Geschichten:Einer, um Haffax zu schlagen – Ein Kronvogt regt sich...

Dramatis personae:

Burg Mardershöh, Herbst 1035 BF

Bereits zu dieser Jahreszeit begann Firun seine eisigen Finger in Richtung Mardershöh zu strecken. Die Burgbewohner hatten sich in dickere Kleidung gehüllt, um der aufkommenden Kälte zu trotzen. Gedankenversunken sass der Kronvogt in seinen Privatgemächern im Schein einer Kerze über dem Schreiben des Ersten Königlichen Rats Garetiens. Da klopfte es an der Tür. Orelan erhob sich und öffnete die Tür.

"Kommt herein, euer Gnaden, und verzeiht, dass ich euch zu so später Stunde noch habe rufen lassen."

Der grossgewachsene Rondra-Geweihte musste sich etwas bücken, um durch die niedrige Tür in das Gemach eintreten zu können. "Ich stehe euer Hochgeboren zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung", beeilte sich Rondred zu erwidern, obwohl er seine Schlaftrunkenheit noch nicht vollständig aus seinen Augen gewischt hatte.

Wortlos überreichte Orelan Rondred die Nachricht. Die Augen von Rondred wurden grösser, die Müdigkeit war wie weggeblasen. "Wird auch endlich Zeit, dass wir gegen Haffax losmarschieren!" Die Freude in seiner Stimme war nicht zu überhören. "Mit Euch an der Spitze des Heeres als Marschall." Strahlend gab Rondred die Nachricht zurück. Als er aber merkte, dass der Kronvogt ob seiner eher scherzhaft gemeinten letzten Aussage keinen Mundwinkel verzog, schoss es durch seinen Kopf, dass der Kronvogt tatsächlich in Erwägung zog, Anspruch auf dieses Amt zu erheben. Rondred versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, obwohl sein Lächeln nun sehr gequält aussehen musste.

Orelan bedeutete Rondred Platz zu nehmen und deutete auf den bereitgestellten Sessel. Auf dem Beitisch dampfte ein verlockend nach Gewürzen duftender Weinpunsch.

"Ihr haltet also nicht viel von meinen Fähigkeiten als Truppenführer?" Orelan sah dem Geweihten dabei tief in die Augen.

"Verzeiht meine unbedachte Äusserung, eure theoretischen Kenntnisse der Heeresführung sind zweifellos erhaben, doch bis jetzt hattet ihr nicht ansatzweise ein so grosses Truppenkontingent geführt. Euer taktisches Verständnis habt ihr in der Dritten Dämonenschlacht, auf dem Mythraelsfeld und in der Schlacht in den Wolken unter Beweis gestellt. Taktik ist aber nicht Strategie. Vielleicht sollte dies trotzdem ein erfahrener Mann tun, als ihr es seid."

"Und damit in die Hände von Haffax spielen?" Das Funkeln in Orelans Augen zeigte, dass er keineswegs gewillt war, sich der Argumentation des Geweihten zu beugen. "Haffax der Verräter kennt doch die Taktik aller unserer erfahrenen Heerführer. Er hat sie sogar zum Teil selbst ausgebildet. Frische Ideen sind notwendig, um gegen ihn bestehen zu können."

Rondred kratzte sich am Kopf. "Ihr wisst schon, was ihr da auf euch nehmen würdet? Die Truppen von Garetien, Greifenfurt und Perricum unter einen Hut zu bringen und auf ein Ziel auszurichten, wird schwieriger, als einen Sack Flöhe zu dressieren."

"Ja, aber in einem Sturm lernt auch ein Truthahn fliegen. Aber ihr habt zu meinen Verdruss recht. Die Chancen, gewählt zu werden, stehen nur mit den Stimmen der Kronvögte denkbar schlecht. Aber ich habe noch etwas anderes im Hinterkopf." Dabei schaute Orelan den Geweihten verschwörerisch an, so dass dieser die Augenbrauen hob und seinen Oberkörper nach vorne zum Kronvogt beugte.

"Euch ist das Concilium Königlicher Vögte ein Begriff? Dieses Gremium, das händeringend bei der Königin und im Adel um Anerkennung ringt, aber bisher so geschätzt wird, wie ein eingewachsener Zehennagel? Nun, es ist an der Zeit, ein erstes Mal ein wenig für Furore zu sorgen."

Der Geweihte sah Orelan fragend an.

"Wenn es gelingt", führte der Kronvogt weiter aus, "alle Mitglieder auf eine Linie zu bringen, können wir unseren Einfluss teuer verschachern. Im Gegenzug handeln wir aus, Einfluss auf den Einsatz unserer Truppen nehmen zu können. Ich habe nämlich keine Lust, dass diese in sinnlosen Manövern verheizt werden, nur weil der Heerführer seine eigenen oder die seiner Bündnispartner schonen will. Die Regimenter der Kronvögte gehören unter ein gemeinsames Kommando. Unter meines."

Rondred nickte anerkennend zu. "Die Wahl wird nicht einfach. Garetier gegen Greifenfurter gegen Perricumer..."

"...und Pfortenritter gegen Pulethaner gegen Alriksritter etc. pp.", fiel der Kronvogt Rondred ins Wort. "Unsere Stimmen werden schwer wiegen und der versammelte Adel Garetiens wird ein erstes Mal Notiz nehmen müssen von uns. Ich mache mich umgehend daran, die fünf Kronvögte zu informieren."

"Sechs", gab Rondred zu bedenken.

"Nein, der fette Waidbrod hat ins Gras gebissen. Eine Nachfolge wurde meines Wissens noch nicht ernannt", entgegnete Orelan. "Ich hoffe, das passiert noch bis zur Versammlung."