Geschichten:Ein neuer Knappe für Hartsteen - Teil 2

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17. Peraine – Reise


Die Reise von Neufelden nach Rommilys war ruhig verlaufen. Allerorten war der Frühling erwacht, die Feldblumen schmückten die Wege wie ein buntes Band. Aber auch die Ruinen der vom Krieg zerrütteten Bauernstellen und die zum Teil nur ärmlich wiederhergestellten Bauten sprachen eine andere Sprache. Die Landleute bei der Feldarbeit entboten den Reisenden den ihnen zukommenden Gruß. Die Farben Neufeldens waren bekannt genug, so dass misstrauische Blicke unterblieben. Einmal mehr wurde Aljasha deutlich bewusst, dass Neufelden eine Oase relativen Friedens in den Wirren der letzten Jahre geblieben war: Zerstörungen und Plünderungen waren größtenteils unterblieben und die Leute unter der Obhut des Vogtes Helmar von Fuchsbach hatten ein Auskommen.

Im Marktflecken Neuborn, der sich jetzt erst langsam von der mehrfachen Drangsalierung erholte, wurde Rast gemacht, der Schulze lud die Reisenden sogar zu einem kurzen Umtrunk ein und erkundigte sich nach dem Ziel der Reise und beglückwünschte Redwic, als er erfuhr, dass es nach Oberhartsteen gehen sollte.

Alsbald befahl Aljasha den Aufbruch und am Nachmittag hatten sie Rommilys erreicht und die Frage tauchte auf, ob sie in den teuren Herbergen der Stadt einkehren oder die Reichsstraße hinab nach einer Unterkunft Ausschau halten sollten.

„Was meinst Du, Redwic, sollen wir auf der Reichsstraße noch ein Stück weiter in die Mark reiten, oder willst Du hier in Rommilys übernachten?“ fragte Aljasha den Jungen.

„Wir könnten in der Darpatperle bleiben, Aljasha. Vater hat mir noch ein wenig Wegegeld mitgegeben.“

„Nee, nee lasst mal, junger Herr. Es gibt doch auch günstigere Häuser als die Perle hier in Rommilys.“

„Dann würde ich noch ein Stück reiten und eine Herberge an der Reichsstraße suchen.“

„Gut, dann reiten wir.“

Kurze Zeit später verließen sie die Stadt durch das Garether Tor in Richtung Hohenstein. Der Verkehr hin zur Stadt war beträchtlich, etliche schwer beladene Gespanne und Karren kamen den beiden Reisenden entgegen.

Es dämmerte schon, als sie eine Herberge erreichten, die müden Pferde in die Obhut einer Stallmagd gaben und sich nach einem kleinen Abendessen bald zur Ruhe begaben.

Doch das bierselige Lachen der Fuhrleute unten aus der Schankstube und das leise Schnarchen Aljashas im anderen Bett der Kammer ließ Redwic lange wach liegen und nachdenken. Sicher, sein Vater hatte einiges erzählt über die göttliche Ordnung, den Grafen von Hartsteen - auch dass sein künftiger Lehrer nicht der einzige war, der diesen Titel für sich beanspruchte - und wie man sich in dessen Gegenwart verhielt. Onkel Dankwart hatte eher praktische Tipps gegeben: wie man eine lange nicht benutzte Kettenrüstung poliert, eine Laute richtig stimmt oder sich ohne Zuhilfenahme der Steigbügel in den Sattel schwingt. Mutter hatte ihn in den letzten Wochen kaum aus den Augen gelassen, ihn immer wieder ermahnt, ein guter Junge zu sein und keine Schande über seine Familie zu bringen. Sein Bruder Freder schien sich einerseits gefreut zu haben, dass sein kleiner Bruder in Knappschaft gehen sollte, andererseits schien er mit den Göttern zu hadern. Das von Pferdehufen zerschmetterte Knie und der nahezu unbrauchbare rechte Arm ließen seine Ausbildung zum Kriegsmann nicht zu, weswegen Vater ihn in die Obhut der Traviakirche gegeben hatte. Und Stemma? Seine Schwester hatte lange nichts mehr von sich hören lassen. Oben im Gebirge, bei der Baronin Galana von Gorbingen absolvierte sie seit gut einem Jahr ihre Knappschaft. Die Leute erzählten allerhand Geschichten über das raue Bergvolk der Trollzacken und die Schrecken jenseits der hohen Gipfel. Redwic hoffte, dass es ihr gut ging.

