Geschichten:Ein Traum wird wahr - Teil 10
Selbstzufrieden lächelnd stand ein nicht mehr ganz so junger Nebachote am Rande des Übungsplatzes. Sein langes glänzendes schwarzes Haar wehte leicht im Wind. Die gebogene Nase verlieh ihm einen verwegenen Ausdruck gepaart mit dem glutvollen Blick seiner dunklen Augen und dem gepflegten Kinnbart. Mit stolzgeschwellter Brust beobachtete er die Krieger und Kriegerinnen wie sie angespornt durch die von ihm in Aussicht gestellte Freizeit für den Sieger des Wettkampfes ihr Bestes gaben. Selbst Altgediente, die sich in letzter Zeit unter Malinas nachlässiger Hand einiges herausgenommen hatten, legten sich mächtig ins Zeug. Man konnte an den hochroten Gesichtern deutlich deren fehlende Kondition erkennen, doch ihre Erfahrung machte diesen Makel zumindest hier auf dem Übungsplatz meist wieder wett. Das war ein erster Anfang, doch die Truppe musste noch einiges leisten bevor se wieder in Form waren.
Plötzlich traf ihn unvermittelt ein heftiger Schlag auf die Schulter. Ärgerlich drehte er sich um. Dort stand sie, sein Gestalt gewordener Alptraum- Hauptfrau von Niederriet! Ihr blonder Haarschopf glänzte wie Honig im fahlen Licht der Sonne. Ihre Gesichtszüge waren weicher geworden. Ungewöhnlich war auch, dass sie seit der Ankunft A'urels nicht mehr im Kettenhemd unterwegs war, sondern in durchaus weiblichen Gewändern. Einzig ihr Mantel war der Alte. „…welch Überraschung euch hier zu sehen!" konnte Sayid dennoch nicht umhin ihr spöttisch zu entgegnen. Ihr selbstzufriedener Ausdruck war durchaus mit dem Seinen zu vergleichen. Ihr sonst in seinen Augen so unattraktives Gesicht hatte gerade einen verblüffend milden Ausdruck, was die Narbe und das meist säuerlich dreinblickende Antlitz fast vergessen machte. Fast! Rief er sich in Erinnerung. Zu lange waren sie hier schon in innigem Hass aneinander gekettet in ihrem Bemühen dem Landvogt zu dienen und den Pass zu sichern. Innerlich jubelte der Weibel, da diese verhasste Verkörperung Raulscher Werte und adliger Anmaßung in Liebe mit einem Nebachoten entbrannt war- zwar ausgerechnet dem jüngsten Sohn des Marbans, der arme Tropf- doch er hoffte dass Aldron nun einen besseren Hauptmann anstellte als diese junge Frau es gewesen war. Gut, er musste ihr zugestehen, dass sie ohne Zweifel mutig war, sich mit in die Kämpfe an vorderster Front gestellt hatte. Nicht umsonst zierte sie nun eine Narbe den ihr einer der Totenbeschwörer verpasst hatte. Aber alle weiteren Makel ihrer Person waren ihm nur zu gut in Erinnerung geblieben. Die Arroganz- die Art wie sie ihn tagtäglich hatte spüren lasen, dass er nicht adliger Abstammung war und froh sein durfte unter ihr zu dienen. Die Geringschätzung seiner Person und seiner Kultur. Wie oft hatte sie von den Nebachoten nur als tumben Bauern gesprochen. Am liebsten würde er ihr hier und jetzt noch einmal die Meinung sagen. Direkt, und unverblümt…Doch er wollte abwarten, was sie zu ihm führte.
Sie musterte ihn. Eisblaue Augen ruhten auf seiner Person. Ihre Blicke kreuzten sich schließlich. Lange, zu lange wie er fand. Eher ein Kräftemessen als ein üblicher kurzer Augenkontakt. Was führte sie nun wieder im Schilde? „Eigentlich merkwürdig welche Pfade die Götter uns weisen…!" „Ähm…?" war daraufhin alles was der Weibel wenig geistreich und schlagfertig antworten konnte. Sie schüttelte nur kurz den Kopf. „Ich will nicht lange um den heißen Brei herum reden Weibel Sayid, ich bin befördert worden, was eure Position hier", sie wies mit einem spöttischen Lächeln auf die kämpfenden Männer vor sich, „jedoch kaum beeinflussen wird. Der Landvogt ist sehr traditionsbewusst und ich kann mir kaum vorstellen, dass er sich Neuerungen gegenüber so offen zeigt, dass es einem Gemeinen zugesprochen wird hier auf dem Arvepass als Hauptmann den Dienst zu verrichten. Aber ich habe mich nicht nur einmal im Leben getäuscht, ich denke vielleicht hat das Leben auch für euch noch eine Überraschung parat."
