Tonne dort drüben im Hinterhof?“
„Soll das ein Scherz sein?“ entgegnete Simiona ernst.
„Verstehe, Ihr sucht ein schwierigeres Ziel. Nun, probiert es doch mal mit der kleinen Dachluke an dem Haus da hinten in der Gerbergasse.“
„Viel zu einfach. Aber se`t I`r den Straßenjungen, der dort unten mit dem verwanzten Köter spielt?“
„Natürlich… was habt ihr vor?“
Simiona stütze die Balestra auf dem Sims ab und ging in Anschlag.
„Ihr wollt doch nicht…“
Ein metallisches Schnappen war zu hören gefolgt von einem kurzen Surren und einem leisen Klacken und Hundegebell. Der Waffenhändler erschrak und blickte genauer hin.
„Oh, Ihr habt ihn verfehlt. Für einen Moment dachte ich schon…“
Während der Junge, der gerade einmal vielleicht elf oder zwölf Sommer zählte, sich zunächst erschrocken umblickte und dann die Beine in die Hand nahm, lud Simiona in aller Seelenruhe noch mal nach.
„Nun, isch `abe in der Tat vorbei gezielt, da isch i`n zuerst in Bewegung versetzen wollte.“ Sie klappte das kleine Visier hoch und ging wieder in Anschlag. „Dort drüben läuft er. Könnt I`r i`n se`en?“
„Ja, er ist gerade in eine Seitengasse eingebogen. Den sehen wir nicht wieder.“
„Abwarten. Achtet auf die Lücke zwischen den beiden mittleren Häusern ganz hinten links. Isch wette, er kommt dort gleisch vorbei.“
„Bei allem Respekt, aber auf diese Entfernung durch diese kleine Lücke eine vorbeilaufende Person zu treffen, dürfte absolut unmö…“ In diesem Moment schoss Simiona. Direkt darauf ertönte von fern ein kurzer Aufschrei, dann wurde es still. Ein paar Gassen weiter bellte ein Hund.
„Perfekt! Isch ne`me sie.“
Der Händler war bleich geworden.
„Gu.. gut, dann d…dreihundert Golddukaten wie abgesprochen.“
Simiona koppelte das Magazin aus, leerte es und legte dann Waffe und Zubehör behutsam in ihren Koffer zurück. „I`r se`t ein wenig blass aus, Monsieur. Ge`t es Eusch nischt gut?“
„Oh, es geht schon wieder. Die Luft ist hier alles andere als gut zu nennen, wisst Ihr?“
Simiona lächelte, dann öffnete sie ihre Tasche und holte fünfzehn blinkende Horasdor hervor, was vermutlich mehr Gold auf einem Haufen ergab als im ganzen Viertel zusammen zu finden war. „Dies entspricht exakt 300 Dukaten. Bitte se`r. Sollte isch noch etwas brauchen, werde isch misch melden. Und die besten Grüße an Meister Brombax, So`n des Rambosch, aus Schradok. Seine `andwerkskünste sind wa`rlisch Gold wert.
„Vielen Dank, ich werde Eure Grüße ausrichten.“
Der Händler verschloss die Kiste wieder, übergab den Schlüssel an Simiona, gab ihr noch einen dezenten Handkuss und nahm dann das Gold an sich. Als sie das Haus verließen beschloss die Comtessa noch, sich die Bolzen zurück zu holen, bevor die Büttel den Jungen fanden. Eine Leiche mehr oder weniger würde hier ohnehin niemanden interessieren.
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