Geschichten:Ein schöner Bart zu dieser Zeit – Ritter des Bauches
Baronie Sebarin, Burg Blutwacht, Anfang 1044 BF
“Marascha, shek al’ Waharis (Wächter der Mauer)! Vor Euch steht Can han Rab’a Enock, Ammayin und Sharu’ben (Junker) von She’bahat. Ich verlange meine Tochter zu sehen, so lasst mich ein!”, in heldenhafter Pose und voller, althergebrachter, nebachotischer Rüstung stand Can vor dem Tor von Burg Blutwacht, welche eher ein imposant-wehrhaftes Gut war. Dennoch musste Can Hals und Blick weit nach Oben recken, um die Krieger auf den Zinnen fixieren zu können, dazu blendete ihn die Sonne. Um ihn herum wussten einige Dorfbewohner Feshavens nicht, wie ihnen geschah und hielten besser gebührenden Abstand von dem riskanten Unterfangen des Junkers, warfen nur selten skeptische bis besorgte Blicke hinüber.
Keine Reaktion. Can, in den Farben Schwarz, Gelb und Weiß, das weiße Bartwappen auf der Brust, das Familienwappen auf einer Schärpe, über ihm ein langes Wimpel und Bänder wehend, zog seine geschwärzt-goldene Schuppenrüstung und den Überwurfmantel zurecht. Alles saß nicht mehr so gut - die Jahre und seine kulinarischen Experimente forderten ihren Tribut. Was ihn zusammen mit der Ignoranz der Torwächter dort oben doch etwas verdrießlich werden ließ. Nochmals wiederholte er seinen Ausruf, mit freundlicher Vehemenz, seine Schnurrbart zuckte erregt.
“Ahlan, Sharu’ben al’ H’junga (Junker des Hungers)! Habt Ihr eine Audienz bei der Shari’sad al’ Havshal (Tänzerin des Verstandes)?”, dröhnte es, mit kaum verhaltenem Lachen, von den Zinnen der Burg und es brauchte kein Wissen in der Nebachotischen Sprache, um zu erkennen, mit welchem Hohn diese Worte gesprochen wurden.
Can blinzelte gen Mauerzinnen, die Sonne machte es nur schwer möglich die dreisten Männer, die sich nebachotische Ammayin (Krieger) schimpfen und dieser Bezeichnung spotteten, auszumachen. Doch er meinte drei dort Oben stehen zu sehen unter ihnen das feiste Gesicht, des hünenhaften Fabilan von Turatal, der Schande dessen Familie.
Und noch bevor er seiner Forderung noch mehr Nachdruck verleihen konnte, spottete der Turataler Vogt und “Pferdekenner" höchstselbst hinab zu ihm:
“Oder schickt Euch Eure andere Shunila (Tochter), ‘die Fleckige’ höchst selbst, auf diese Queste? Sie ist doch eine Förderin großer Heldengeschichten.” Die respekt- und ehrlosen Krieger lachten, bei dem Heldenvergleich, was ihren Herren nur noch weiter anstachelte. “Aber wenn ich es mir Recht überlege, wäre eine Vereinigung der altedlen Familie Rab’a Enock wahrlich ein Hochgenuss. Der Sharu’ben al’Hjunga, die Mara(bena) Ef’leke und die Shari’sad al’ Hayshal. Vielleicht könnt ihr auch gleich noch euren Sohn, den “La’kai al’akghokghok” (Lakai des Gockels) aus den Fängen des Narren befreien, den Ihr Euren Schwiegersohn nennt. Welch eine Zusammenkunft, da möchte man dem Zirkus doch glatt die Tore öffnen, um das zu sehen. Doch ich fürchte, die teure “Mara ay Ze’barin” ist zu beschäftigt in ihren Gemächern und kann Euch nicht empfangen, als Vater und Edelmann wisst Ihr natürlich, welche schweren Lasten auf den Schultern ihrer Hochgeboren lasten. Also trollt Euch, Ruthar’a Bauhrin (Ritter des Bauches) und/oder ich sage “Langh läbär diä Fläk’kige.” Der gespielt überzogene Nebachotendialekt des Raulschen, war natürlich Spott, des Nebachoti sprechenden Vogts auf der Mauer.
