Geschichten:Ein neuer Knappe für Hartsteen - Teil 3
Burg Oberhartsteen, 18. Peraine - Die Ankunft
Von einem Lakaien in Uniform wurden sie in einen kleinen, hübsch eingerichteten Salon geführt und ihnen zu Verstehen gegeben, dass sie sich einige Zeit gedulden sollten, bis der Herr Graf sich ihnen annehmen könne. Redwic bemerkte an der Miene des Dieners eine gewisse Nervösität, und offensichtlich waren alle Personen auf Burg Oberhartsteen etwas unruhig.
Sie saßen lange Zeit in dem Salon, und als Redwic schon befürchtet hatte, man habe sie vergessen, betrat eine junge Magd den Raum, entschuldigte sich höflich und teilte ihnen mit, dass Luidor von Hartsteen heute nicht empfangen würde. Beiden Reisenden sei ein Zimmer bereitgestellt worden, man habe ebenfalls ein Abendessen für sie vorbereitet. Sie habe Befehl, die Herrschaften ensprechend zu ihren Räumen zu begleiten.
Aljasha und Redwic folgten der Magd durch die Korridore zu einer Kammer, wo ihr Reisegepäck schon vor ihnen hintransportiert worden war. Auf dem Tisch wartete neben einer mit dicker Erbsensuppe gefüllte Schüssel und Brot ein großer Krug voll Bier. Ohne große Worte verspeisten die beiden ihr Abendessen, nachdem die Magd sich mit dem Hinweis verabschiedet hatte, dass sie bei weiteren Wünschen in der Gesindestube unten nachfragen sollten.
„Es ist sonderbar, dass wir hier allein essen, Aljasha.“
„Warum?“
„Bei uns zu Hause, da essen doch alle zusammen. Es ist doch erstens viel unterhaltsamer in der Gemeinschaft und zweitens macht es weniger Arbeit, wenn man nicht alles einzeln durch die Gegend tragen muss. Die Suppe hier ist zum Beispiel fast kalt.“
„Die hohen und feinen Herren sehen das vielleicht ein wenig anders, was die Unterhaltung und die Arbeit ihrer Dienerschaft betrifft, Redwic.“
„Oder es hat noch einen anderen Grund.“
„So?“
„Naja, vielleicht will man nicht, dass wir bei den anderen sitzen…“
„Ich an deiner Stelle würde mir darüber vielleicht nicht solche Gedanken machen. Sonst kannst du bloß nicht schlafen.“
„Ach… da sind sie jetzt sowieso.“ Redwic stand auf und ging zur Tür.
„Wo willst du hin?“
„Meine Neugier befriedigen, damit ich besser schlafen kann heute Nacht.“ Er öffnete die Tür.
„Mach keinen Ärger!“ rief ihm Aljasha nach, als der Junge um die Ecke bog. Schnell lief er die Stufen hinab und trat durch eine Seitentür in den Burghof, auf dem trotz der fortgeschrittenen Tageszeit rege Geschäftigkeit herrschte. Redwic sah sich um und entdeckte nah an der Burgmauer zwei Burschen, die unter der Aufsicht und den spöttischen Kommentaren eines vernarbten Recken mit Übungswaffen auf einander losgingen. Redwic beschloss, einem jäh aufflackernden Verlangen folgend, seinen Rundgang ein wenig zu verschieben und ging zu den Kämpfenden hinüber, um sie weiter zu betrachten.
"Deckung hoch!", raunzte der Recke den kleineren der beiden an. "Helmbrecht, Du bist ja offen wie eine Hafendirne aus Perricum!" Seinem Kommentar folgte ein dreckiges Meckern, was wohl eine Art Lachen sein sollte.
Der angesprochene Junge wurde rot im Gesicht und biss die Zähne aufeinander, als ihn ein harter Hieb mitten in die Magengegend traf.
"So, genug ihr beiden, der Graf will bestimmt nicht, dass sich seine Knappen gegenseitig umbringen."
Zufrieden machte sich der Ausbilder auf in Richtung Palas, als er von der Tür den beiden noch zurief: "Ab zum Essen! Und dass ihr Eure Stiefel schön bürstet!"
Helmbrecht, sich noch den Bauch haltend, und sein Kampfgenossen begannen ihre Sachen zu ordnen und in das Wirtschaftsgebäude aufzubrechen, als sie ihren Altersgenossen Redwic im abendlichen Schatten stehen sahen. Beide schauten sich kurz an und liefen dann zu ihm hinüber.
