Geschichten:Einer, um Haffax zu schlagen – Die Zeit ist reif
Burg Greifenklaue zu Uslenried, Ende Travia 1035 BF
Schwungvoll öffnete sich die Tür zur Großen Halle der Burg Greifenklaue, und mit lautem Schritt trat die Junkerin von Streitzensfeld in den Saal, in welchem der Baron auf einem Schemel hockte und mehr schlecht als recht versuchte, der Laute in seinen Händen eine harmonische Tonfolge zu entlocken. Das leise Liedchen hingegen, welches die Lippen der Junkerin vor sich her pfiffen, klang weitaus harmonischer.
Während der Baron noch seufzend aufblickte, legte Godelind von Streitzig ihren Mantel ab – draußen war es in den letzten Tagen mittlerweile unangenehm kalt geworden – und warf ihn mehr oder weniger achtlos über einen der an der Tafel stehenden Lehnstühle.
»Wulf, mein lieber Vetter, wie ist das Befinden?« fragte sie fröhlich, und diese Fröhlichkeit war es, die den Burgherrn letzten Endes völlig irritierte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er Godelind das letzte Mal mit einer derartig guten Laune gesehen hatte; eine Stimme in seinem Inneren flüsterte, es musste wohl in der Kindheit gewesen sein.
So erhob er sich, legte die Laute auf den Tisch und schritt seiner Anverwandten entgegen. »Godelind, sei mir gegrüßt. Was verschafft mir die Ehre des Besuchs meiner Heermeisterin?«
»Das solltest Du doch eigentlich ahnen, werter Vetter«, entgegnete sie, nestelte den Verschluss einer großen Gürteltasche auf und zog eine irdene Flasche daraus hervor, die sie auf den Tisch stellte. »Nimm doch Platz, auch wenn es ja eigentlich an Dir wäre, mir dieses Angebot zu unterbreiten, aber angesichts der Umstände will ich mal nicht so sein und nehme mir diese Freiheit heraus; schließlich lade ich Dich ja auch zum Trunk ein und nicht umgekehrt.« Damit zog sie einen Lehnstuhl heran und ließ sich darin nieder.
Wulf, noch völlig verblüfft über das ungewohnte Auftreten der Junkerin, tat es ihr sprachlos gleich und fragte sich, ob irgendetwas an ihm vorübergegangen war. Der Gesichtsausdruck, den er aufgesetzt hatte, mußte Bände sprechen.
Godelind beachtete seinen verwirrten Gesichtsausdruck gar nicht oder sagte zumindest nichts. Stattdessen blickte sie einmal quer über den Tisch, fand aber das Gesuchte nicht und förderte schließlich aus ihrer Tasche auch noch mehrere ineinander gestapelte Zinnbecher zutage. Dann entkorkte sie die Flasche, schenkte zwei Becher voll und reichte einen an Wulf weiter, der ihn wie abwesend entgegennahm.
»Zum Wohl! Auf den neuen Marschall des Königreiches!«
Langsam gewann Wulf seine Fassung wieder. »Was ist los? Marschall? Vielleicht könntest Du Dich etwas klarer ausdrücken.«
Nun war es Godelind, die seufzend den Becher abstellte, ohne davon getrunken zu haben. »Du willst mir jetzt nicht weißmachen, dass Du keine Ahnung hast, wovon ich rede, oder?«
»Doch. Du platzt hier herein, mit einer Rahjalaune, die ich von Dir überhaupt nicht kenne, und redest von Dingen, von denen ich offenbar noch keine Kunde habe. Also heraus mit der Sprache, ich möchte nicht dumm sterben, und bevor ich hier auf irgendetwas trinke würde ich schon gerne wissen, um was es geht.«
»Du hast die Kunde aus Gareth noch nicht erhalten?« Sie zog fragend eine Augenbraue hoch.
»Offensichtlich Nein. Also raus mit der Sprache.«
»Es ist zum großen Kabinett geladen. Und neben all den üblichen mehr oder weniger wichtigen Konvievchen geht es um nichts geringes als die Frage, wer die Truppen des Königreiches in die Schlacht gegen Haffax führen wird. Wobei Königreich dabei fast noch untertrieben ist, denn es heißt, es soll ein geeintes Banner zusammen mit den ehedem dazugehörenden Marken geben.«
»So also läuft der Hase«, erwiderte Wulf und griff nach dem Becher, den er zwischenzeitlich auf dem Tisch abgestellt hatte. »Danos hatte so etwas angedeutet, als er im Rondra hier war – bevor er in die Wildermark aufbrach.«
»Siehst Du? Und nun frage ich Dich, wer wohl dieses geeinte Banner führen soll. Mir fallen nicht viele ein, die sowohl einen passablen Stand als auch die Fähigkeiten dazu haben. Insbesondere dann, wenn ich Greifenfurter, Perricumer und Pulethaner von vorneherein ausschließe. Und ich vermute mal, dass Du dies ähnlich sehen dürftest.« Sie hob den Becher erneut. »Oder sehe ich das falsch?«
Wulf schwieg und betrachtete den Becher, als könne er die Antwort auf dessen Boden finden. Sicher, er hatte die entsprechenden Kenntnisse und Erfahrungen. Schon einmal hatte er das garetische Heer geführt, damals nach der schicksalhaften Schlacht von Puleth. Auch das hat der Graf von Reichsforst während seines Besuches noch einmal hervorgehoben.
»Nein, dem Grunde nach hast Du schon recht. Die Frage ist nur: Wer würde mir folgen? Es ist ein Kabinettsbeschluß, nicht wahr?«
»Das Kabinett spricht nur eine Empfehlung aus; entscheiden wird die Königin selbst. Vermutlich wird sie einer Empfehlung aber durchaus folgen. Auf der anderen Seite haben wir genug Freunde und Verbündete – und manche, die in so einer Sache unsere Freunde sein werden, weil ihre Gegner auch die unsrigen sind.«
Wulf nahm einen Schluck, nun endlich doch, wie die Junkerin zufrieden feststellte.
»Bliebe nur die Frage offen, wer im Fall der Fälle die Waldsteiner führen wird. Ein Marschall kann schwerlich Obrist in seinem eigenen Stab sein.«
Godelind seufzte, leerte den Becher in einem Zug. »Dass lass eine zweitrangige Sorge sein«, erwiderte sie, während sie ihren Becher erneut füllte. »Da wird sich jemand geeignetes finden. Weißenstein, der Alka oder meinetwegen auch die Persenburg oder Treuenbrück. Ich könnte es freilich auch, Konnar ebenso oder der Knappe Deines Vaters, der auch der Vater Deines letzten Knappen ist. Wichtig ist nur, dass wir die Zügel nicht zu weit aus der Hand geben. Die Zeit ist reif, dass wir Streitzigs endlich eine Position einnehmen, die dem Stand unseres Hauses annähernd gerecht wird. Immerhin sind wir das einzige der alten Häuser ohne Grafentitel und ohne Sitz im Zedernkabinett.«
Wulf nickte, dann nahm er einen weiteren Schluck. »Vielleicht hast Du recht. Ich denke darüber nach.«
Garetien-, Greifenfurt- und Perricum-Con 2012
|