Während sich der arrogante und verächtliche Turataler also von den Zinnen wegdrehte, ergossen sich seine vermeintlichen Krieger erneut in lautem Gelächter und unflätigen Gesten, wie albern anzusehendes Trommeln auf dem Helm und dem Nachgeahme von Hufgetrappel, was wohl eine Anspielungen auf das nebachotische Kampfrappen sein sollte, ohne dass es einer von ihnen beherrscht hätte.
Doch Can war tief getroffen, er war der freundliche Junker von Schönbartheim, doch so durfte niemand über seine Familie reden, vor allem nicht diese Schlächter und Kriminellen, Schergen des Bluthunds von Sebarin. Zorn war allerdings ein Gefühl, dass er kaum kannte und so übermannte es ihn und er brachte keine Entgegnung hervor, keine Offerte, keine Forderung zum Duell, nicht einmal ein ungezügelter Wutausbruch. Er stand einfach da und bebte im Gelächter der Mauerwachen. Selbst sein Schnurrbart blieb regungslos, wie ein ermattetes Wesen, das sich auf der Oberlippe des Mannes zum Ewigen Schlaf hingelegt hatte, getroffen von tausend Speeren.
Erst nach einiger Zeit, in der er einfach nur da stand und selbst die Wachen sich schon wieder von ihm abgekehrt hatten, konnte er langsam wieder klare Gedanken fassen. Sein erster war jedoch ein absurder - gerne hätte er diese Einfältigen und Verrohten mit einer List getäuscht. Von einer Konstruktion hatte er in einer Legende im Kolleg zu Sichlingen gelesen, bei der sich Krieger in einem vermeintlichen Geschenk in die Burg ihres Feindes eingeschlichen hatten, das die Form eines nebachotischen Kurzohren hatte. Doch diese Idee verwarf er wieder, waren doch nur er und sein Waffenknecht hierher gereist, der ausdruckslos neben seinem Herren stand - zu wenig.
Mit gesenktem Kopf stand er da, das hatte er sich anders vorgestellt. Er war eben doch nur der freundliche und sinnesreiche Junker von Schönbartheim und nicht mehr der große Krieger. Das hier war ein Kampf gegen Windmühlen, gegen die Mauern von Blutdurstigen und Verbrechern, ohne jegliche Ehre. Er war kurz davor diese Unverfroren dennoch zum Duell zu fordern. Wild und Kampfentschlossen zuckte der Schnurrbart, als ob er für jede Missetat bereit wäre.
“Warum zieht ihr so ein Gesicht, Mar’Hatah (Großvater)?”, dieser ebenfalls witzelnde, aber freundliche Spruch riss Can aus seinen Gedanken und er blickte hinauf in ein unerwartetes und verschmitzt drein blickendes Gesicht mit Schalk in den Augen, das zu einem stattlichen Krieger gehörte, der hoch zu Ross saß, in Begleitung zweier weiterer Krieger. Alle trugen sie das Zeichen der scharlachroten Hände. Der Krieger, der das Wort an ihn gerichtet hatte, war kein geringerer als Tar von Korbrunn, des Bluthunds und Barons Sohn und, nun ja, wenn man es genau nahm, Cans Enkel, auch wenn sie sich im Grunde nie gesehen hatten.
Can hob eine Augenbraue und auch sein Schnurrbart hob sich scheinbar überrascht. “Olumn al’ Scorpa (Sohn des Skorpions)! Mein Ban’bani al’ Kra (Enkel des Raben), was haben die Götter für einen eigenartigen Humor, dass wir uns hier und jetzt nahezu das erste Mal sehen mögen!”. Stellte der Junker schon fast mit einem Kopfschütteln fest. Er atmete tief durch, ehe er ansetzte, “Ich kam um Eure Mutter, meine Tochter, UNSER Fleisch und Blut zu sehen!”. Er ließ unwillkürlich die Schultern sacken, “Doch mir scheint die ‘’Ammayin’’”, Can spie das Wort so verächtlich aus, wie er es nur konnte, “verwehren mir den göttergegebenen Einlass”. Can wusste allerdings noch nicht wie sein “Enkel” tatsächlich zu ihm und der Situation stand, war er doch immer noch der Sohn des Bluthundes Al’Arik, doch wäre er nicht Can, wenn er nicht den Anflug von Hoffnung daraus ziehen könnte. Schlimmer konnte es ja wohl kaum werden, oder?