"Die Zwölfe zum Gruß", gab ihm der größere der beiden die Hand. "Mein Name ist Adhumar von Windischgrütz und das ist Helmbrecht von Steinfelde|Helmbrecht von Steinfelde." Helmbrecht gab Redwic ebenfalls die Hand. "Wer bist Du und woher kommst Du?"
Redwic ergriff die ausgestreckten Hände: „Redwic von Fuchsbach heiße ich und komme geradewegs aus Neufelden.“ Und als er die fragenden Blicke bemerkte schob er zur Erklärung hinterher: „Das ist in Neuborn, bei Rommilys.“
„Und was will ein Darpate hier in Oberhartsteen?“, fragte der Windischgrützer, „Etwa außereheliche Enthaltsamkeit predigen? Ich glaube, da wirst du hier nicht viel Erfolg haben.“
Irritiert blickte ihn Redwic an. „Nein. Für so was ist mein Bruder Freder zuständig, wenn überhaupt. Ich bin hier, um Knappe des Grafen zu werden.“
„Du willst hier Knappe werden? Ich glaube nicht, dass Seine Hochwohlgeboren andere als echte Hartsteener in Knappschaft nimmt! Also, weswegen bist du wirklich hier? Bist du am Ende vielleicht sogar ein Spion der Quintian-Quandts?“
„Ich werde Knappe von Hartsteen. Mein Vater hat den Grafen gefragt und der hat zugestimmt. Das kannst du mir ruhig glauben.“
„Warum sollte man einem Darpaten glauben? Jeder weiß doch, dass sie es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.“
„Wer sagt das?“ Redwic bemerkte das fast unmerkliche Kopfschütteln des Helmbrecht von Steinfelde nicht.
„Ich sag das“, geradezu freudig kamen die Worte über die Lippen des Windischgrütz.
„Und du nimmst es nicht zurück?“
„Nein.“ Die Herausforderung war nicht zu überhören.
Redwic holte aus, um Adhumar eine zu verpassen, doch der andere war schneller und trat Redwic die Beine weg, so dass er das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte. Im Nu war der andere auf ihm, doch bevor er Redwic mit Schlägen eindecken konnte, erschallte ein gellender Pfiff. Der vernarbte Waffenmeister hatte den Vorgang bemerkt und kam schnellen Schrittes näher: „Windischgrütz, die Waffenstunde ist vorbei!“ Und mit einem kurzen Blick auf den am Boden liegenden Redwic: „Wie wäre es, wenn du zur Abwechslung mal richtige Gegner herausfordertest, Adhumar? Mal davon abgesehen, dass sich kein Hartsteener Knappe wie ein Bauernlümmel prügelt. Und jetzt ab mit euch!“
Adhumar stand auf und trat Redwic dabei, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der vernarbte Recke sich wieder entfernte, in die Rippen. „Wir sehen uns.“ Und schlenderte davon.
Recwic richtete sich auf und klopfte den Dreck aus den Kleidern, da bemerkte er den Steinfelder, der ihn mit schräg gestelltem Kopf ansah. „Was ist? Willst du’s auch noch probieren, mich zu verhauen?“
„Zumindest heute nicht, nein. Willkommen auf Oberhartsteen, von Fuchsbach.“ Er drehte sich um und lief dem Windischgrützer hinterher.
Wütend schaute Redwic den beiden hinterher. Was bildeten die beiden sich eigentlich ein? Und ein Bauerntölpel war er schon gar nicht. Das würden sie schon noch sehen!
So mit sich selbst und seinen Gedanken beschäftigt, stieß er ungewollt mit der jungen Magd zusammen, die ihm und Aljasha Mitteilung gemacht hatte. Erschreckt ließ sie den Kübel Wasser fallen und sein Inhalt bildete einen Sturzbach, welcher sich über den halben Hof ausbreitete.
"Oh, verzeiht! Es tut mir leid", versuchte Redwic dem Mädchen wieder auf die Beine zu helfen. Die Magd schien etwa vierzehn Götterläufe zu zählen, war von schlanker, edler Figur und unter ihrem dichten roten Haar, welches sie zu einem schweren Zopf geflochten hatte, schauten Redwic aus einem Sommersprossengesicht ein paar kecke Augen an.
"Es ist schon gut, ist ja nichts passiert. Muss ich eben nochmal zum Brunnen runter", sie nahm den Kübel wieder am Henkel und machte sich auf den Weg den Hof hinunter. Sie hatte einige Schritte getan, als sie sich halb zu Redwic umwendete und ihm zurief: "Aber helfen könntest Du mir schon, wenn Du auch keine Augen im Kopf hast!"