Bevor er unter die wärmenden Decken geschlüpft war, hatte Redwic einen Blick in das Bündel geworfen, dass sein Onkel Dankwart ihm mitgegeben hatte. Darin befanden sich zwei Dinge: die eiserne Spitze eines Armbrustbolzens an einem Lederband und ein Oktavbüchlein, eingebunden in Leder mit metallenem Verschluss, beschrieben in einer kleinen engen Schrift, die er nur schwer entziffern konnte.

Redwic kannte den ersten Gegenstand: der Bolzen hatte Freder während eines Kampfes mit den Leuten der Mersingen getroffen, war mitverantwortlich dafür, dass er jetzt hier lag und nicht sein älterer Bruder. Das Büchlein würde er später bei gutem Licht zu lesen versuchen, obwohl sich der Junge fragte, warum sein Onkel ihm dieses Geschenk mitgegeben hatte. Aber Dankwart verschenkte nie etwas ohne Grund….

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„Aufstehen, junger Herr!“ Aljasha rüttelte Redwic wach. „Die Praiosscheibe ist schon über den Bergen. Und wir wollen doch deinen Herrn nicht warten lassen.“

Schnell sprang Redwic aus dem Bett, warf sich seine Sachen über und folgte Aljasha nach einem Imbiss zu den Pferden. Noch vor der Praiosstunde erreichten die Reisenden den Hohenstein und die Brücke über die Natter und von ferne ragten die Türme, Dächer und Zinnen von Oberhartsteen auf.

Aljasha deutete in diese Richtung und meinte grinsend: „Dort, junger Herr,dort erwartet euch euer Schicksal.“

Viel Volk hatte sich an der Brücke versammelt, eine lange Schlange von Ochsenkarren und Handfuhrwerken. Offensichtlich konnte die Rabenbrücke, die wenige Meilen vor der Grenzstadt Rabensbrück zu Garetien gelegen war, den Ansturm der fahrenden Händler, die die Reise durch das Hartsteensche zu vermeiden suchten, nicht verkraften. Die einspurige, aus schwarzen Basalt gebaute Brücke wies zudem schon erhebliche Schäden auf, hatten sich doch auch hier die Schlunder Barone, allen voran der Baron von Hartsteen, gegen die Schergen Asmodeus erfolgreich zur Wehr gesetzt.

An ein schnelles Überqueren der Brücke war nicht zu denken, stets durfte nur ein Fuhrwerk die Brücke passieren, um danach einem anderen der Gegenseite Platz zu machen. Der Zöllner an der Brücke, ein untersetzter, mürrischer Mann, hatte alle Hände voll zu tun, den Verkehr zu regeln und gleichzeitig den fahrenden Händlern ihren Zoll abzuknöpfen.

"He, kann er uns nicht schnell über die Brücke lassen, wir sind nur zwei Reisende zu Pferd!" rief Aljasha, ein wenig genervt von dem langen Warten dem Mann zu.

Knurrig kam die Antwort: "Ihr seht, es gibt alle Hände voll zu tun. Stellt Euch hinten in die Reihe und wartet, bis Ihr an der Reihe seit!" Und er wendete sich wieder einem Händler zu, den er aufgefordert hatte genaue Angaben über den Inhalt seines Wagens zu machen.

Aljasha kannte den Zöllner schon von ihrem zweiten Ritt nach Hartsteen in Begleitung Helmars von Fuchsbach. Damals hatte er ohne Zögern Platz geschaffen, als sie über die Brücke wollten, und sich vor dem Herren von Neufelden sogar verbeugt. Der Kerl schien sich nunmehr aber noch mehr Zeit zu lassen, um die angegebenen Waren genau zu kontrollieren. Die Brücke blieb währenddessen frei und es wäre einfach, hinüber zu gelangen, während der Zöllner mit dem Krämer beschäftigt war. Zwei Möglichkeiten kamen ihr in den Sinn: Einerseits war er Amtmann des Hartsteeners. Es wäre nicht unbedingt klug, Redwic bereits belastet am Hofe des streitenden Grafen einzuführen. Besser war also, sich fügen. Andererseits könnte sie dem Kerl eins für seine Frechheit überbraten oder ihn zumindest zusammenstauchen, dass er es wagte, die praiosgefällige Ordnung so zu missachten, zumal vor den Augen der anderen Fuhrleute und Reisenden.

Aljasha unterdrückte ihren aufwallenden Zorn und wollte ihr Pferd schon zurück in die Warteschlange lenken, aber Redwic hielt sie zurück.