Tar, dessen Frage eher rhetorisch gewesen war, denn er hatte fast alles mit angesehen, war von der Offenheit des Mannes überrascht, den er eigentlich nur scherzhaft Großvater/Opa genannt hatte, auch wenn dies rein faktisch der Wahrheit entsprach. Aber irgendwie rührte es ihn, dass es anscheinend doch noch jemanden gab, der sich Gedanken um seine Mutter machte. Doch was hatte der Haselhainer sich dabei gedacht, hier einfach aufkreuzen? Was hatte er erwartet? Auch Tars Mannen hinter ihm grinsten, doch mit einer schlichten Handbewegung wies er sie an, dies zu unterlassen, ohne auch nur hinzusehen. Sie taten wie ihnen geheissen. Tar betrachtete Can etwas, er bemerkte, wie die Männer auf der Mauer erneut auf die Situation aufmerksam wurden, in Erwartung einer nächsten Demütigung. Eine solche wäre ein leichtes gewesen, doch in den gütigen Augen des Junkers mit dem Bart erkannte Tar die Augen seiner Mutter, bevor sie…nunja…bevor sie ihren Glanz verloren hatten. Er war hin und her gerissen, beschloß die Situation, aber für den Rabenstocker nicht weiter eskalieren und ihm einen Ausweg in Würde zu lassen. Er sprach deutlich, aber ruhig und leise, so dass die Männer auf der Mauer genug, aber eben nicht alles mitbekommen würden: “Sharu’ben ay She’bahat, Euer Wohlgeboren, Hatah der Mara ay Ze’barin, Euer Ansinnen ehrt Euch in hohem Maße, doch ihr wisst schon auf wessen Land Ihr euch hier befindet? Es ist das Land des BarBar’Tar (Bluthund) ay Ze’barin. Es ist ein rauhes Land. Versteht ihr? Und ich fürchte meine Mutter ist nicht abkömmlich, sie lebt in Trauer und Abgeschiedenheit, seit geraumer Zeit hat sie niemanden mehr zu sich gelassen, außer Rabe und Echse. Ich fürchte niemand kann ihr helfen, Trer ban Giz’ien. (Gesicht voller Tränen - Ausspruch des Unwiederbringlichen.)” In Tars Gesicht konnte Can kurz wahres Bedauern erkennen und Wut darüber, dies nicht ändern zu können, vieler Umstände wegen.
Can wandte seinen Blick ab und voller Bedauern der Mauer zu. In früheren Jahren hätte er mit erhobener Dshadralanze die Mauern gestürmt, sich den Widerlingen gestellt und seine Shaya (Kristall/Juwel) Dalia gerettet. Er schmunzelte, ob dieser Gedanken und schüttelte langsam den Kopf. Nein, auch damals hätte er das nicht getan. Sicher Can konnte sich seiner Haut auch heute noch erwehren - wie er vor nicht allzulanger Zeit gezeigt hatte - aber selbst damals war er eher der Lebemensch, als ein großer Krieger. Die lieblichen Schwestern waren ihm immer am nächsten gewesen.
Ein Gedanke ließ seinen Blick aufblitzen und auch der Schnurrbart schien sich freudig zu heben. “Chal Ban’Bani (Mein erhabener Enkel), ich verstehe. Doch bin ich, wie Ihr seht, ein alter Mann und wenn ich schon nicht meine Ila sehen kann, so bitte ich Euch mich zumindest etwas zu begleiten, bis ich dieses Land der Tar’Ammayin (Krieger des Blutes) verlassen habe!”. Er hatte das Bedauern im Blick seines Enkels gesehen und hoffte, mit einem Gespräch unter anderen Umständen, ihn dazu bewegen zu können, dass sie gemeinsam Dalia retten könnten!
Erneut war der Baronssproß überrascht vom Junker, ob dieser ungewöhnlichen Einladung und überlegte etwas hin und her. Schließlich befahl er seinen Scharlachroten Kriegern ihm und Can zu folgen. “Vielleicht muss der Weg gar nicht so weit sein, Chal Sharu’ben. Wir sollten beten im Haus des Mandi’chur und trinken wie es Krieger tun.”
Can nickte zufrieden, “So sei es!”. Sie schritten davon, die Wachen auf der Mauer waren irritiert.