Geschichten:Ein neuer Gutsherr – Katerstimmung
Wehrturm Silzstein, Gräflich Silz, 20. Praios 1046 BF:
Mit einem veritablen Kater und nicht zu knapp verschuldet – die Lokalrunde im Brauhaus Usla war dann doch ausschweifender gewesen als sein Geldbeutel es erlaubt hatte, machte sich Odilbert von Esch auf, um sein neues Amt anzutreten. Dabei dröhnte es durch seinen schmerzenden Kopf, warum gerade er für diese Aufgabe ausgewählt worden war und so richtig konnte er sich keine Antwort darauf geben.
Sein Weg führte ihn erstmal über Keilerhof und Essebeck nach Sitzstein. Dort traf er auf eine große Prozession, die von Silz kommend, zum namensgebenden Silzstein gepilgert war – in Gedenken an die erste Offenbarung des Korgonder Altars der gerechten Herrschaft. Hier wurde des Erscheinens des Elementes Humus gedacht. Der Gedenkzug war ein Zeichen von Ehrerbietung und Demut gegenüber dem Land, das die Menschen hier in der fruchtbaren Silzer Ebene an seinem Busen nährt und vor dem wuchernden Reichsforst schützte. Der Tag gemahnte die Herren des Landes an die gerechte Herrschaft und die Untertanen an Gehorsamkeit gegenüber ihren Herren. So war es an Landvogt Vallbart von Falkenwind, die rituelle Erneuerung seines Amtes am Silzstein zu vollziehen.
Odilbert von Esch verstand nicht viel von dem Korgonder Herrschaftsprinzip. Er wusste wohl vom Wiedererscheinen und der Verhüllung von Korgond vor ein paar Götterläufen, aber so ganz begreifen konnte er das alles nicht. Bund mit dem Land? Was sollte das sein? Ein Bund mit den götterlosen Kreaturen des Waldes? Herrschaft ohne Praios? Das konnte nicht richtig sein. Unter der Elfengräfin hatte jedoch der Gedanke an diesen Bund mit dem Land und der gerechten Herrschaft in einigen Gegenden Waldsteins, besonders im Zentrum und im Osten, unter Adligen und Untertanen einigen Zulauf erhalten.
Auf dem Weg nach Silz folgte er dem Gedenkzug mit etwas Abstand. Im Hauptort der gräflichen Lande angekommen, schloss er sich einem Handelszug des quirligen Halbelfen namens Isfarion Morgentanz an. Östlich von Silz durchquerte der Grafenpfad einige Meilen Reichsforst. Dieser Tage waren die Reisenden gut beraten diese Wegstrecke nur in großer Kolonne zu bereisen, drohten doch stets Angriffe von Wölfen oder gar Räuberbanden.
Der unterhaltsame Halbelf hatte so mache Geschichte über den wuchernden Wald zu berichten, aber auch einiges an Klatsch und Tratsch zwischen Falkenhof und Zweiflingen, sowie Osenbrück und Leihenbutt. Wie es schien, war es schwieriger und vor allem gefährlicher geworden, durch den Reichsforst zu reisen. Viele Handelsrouten waren für Wagen nicht mehr passierbar. Mit Unbehagen betrachtete Odilbert die verwachsenen Bäume, deren Kronen sich wie Häupter über den Grafenpfad beugten. Die einzelnen Zweige wirkten wie skelettierte Finger, die nach den Reisenden zu greifen schienen. In regelmäßigen Abständen passierten sie Wegsteine, die mit sonderbaren, elfisch anmutenden Zeichen versehen waren. Diese würden ein Zuwuchern des Weges verhindern, wusste Isfarion zu berichten.
Dorf Waldhus, Gräflich Silz, 21. Praios 1046 BF
Wenige Meilen östlich von Storchenhain verließ Odilbert den Handelszug. Von nun an hieß es den Verlauf des Tannenbachs zu folgen. Wege oder Pfade suchte man hier vergebens. Nach sieben oder acht Meilen querfeldein erreichte der alternde Mann schnaufend eine Hand voll windschiefe Bauernhäuser. Das musste Waldhus sein. Das Bauerndorf lag nur wenige Meilen vom gräflichen Gut Tannenquell entfernt und gehörte ebenfalls zur gräflichen Domäne, die er künftig verwalten sollte – wie Odilbert aus seinem Amtsschreiben erfahren hatte. Seine Blicke wanderten umher, welch trostloser Anblick. Die Bauernhäuser waren in keinem guten Zustand. Die Äste eines Baums streiften ächzend die Wand eines Hauses. Das Vieh sah ausgemergelt aus, Menschen jedoch sah er keine. Wo waren die Bauern, fragte er sich, als er durch das kleine Bauerndorf schritt.
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