„Na schön, wenn er meint …“ rief er dem Zöllner so laut hinterher, dass alle Umstehenden es gut hören konnten. „Aber ihm sei versichert, dass wir seinem Herrn mitteilen werden, wie sich sein Dienstmann gegenüber einem anderen Herren von Stand verhält, und mag er auch noch so jung sein. Alle anwesenden sind hiermit Zeugen, dass er einem Knappen des Grafen und Barons von und zu Hartsteen die schuldige Ehrerbietung verweigert und ihn auf dem Weg zu seinem Herrn in unbilliger Weise behindert. Und ich glaube nicht, dass seine Hochwohlgeboren diese Haltung gut heißen wird.“

Die Worte von Helmars jüngstem Spross verfehlten ihre Wirkung nicht. Aljasha wusste nicht, was dabei mehr Eindruck machte: die Nennung des Namens des streitenden Grafen oder die angedeutete Drohung in Redwics Worten. Die Gesichtsfarbe des Zöllners wechselte zu einem Kreidebleich, um dann in ein Puterrot umzuschlagen, als er die unsicheren Blicke der anderen, nunmehr geradezu servil Platz machenden Reisenden, auf sich spürte. Redwic setzte mit zufriedener Miene sein Pferd in Richtung Brücke in Bewegung und Aljasha folgte ihm. Als die Norbardin am Zöllner vorüber kam, drückte sie ihm vom Pferd herab noch das Wegegeld in die leicht zitternde Hand: „Vielen Dank, oh sehr geschäftiger Aufseher der Brücke. Mögen Weisheit und rechtes Augenmaß Euch allzeit zur Zierde gereichen.“

Nachdem die beiden Reiter die Brücke hinter sich gelassen hatten und wieder allein auf der Straße waren, meinte Aljasha: „Das hast du wahrlich nicht schlecht gemacht, Redwic. Allerdings finde ich, dass es einen Unterschied macht, ob man schon Knappe des Hartsteeners ist, oder erst werden will.“

„Ich schätze, jetzt muss ich tatsächlich Knappe von Hochwohlgeboren Luidor werden. Denn die Brücke wieder zu überqueren, ohne es wirklich zu sein, empfände ich als zu große Schmach.“

„Ich hoffe, seine Hochwohlgeboren verzeiht dir deine Anmaßung.“

„Dazu muss er wohl erst einmal um sie wissen, oder?“ Der Junge grinste schelmisch.

„Ich an deiner Stelle wäre mir nicht so sicher, dass er von dieser Sache nicht Wind bekommt. Es waren ja genügend Leute dabei, die das weiter erzählen können.“

Da hast du wohl nicht unrecht, Aljasha.“ Das Grinsen in Redwics Gesicht wich einer nachdenklichen Miene.

„Vielleicht solltest du ihm selbst davon berichten und um Verzeihung bitten. Mehr als dich ordentlich ohrfeigen und nach Hause nach Zapfenschlag oder Neufelden zu schicken wird er ja kaum tun….“

„Was ich gerne vermeiden würde.“

„Aber es ist besser ehrlich nach Hause kommen, denn als Lügner zu gelten, meinst du nicht?“

„Ich werde mir etwas überlegen.“

Schweigend setzten sie ihren Weg fort, bis sie an das Stadttor Oberhartsteens gelangten. In den schmalen überfüllten Gassen des Ortes herrschte überall geschäftiges Treiben. Eine Gruppe von bunt gekleideten und gut bewaffneten Gesellen - Söldner - kam ihnen entgegen. Ein Reiter, offenbar ein eiliger Bote, preschte an ihnen vorüber und Aljasha wurde beinahe von dem Schwall einer achtlos aus dem Fenster gegossenen Waschschüssel getroffen. Sie kamen am Pranger gegenüber dem Stadthaus vorüber, in den drei Tagediebe und Bettler eingespannt waren. Ein paar Gassenjungen machten sich offenbar einen Spaß, sie zu ärgern, indem sie aus einiger Entfernung mit Pferdemist auf sie warfen, wobei sie schließlich von einem Büttel verscheucht wurden. Schließlich ließen Redwic und Aljasha die Enge hinter sich und gelangten auf die freie Fläche direkt unterhalb der Burg, die auch als Marktplatz diente, denn hier befanden sich sowohl die große Waage als auch einige Verkaufsbuden auswärtiger Händler und Kaufleute. Gar zu gerne hätte sich Redwic hier, wie schon in Rommilys, noch ein wenig länger umgesehen, doch Aljasha blieb unbeugsam und so schlugen sie den steil ansteigenden Weg zum mit einer Doppelwache besetzten Burgtor ein. Dort wurde ihnen beschieden, abzusitzen und ihr Begehren vorzutragen. Redwic überreichte ein Schreiben seines Vaters und kurze Zeit später wurden sie eingelassen und in Richtung Palas geführt.