Unschlüssig stand Redwic da. Seine Gedanken rasten. Er hatte das Mädchen schon vorhin ansprechen wollen, aber sich in Aljashas Anwesenheit nicht getraut. Andererseits wollte er sich aufgrund seines Verhaltens nicht wieder als Bauernlümmel beschimpfen lassen. Aber die Neugier siegte. Schnell vergewisserte sich Redwic, dass der Windischgrützer und der Steinfelder verschwunden waren. Die Magd hatte sich wieder auf den Weg gemacht, da rief ihr Redwic nach: „Warte, ich komme mit!“
„Lauf doch schneller, oder bist du lahm, dass du mich nicht einholen kannst?“ warf sie über die Schulter.
Der Junge stürmte hinterher. Als er sie erreicht hatte, drückte sie ihm den Henkel des Eimers in die Hand: „Hier! Der Brunnen ist da drüben.“
Redwic sah sich noch einmal um, ob nicht jemand zuschaute.
„Was ist mit dir? Hast du Angst, du könntest wieder mit jemandem zusammenstoßen?“
„Nein… Aber dafür, dass ich dir hier den Eimer trage, könntest du mir vielleicht ein paar Dinge erklären.“
Sie zuckte die Achseln: „So lange es nicht um Bienen und Blüten geht….“
Redwic schaut sie verständnislos an: „Wieso?“
„Man merkt wirklich, dass du aus Darpatien bist“, sie grinste, „Was willst du sonst wissen?“
„Die beiden, die vorhin Kampfübungen hier im Hof gemacht haben… kannst du mir etwas über sie erzählen?“
„Die? Das waren Adhemar von Windischgrütz und Helmbrecht von Steinfelde. Hohe Herrschaften. Die zukünftige Blüte der Hartsteener Ritterschaft und wahrscheinlich ebenso die zukünftigen Schrecken aller Frauen und Mädchen im weiteren Umkreis. Entweder bist du einer von ihnen, oder du willst mit ihnen nichts zu tun haben, du verstehst?“
„Nicht wirklich. Woher willst du das alles über ihre Zukunft wissen? Kannst du etwa hellsehen? Bist du am Ende eine Hexe?“
„Hellsehen kann ich nicht. Ich bin auch keine Hexe oder Zauberin. Aber es ist immer dasselbe mit den hohen Herren, sagt meine Tante.“
Sie kamen am Brunnen an und Redwic ließ den an einer langen Kette befestigten Schöpfeimer in den tiefen Schacht hinunter. Aus den Augenwinkeln betrachtete er die junge Magd, die sich an den Brunnenrand gelehnt hatte und eine ihrer roten Haarsträhnen aus dem Gesicht strich.
„Und wer bist du dann?“
„Ich bin Khorena. Ich helfe hier und da auf der Burg des Grafen.“
Weit unten füllte sich der Eimer mit Wasser und Redwic begann, an der Kurbel zu drehen, um den vollen Eimer nach oben zu ziehen.
„Kannst du mir dann auch sagen, was hier los ist? Als wir ankamen, schien mir große Aufregung zu herrschen. Außerdem wundert mich, dass wir gesondert von dem Rest der Leute hier zu Abend speisen sollten.“
Sie winkte ab: „Du hast mir jetzt schon einige Fragen gestellt, aber ich weiß noch gar nichts von dir. Außer dem natürlich, dass du aus Darpatien kommst, was mir der Kammerdiener und deine Art zu sprechen verraten haben. Also?“ Khorena hievte den gefüllten Schöpfeimer über den Brunnenrand.
„Ich bin Redwic von Fuchsbach. Ich will Knappe beim Grafen werden.“
Ein weiterer Sturzbach ergoss sich in den Hof, als die junge Magd zum zweiten Mal den Eimer fallen ließ. Dem folgte ein wütendes: „Heuchler!“ Dann machte Khorena auf den Hacken kehrt und stürmte davon. Der überraschte Redwic wollte noch hinterher rufen, dass sie ihren Eimer vergessen hätte, aber ließ es dann bleiben. Langsam ging er über den Hof zurück und in die Kammer, die Aljasha und ihm für die Nacht zugewiesen worden war. Wieso sollte er eigentlich ein Heuchler sein? Und überhaupt, so was Eingebildetes. Dennoch fiel es ihm schwer, nicht andauernd an die Haarsträhne zu denken, die sich die Magd aus dem Gesicht gestrichen hatte, während sie am Brunnen lehnte. Zum Glück war Aljasha nicht da, um Fragen zu stellen, als er die Kammer betrat. Grübelnd setzte er sich auf die Fensterbank und sah zu, wie der Schatten der Nacht aus dem Osten langsam höher kroch.