Geschichten:Ein Ende mit Schrecken - Graf Drego vor Rubreth
Stadt Rubreth, Mitte Ingerimm 1043 BF
Reichsforster Heerlager vor der Stadt
Drego und seine Schar ritten unter der warmen Mittagssonne durch das große Heerlager vor den Toren der Stadt. Wider Erwarten waren es nicht die Kaisermärker Truppen gewesen die sie empfingen, sondern die wehenden Wimpel der Reichsforster Ritterschaft. Viele sahen überrascht auf, als die Neuankömmlinge vorbeiritten und begrüßten ihren Grafen freudig.
Ritterinnen und Knappen waren geschäftig dabei Rüstungen und Zaumzeug zu flicken, Lanzen zu spitzen und Schwerter zu schärfen. In einer kleinen Feldschmiede beschlug eine dralle Hufschmiedin Schlachtrösser im Akkord und aus den weit geöffneten Stadttoren kamen Karren mit Säcken voll Hafer, Trinkschläuchen und Lebenmitteln, welche sogleich in den ritterlichen Satteltaschen verstaut wurden. Viele Mädchen und Jungen, die an ihrer Kleidung unschwer als Bewohner der Stadt zu erkennen waren und anscheinend nichts besseres zu tun hatten, standen indes am Wegesrand und begafften aufgeregt schnatternd die bunte Rittergesellschaft. Insgesamt machte alles den Anschein, als wollte man alsbald aufbrechen.
Gerade als Drego sich von seiner Verwunderung erholt hatte und den nächstbesten Ritter nach dem Woher und Wohin befragen wollte, erhob sich unter dem Jungvolk am Stadttor ein lauter Jubel.
"Da ist er! Nimmgalf der Ritterliche! Nimmgalf der Retter! Der Heilige Nimmgalf! Gebt den Kaisermärkern Saures! Möge Rondra Euch behüten Herr!"
Tatsächlich kam Nimmgalf von Hirschfurten, gefolgt von einem halben Dutzend Ritter, durch das Tor geritten und hielt auf das Lager zu. Er grüßte jovial nach allen Seiten, während ein zufriedenes Lächeln seine Lippen umspielten. Der Ruf der hinter ihm reitenden Tsaiane von Talbach lenkte Nimmgalfs Aufmerksamkeit auf die Gruppe um Graf Drego. Der Befehlshaber des Reichsforster Grafenbanns war mindestens ebenso überrascht wie die restlichen Ritter und hielt sogleich auf Dregos Schar zu.
"Graf Drego", eröffnete er, als er sein Ross kurz vor der Gruppe halten ließ. Sein Blick verfinsterte sich einen Augenblick, als er die vielen unliebsamen Gesichter im Gefolge des Grafen erkannte. "Wir wähnten Euch auf Burg Luringen und haben Euer Kommen nicht erwartet. Umso mehr freut es uns natürlich, dass Ihr Euch uns hier anschließt"
"Es ist immer schön unter meinen wackeren Ritterinnen und Rittern zu weilen." Drego hob winkend die Hand in Richtung der Menschenmenge, welche Nimmgalf bis ebend zugejubelt hatte, die nun langsam näher kam und auch ihren Grafen euphorisch begrüßte, als sie ihn erkannte. "Ich vernehme den Worten der Leute, dass Ihr Euch wacker geschlagen habt?"
"Das Volk bejubelt schon immer gerne die Sieger", tat Nimmgalf die Szene achselzuckend ab. Er war dergleichen von seinen Turnierauftritten zu genüge gewohnt. "Ich traf gestern im Morgengrauen mit der Vorhut hier ein, als die Kaisermärker sich in der Nacht gerade abgesetzt hatten. Offensichtlich haben sie eingesehen, dass sie ohne schweres Gerät nichts gegen Tor und Mauern ausrichten konnten, zumal beides durch unsere Truppen gut besetzt war. Wie es scheint, hatten sie keine große Lust auf ein Treffen mit den Reichsforster Rittern."
"Da ist Euch Euer Ruf wohl vorausgeeilt und hat die Herzen Eurer Feinde schwach werden lassen." Graf Drego klopfte Nimmgalf anerkennend auf die Schulter. "Wahrhaft der Stoff für ein weiteres Heldenepos!"
