Geschichten:Ein Traum wird wahr - Teil 5
Bereits einen Tag später rittenA'urel und sein Bruder Ra'oul gen Perricum, setzen bei Dergelmund über den Darpat über und eilten weiter gen Arvepaß. Sie hatten vor möglichst schnell vorwärts zu kommen und ritten daher nur mit wenig Bedeckung. Lediglich fünf Ammayin (Krieger), ein Knecht und eine Dienerin die zumindest für etwas Bequemlichkeit sorgen sollten und sie um die Packpferde, sowie den Auf- und Abbau der Zelte zu kümmern hatten, begleiteten sie.
Zunächst kamen sie gut voran. Praios' Antlitz strahlte zwar hoch am Himmel, doch wurde es oftmals von einigen kleinen Wolken verdeckt, so dass es nicht zu heiß wurde. Später jedoch schienen die Götter A'urel von seiner Malina abhalten zu wollen, öffnete der Himmel doch seine Pforten und goss das Wasser gleich Eimerweise über sie. "Warum muß äs eigentlich immär regnän, wenn ich gän Pass raite? Als wenn äs so schon nicht schlimm genug fir mich wäre." Knurrte der Baronett zu Brendiltal, während A'urel sie zu immer größerer Eile antrieb. Die Ungeduld des jüngeren Nebachoten wurde schließlich so schlimm, dass Ra'oul für einen Moment seinem Ärger freien Lauf lies und seinen Bruder ordentlich anfuhr. "Du kommst schon noch zu Dainär Malina!" Herrschte er ihn an. "Und wuann Dir bis dahin Dain Gemächt zu sähr anschwillt, das Du nicht mähr raiten kannst, dann opfäre eben mit Aynur hier der Härrin Radscha odär ich machä Dir eigenhändig einen Knotän rein." Dabei deutete er auf die Dienerin, die bei diesen Worten kokett auf den Boden sah.
Von diesem Augenlick an, hielt A'urel sich etwas zurück, da er fürchtete, dass sein Bruder im Stande war seine Drohung wahr zu machen, zumal die Ammayin auf Ra'oul und nicht auf ihn - A'urel - hören würden. Seufzend gab er nach, auch wenn er - zumindest für einen kurzen Augenblick - auf das Angebot mit Aynur zurück kam.
Markgrafschaft Perricum, Burg Angareth am Arvepass, Mitte Travia 1032
Das Grenetal zeigte sich von seiner ungnädigen Seite, als der kleine Reitertrupp endlich den südlichen Ausgang des berüchtigten Passes in Sichtweite hatte. Von den Hängen pfiff der erste Vorbote der nahenden Winterstürme kühl hinab und peitschte den schon den ganzen Tag über fallenden Nieselregen den Reisenden aus dem Süden ins Gesicht. Der Karrenweg war aufgeweicht und die stete Gefahr, dass eines der Tiere sich vertrat und mit dem Huf ausglitt, verlangte hohe Wachsamkeit.
Im fahlen Mittagslicht kam schließlich die Schutz verheißende Burg ins Ziel: Auch bei diesem Wetter, über das Ra'oul nicht müde wurde zu hadern, hoben sich die trutzigen weißen Mauern um den gewaltigen Mittelbergfried von dem dahinter liegendem Berghang ab. Nur mühsam waren die blauen Wimpel an den Zinnen der Türme zu erkennen, die sich nicht recht entscheiden konnten, ob sie wild im Wind flattern wollten oder lieber tropfnass herunterhängen.
Zu Füßen Angareths duckte sich das Dorf Heerelagen. Die Rauchschwaden der entzündeten Kamine wurden von der Witterung niedergedrückt und zogen durch die einzige Strasse des Ortes. Glücklicherweise mussten die Ankömmlinge das Dorf nicht durchqueren, sondern bogen vorher auf den steilen Pfad ab, der sich auf den Burgfelsen hinauf wand.
Dort waren sie schon lange bemerkt worden. Allerdings war die Sicht so schlecht gewesen, dass man erst geruhte, dem Landvogt Bericht zu erstatten. Hauptmann Ortho Grützberg vom achten Banner ließ sich im Dienst so schnell nicht aus der Ruhe bringen, erst recht nicht von einer kleinen Gruppe Reiter, die sich aus Süden näherte. Schließlich jedoch, als man genaueres wusste, schickte er einen Soldaten los, die Beobachtungen der Wache nach oben weiterzumelden:
"Herein!", kam die barsche Aufforderung von hinter der wuchtigen Tür. Kaum war er eingetreten, wurde der Soldat von Aldron gemustert, der mit Hilfe einiger Kerzen das trübe Licht aufbesserte und gerade dabei war, einige Papiere durchzugehen. Innerlich machte er sich die Notiz, dass er den Hauptmann einmal wieder bezüglich der Disziplin seiner Leute ermahnen müsste. Die Bombardiere neigten zu einer in seinen Augen etwas laschen Art der Bewegung. "Melde, da sind ein paar Reiter auf dem Weg hierher. Neun ums genau zu sagen, die meisten bewaffnet. Die Wache sagt, ein paar hätten die Farben Gelb und Schwarz dabei. Hauptmann meint, seien wohl Aranier oder Novadis vom Putz her."
Aldron verwarf den zwischenzeitlichen Gedanken, einer seiner zahlreichen Verwandten käme ihn besuchen. Aus dem südlichen Teil Perricums indes kannte er auf Anhieb eine Familie, die seine Wappenfarben teilte. Kurz rechnete er nach: Für den wahrscheinlichen Fall, dass nach der Feststellung bestimmte Umstände mit dem nächstmöglichen Botenreiter ein Brief Angareth verlassen hatte, dann mochte diese Ankunft, ein verständlich eiliges Marschtempo vorausgesetzt, einen gewissen Zusammenhang haben. Es erschein ihm sogar wahrscheinlich.
"Frau von Seehof soll sich darum kümmern, dass ausreichend Quartiere bereit sind. Außerdem Bescheid in der Küche, entsprechend Verpflegung für die Gäste bereitstellen. Goswin soll den Saal herrichten lassen und mich umgehend aufsuchen." Nach einem kurzen Augenblick des Nachdenkens setzte er hinzu. "Und Nachricht an die Hauptfrau des zweiten Banners, eine Gruppe vermutlich nebachotischer Gäste wahrscheinlich aus Brendiltal sei auf dem Weg hierher. Sie soll sich entsprechend bereitmachen."
Nachdem der Soldat, nun vom knappen Befehlston aufgerüttelt etwas zackiger seinen Abgang gestaltet hatte, ordnete Aldron noch die Papiere zu zwei sauberen Stapeln auf dem Tisch, strich sich seinen Waffenrock glatt und erhob sich, um sich auf den Empfang der Gäste vorzubereiten.