„Doch ich wollte nicht gehen, ohne ein paar Dinge gesagt zu haben, ich bin mir sicher es ergeht euch ebenso." Gehen? Schoß es ihm durch den Kopf? Also würde sie tatsächlich mit dem jungen Brendiltalter in die Ebene gehen? Bewusst langsam trat sie sehr nahe an ihn heran, sodass kein anderer verstehen konnte was gesagt wurde. Sie deutete ihm anklagend mit ihrem behandschuhten Zeigefinger auf die muskulöse Brust. „Du hast mir von Anfang an hier keine Chance gegeben zu beweisen was ich konnte. Du hast von Anfang an meine Autorität untergraben und die Fronten die hier ohnehin zwischen Nebachoten und Perricumern herrschten noch verhärtet. Ich war so dumm mich auf dieses Spiel einzulassen, dabei war es doch eigentlich nur ein Problem zwischen mir und …dir." Ein kaltes Lächeln hatte sich auf ihr Gesicht geschlichen und die Augen, die inzwischen eher zu Schlitzen verengt waren machten deutlich wie wenig sie für ihren Weibel übrig hatte. „Wenn du einmal deinen männlichen Stolz hättest beiseite lassen können wären wir vielleicht gemeinsam zu dem Schluss gekommen, dass wir vereint ein gutes Team für die Truppe gewesen wären. Aber meine Unerfahrenheit und deine Probleme mit Adligen und der Standesordnung die im Mittelreich nun einmal herrscht machte das unmöglich." Ihre Nasenflügel bebten vor unterdrückter Wut. Allein wenn sie daran dachte welche Spitzfindigkeiten ihren Alltag bestimmt hatten, hätte sie schon viel früher durchgreifen müssen, doch dafür war es nun zu spät. Es sei denn sie konnte ihn so sehr reizen, dass er sie angreifen würde. Sie verwarf diesen Gedanken jedoch sogleich wieder. Was würde es ihr denn noch nutzen? „Nun werde ich meiner eigentlichen Bestimmung und meinem Herzen folgen. Ein Wink des Schicksals, den ich trotz anderer Erfahrungen annehmen werde. Ich bin kein Hasenfuß, darum werde ich meine Schritte nach Brendiltal lenken und dort den neu gegründeten Waffenbund als Feldrittmeisterin befehligen." Sie kostete die Überraschung ihres Gegenübers weidlich aus. „Und? Was hast du mir noch auf den Weg zu geben?" Trotz der enormen Überraschung die ihm sowohl die harschen Worte der Hauptfrau als auch die Eröffnung über die Art ihrer Beförderung anging beschert hatte, war er keineswegs so überfahren, dass er ihr einfach nur ein gutes Restleben hätte wünschen können.
Diese Viper besaß doch tatsächlich die Unverfrorenheit, ihm allen Ernstes ihr eigenes Unvermögen was Menschenführung anging unterzujubeln. All die aufgestaute Wut und der Frust vergangener Monde entlud sich nun.
„Du, du bist hier angekommen, und hast geglaubt Rauls Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Du hast immer die Männer so eingeteilt, dass sich die einen bevorzugt und die anderen übervorteilt vorkamen. Gleichheit in den Diensten war dir einerlei. Soviel zum Thema Menschenführung und Vertiefung der Gräben innerhalb der Truppe. Ich habe dich mehrfach gewarnt, dass du mit deiner Liebe für die Reiterei die wichtigen Dinge nicht siehst, und dass die, dir dir vorne herum nach dem Mund reden sich hinten deinem Rücken über deine Dummheit lächerlich machen. Du hast dir in der Zeit hier nicht die Mühe gemacht die Menschen hier kennen zu lernen, und dir ihre Probleme anzuhören, du warst viel zu sehr mit deinen eigenen beschäftigt. Aber von einer Adligen kann man wohl kaum etwas anderes erwarten. Du glaubst allein deine Geburt war schon Anlass genug dir Dere gefügig zu machen. Ich hingegen habe mir die Sporen redlich verdient. Wäre ich adliger Abstammung hätte ich dich bei weitem schon überflügelt, bei dem was ich geleistet habe." Als er diese Worte ausgesprochen hatte war ihre Hand automatisch zu ihrer Leibesmitte gewandert und gedankenverloren hatte sie ihre Rechte auf den festen Unterbauch gelegt. Irritiert nahm der Weibel diese Geste zur Kenntnis, ließ sich aber nicht beirren und fuhr in seiner Tirade fort. „„Pah- du hast keine Ahnung von Infantrie und A'urel kann von Glück sprechen, dass du nun die Reiterei befehligen wirst. Da wirst du wenigstens mit Leib und Seele dabei sein." Schwer atmend kam er zum Ende und erwartete ihre Replik. Doch sie schaute ihn nur erstaunt an. Wie immer hatten Wahrheiten zwei Seiten. Und hier standen sie wie die zwei Seiten einer Münze sich einander gegenüber. Sie hatte reinen Tisch machen wollen, und nun war alles gesagt. Ob ihre gegenseitigen Vorwürfe beim jeweils Anderen etwas bewirken würde blieb abzuwarten. Müde streckte sie ihm die Hand entgegen. „Vielleicht sehen wir uns einmal wieder Weibel Sayid ibn Jarrah. Ich hoffe wir haben hiermit unseren Frieden gemacht und ihr wünscht uns und unserer kleinen Familie ebenso alles Gute, wie wir es euch wünschen."
Jetzt erst glomm der Funke des Verstehens in den Augen des Weibels auf. Sie war in gesegneten Umständen! Daher dieser plötzliche Sinneswandel. Von der Viper zur beschützerischen Löwin? Seine Wut war durch dieses reinigende Wortgewitter auch gemildert worden und auch er war des Streitens müde geworden. Er verstand ein Stück weit Malinas Wunsch nach Frieden und Familie. Wie lange redete er schon auf Leila ein…. Fest umfasste er ihre Hand mit seinen starken Händen und wünschte ihr zuerst in seiner Heimatsprache und dann auf Garethi alles Gute für ihre Zukunft in Brendiltal. Sie nickte ihm noch einmal freundlich zu, und ging dann weiter zu den Ställen- sie hatte noch eine Trennung vor sich.