"Ihr habt die Kaisermärker also entkommen lassen und tut Euch jetzt an ihrer Statt an des Grafen Eigentum gütlich?", mischte sich da der Langenlob bissig in das Gespräch ein. "Oder wollt Ihr bestreiten, dass jene Weinschläuche dort aus den Vorräten Rubreths stammen?"
"Mitnichten", entgegnete Nimmgalf. Er sah den Emporkömmling und besten Freund Graf Dregos mit einer Mischung aus Verachtung und Abscheu an. "Landvögtin Erlenfall war so gütig unserer Bitte nachzukommen und die Ritter des Grafenbanns zu proviantieren. Wir sind schnell und mit wenig Gepäck aus Allenstein aufgebrochen, um Rubreth Entsatz zu bringen."
Das die von ihm selbst protegierte neue Landvögtin seinem Konkurrenten so übereifrig unter die Arme gegriffen hatte ärgerte Rudon enorm, doch das war etwas worum er sich später kümmern würde. Jetzt galt es erst einmal Nimmgalf das Zepter des Handelns aus der Hand zu nehmen, bevor er sich zu sehr als Volksheld aufspielen konnte. "Wo wolltet Ihr denn so gut versorgt hin? Zurück nach Hirschfurten, um dort eure eigenen Kammern damit zu füllen?"
"Das ist doch unerhört!" Nimmgalfs Gesicht nahm den Farbton einer reifen Tomate an, während er den Luringer Landvogt wütend anfunkelte. "Wie könnt Ihr Lump es wagen! Seid froh, dass Ihr nicht satisfaktiosfähig seid, sonst..." In diesem Augenblick hatte Junkerin Talbach ihr Ross neben den Hirschfurten gelenkt und legte ihm beruhigend die Hand auf den Schwertarm, woraufhin der Baron schwer atmend verstummte.
"Aber wo wollt Ihr denn nun mit meinen Truppen hin, Nimmgalf?", meldete sich jetzt der Graf in die eintretende unbehagliche Stille hinein unsicher zu Wort.
"Natürlich den Kaisermärkern hinterher! Was habt Ihr denn geglaubt?" Der Hirschfurtener war noch immer erzürnt und sein Tonfall seinem Lehnherrn gegenüber noch gerade angemessen. "Nach allem was wir wissen sind sie recht langsam unterwegs. Sie haben kaum berittene Einheiten und führen das ganze Plündergut mit sich, welches sie auf dem Weg hierher erbeutet haben. Wir dagegen werden mit der Reiterei über sie kommen. Die Eindringlinge mögen heute einen Tag Vorsprung gewinnen, doch spätestens vor den Rakulahöhen werden wir sie wieder einholen und zum Kampf stellen."
"Und was lässt Euch glauben, dass ihr mit den Kaisermärker Spießbürgern und Armbrustschützen so einfaches Spiel haben werdet?", ließ sich erneut Graf Dregos engster Freund vernehmen. "Oder denkt Ihr ernsthaft, dass sie vor dem 'heiligen Nimmgalf' einfach die Waffen strecken werden?", spottete der Langenlob bissig.
"Wir werden sie auf Hirschfurtener Landen stellen. Meinen Ländereien!" Nimmgalf hatte seine Ruhe und Selbstsicherheit inzwischen wiedergefunden und antwortete Rudon mit einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, dass er zu jemandem weit unter seinem Stand sprach. "Ich und meine Ritter kennen dort jeden Pfad und Steg und werden sie mit Sicherheit überraschen können."
"Na bravo, der Herr Baron möchte höchstselbst den Späher geben", spöttelte Langenlob zurück.
"Sehr gut, Nimmgalf", nahm Graf Drego schnell den Faden auf, bevor der Disput erneut eskalieren konnte. Der Unfrieden zwischen seinen beiden engsten Beratern war ihm sehr lästig. "Dann sollt Ihr morgen erneut unsere Vorhut führen, wenn ich im Morgengrauen den Ritterbann zur Jagd auf die Kaisermärker nach Hirschfurten befehle."
Das süffisante Grinsen Langenlobs in Dregos Rücken machte Nimmgalf halb wahnsinnig, doch beherrschte er sich und gab seinem Lehnsherrn die gebührliche Antwort. "Wie Ihr wünscht, Euer Hochwohlgeboren", presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, wendete schwungvoll sein Pferd und entschwand zu seinem Zelt inmitten des Heerlagers.
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Die Schlacht von Auetal | ▻ |