Geschichten:Ein letzter Wunsch - Kreuzung aus Praios und Hesinde
Kasenam, Hochsommer 1043 BF
„Nein!“, rief Perjida langgezogen, entnervt und laut. „Lass die Finger von den Reben! Ich weiß schon, was ich tu, und Mutter Peraine weiß es auch.“
„Nicht besser?“, hakte Zarahja schnippisch nach.
„Doch, natürlich. Peraine weiß alles besser!“ Perjida wischte sich die graue Strähne aus der Stirn. Ihr Kopf glühte hochrot und ein Sturzbach aus Schweißperlen rann ihr in den Kragen der Geweihtenkutte.
„Alles? So ,so“, grinste Zarahja gedehnt, „ist schon klar. Peraine ist so etwas wie die Kreuzung aus Praios und Hesinde. Weiß alles besser. Und wenn nicht, hat sie trotzdem recht. Pfff.“ Ihre wegwerfende Handbewegung hatte so viel Eleganz und Grazie, dass die ganze Gestalt am Weinberg deplaziert wirkte: Zierlich, grazil und so leicht bekleidet, wie es einer Rahja-Geweihten geziemt, nicht aber einer Weinbäuerin. Als genau das aber stand sie hier und stritt sich mit der alten Peraine-Geweihten darüber, wie man die Reben wässern, binden, hegen und pflegen sollte, wenn er Sommer trocken bleiben sollte. Eigentlich war es egal, denn die beiden stritten über alles. Immer. War wohl so eine Generationensache.
Zarahja wandte sich zum Gehen, als ihr Blick auf ein seltsames Paar fiel, das hinter dem Zedernhain den Hang hinabkam. „Perjida, guck!“
„Was ist schon wieder, hä?“ Perjida beschattete die Augen mit der Hand. „Oh, sieht aus wie zwei abgerissene Wanderer.“
„Der eine sitzt auf einem Pferd, Perjida, das ist kein Wanderer.“
„Pferd? Schindmähre! Außerdem sitzt der nicht, der hängt.“
„Wir wollen nicht streiten. Die beiden brauche Hilfe.“ Zahraja ging den Pfad voran den beiden Männern entgegen, Perjida eilte hinterher und ächzte in der Hitze, die der jungen Rahja-Geweihten nichts auszumachen schien.
Schindmähre. Das traf nicht nur auf das Pferd zu, sondern auch auf den Reiter und den Mann mit den gebundenen Händen, der sich an einer Kette hinter dem Pferd herschleppte. Der Reiter hielt sich kaum noch auf dem Pferd. Die Augen und der Mund waren verklebt, die Haut, die Hosen, der Staubmantel und der Hirtenhut verdreckt und staubig. Der Klepper pfiff auf dem letzten Loch und schien nur voran zu kommen, weil es bergab ging. Der Mann dahinter stolperte über jedes Steinchen. Seine Schuhe waren erbärmlich zerschlissen, Hose und Rock hingen in Fetzen. Das graue Haupthaar und der fusselige Bart starrten vor Dreck. Er schien alle Kraft verloren zu haben bis auf den kargen Rest, den er brauchte, um einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Die beiden Frauen erschraken. Die beiden Männer hielten an. Der eine ging zu Boden, der andere rutschte vom Pferd und tat es ihm gleich. Das Pferd schien die Befreiung von seiner Last zum Anlass zu nehmen, allen Anstand fahren zu lassen, und fiel um.
„Oh Schreck! Schnell, hol Hilfe aus dem Dorf!“, rief Zahraja und eilte zu dem Reiter.
„Wieso ich? Geh du, du läufst schneller als ich!“, entgegnete Perjida und wandte sich dem Gefangenen zu. Zahraja schluckte ihr Entgegnung hinunter und rannte tatsächlich schnell ins Dorf, um Hilfe zu holen.