Geschichten:Ein Kressenburger Sommer - Ancoron
Dramatis Personae
+++
Sie hatte ihn nun doch erwischt. Ancoron befand sich in einem Wäldchen unweit der Ortschaft Kressenburg. Im Grunde hatte er es schon immer gewusst, dass dies einmal so kommen würde. Er war einfach zu impulsiv und von Bestrebungen getrieben, die niemals die seinen sein würden. Aber was sollte nur aus Travian werden. Was für ein blöder Name, dachte sich der Haindiener. Warum in Sumus Namen hatte er ihm nicht wenigstens einen vernünftigen Namen gegeben – aber was ja noch nicht war, konnte ja noch werden. Also schnappte sich der mittelalte Mann seinen Wanderstab und Ausrüstung und stapfte gen Kressenburg, um zu sehen was geschah.
Einige Tage später fand Ancoron wieder seinen Weg zurück in den Wald. Er wusste schon, warum er dieses Leben so sehr schätzte. Die Menschen waren einfach… na ja, es lohnte sich nicht darüber aufzuregen. Doch während ihn der Tod des anderen Druiden nicht wirklich berührte, war diese Möglichkeit bei dem Jungen eine ganz andere. Er sah nicht gut aus dort am Pranger. Ancoron begann mit der Meditation. Einige Zeit später, mögen es Minuten oder Stunden gewesen sein erhob sich vor ihm eine Gestalt aus Erde, frischem Grün und bunten Blumen, welche in etwa die Statur eines großen Baumes hatte. „Ich möchte, dass Du Dich um den Jungen, der in der Stadt dort am Pranger steht kümmerst, Sprossenmeister. Nähre ihn mit Früchten und halte ihn am Leben. Nebenbei ärgere die Menschen ein wenig, indem Du totes Holz wieder Leben lässt.“ „Nur zu gerne Herr“, ertönte die erdende Stimme des elementaren Meisters. „Ich werde in einigen Tagen in die Stadt kommen und Dich um einen weiteren Gefallen bitten. Mach Dir bis dahin ein Bild von dem Jungen, der die Kraft in sich trägt.“ Kaum merklich nickte der mächtige Elementar und ging wieder in das Element ein, aus dem er kam.
Einige Tage später in Kressenburg Ancoron schlenderte über den Marktplatz, bei dem der Junge ‚aufgestellt’ war. Er sah gut aus, stellte der Druide fest. ‚Sprossenmeister’ hatte wahrhaft großartiges geleistet. Augenscheinlich schien auch er gut zu heißen, dass Ancoron ihn befreien wollte. Der Druide gab viel auf das Urteil dieses Wesens, denn schon des Öfteren haben sie einander geholfen. In zwei Nächten würde es soweit sein, dass er ihn holen würde. Den heutigen Abend verbrachte Ancoron unter Menschen und genoss geradezu die Reden die gehalten wurden. Von den gar seltsamen Geschehnissen um das wachsende und austreibende Holz des Scheiterhaufens. Ancoron lächelte, ‚Sprossenmeister’ hatte tatsächlich Sinn für Humor.
Am frühen Morgen des 16. Praios Nebel lag über dem Land. Kein ungewöhnlicher Nebel, sondern ganz gewöhnlicher Nebel wie er manchmal vorkam in diesem Land. Ungewöhnlich war nur die Jahreszeit. Die Wachen am Tor der Stadt Kressenburg zogen die Mäntel enger – „Welch ekliges Wetter heute morgen“, meinte der eine. „Und dies mitten im Praios“, der andere. Und doch nahmen sie es hin. Was hätten Sie auch dagegen tun können in ihrem Nichtwissen, wie sich die Kräfte der Natur beeinflussen ließen. Undeutlich schien sich der Nebel zu verdichten und der Wächter konnte fast nicht bis auf die gegenüberliegende Seite der Straße sehen. Ein kleiner Windzug jedoch verschaffte fast Augenblicklich mehr Sicht. In der Umgebung des, neue Triebe bildenden, Prangers verschelchterte sich die Sicht zunehmend, bis ein Mensch kaum noch seine eigene Hand vor Augen sehen konnte. Travian, der noch immer hier angekettet auf seine endgültige Verurteilung wartete fühlte Angst in sich aufsteigen und er begann zu schwitzen obwohl ihm kalt war. Aus dem Nebel sah er, wie sich ein Gesicht schälte. Seine Augen blickten in das Antlitz eines gütigen Mannes der ihm nur einen Augenblick später eine Hand reichte, die aus dem Nebel zu entstehen schien. Ohne bewusst darüber nachzudenken ergriff Travian die Hand und fühlte sich von einem Augenblick auf den anderen kalt, luftig und unglaublich leicht. Sein Blick erfasste die gesamte Umgebung und er erinnerte sich daran, dass ihm sein toter Lehrmeister von solchen Zaubern der Druiden berichtet hatte.
Das Praoismal stieg über den Horizont und tauchte den Nebel, der über dem Ort Kressenburg und dessen Umgebung lag in ein fahles, weißes Licht. Immer schneller zerfaserte der Nebel unter der Kraft der sommerlichen Scheibe, welche die Lichtung und die beiden Personen die dort inmitten des nahen Waldes standen in ein bezauberndes Zwielicht tauchte. Ancoron legte seine Hände auf die Schultern des zerbrechlich wirkenden Jungen, „Du wirst mein Schüler sein und dem Dienst der Zerstörung abschwören! Die Manipulation und die Kraft dient einzig und allein dem Schutz des Waldes, den Tieren und derjeniger, die sich um die Aspekte des Lebens verdient gemacht haben.“ Travian spürte den Ernst dieser Situation. Würde er hier fehlen, so würde, sein Leben hier und jetzt enden. Würde er hier lügen, käme die Verdammnis nur etwas später über ihn. Doch er war froh über die zweite Chance, die Mutter Sumu ihm gab. „Ich bin Dein Schüler!“ sagte er und hatte damit alles gesagt was gesagt werden musste. Sein neues Leben begann hier und jetzt.
Sprossenmeister lächelte. Auch wenn dies niemand der vielen Menschen drum herum sehen konnte. Sie umringten ihn alle ohne zu wissen was oder wer er war. Nun war doch noch glatt einer dieser Zweibeiner umgefallen. Ob er sich wohl so gefreut hatte, die wahre Natur auf diesem ansonsten toten Platz zu sehen. Wenn dem so war, so wollte er die Menschen nicht enttäuschen und während der Tag vorüber ging ließ er langsam aber beständig Wurzeln aus dem Holz, welches an diesem Ort zusammengesammelt war, Wurzeln sprießen. Das Eichenholz des Prangers erwachte im wahrsten Sinn des Wortes zu neuem Leben, wuchs und bildete neue Borke. In der Nacht verwandelte sich der Pranger vollends in einen starken Baum, der etwas mehr Umfang aufwies als der Pranger breit gewesen war. Gleichzeitig schoss er in die Höhe und bildete ein dichtes Blätterdach. An dem Morgen danach verließ Sprossenmeister den Ort seines Werks. Er war sich sicher, dass die Menschen diesen Baum, diese Kraft des Lebens schätzen würden. Lediglich die eingewachsenen Kettenglieder erinnerten noch an den einstigen Pranger.