Geschichten:Elfenpfad - Familienpolitik
Ende Phex 1035 BF, Reichsstadt Greifenfurt
Der alte Patriarch wartete in einem kleinen Raum ganz am Ende des Ganges im Obergeschoss der Gaststube. Er hatte hinter einem wackligen Sekretär Platz genommen, auf dem nichts als ein Kerzenhalter mit einer einzelnen brennenden Kerze stand. Das Licht war dementsprechend schlecht, doch der Junker aus dem Finsterkamm war ohnehin daran gewöhnt sich auf alle seine Sinne zu verlassen. Deswegen spürte er das Kommen seiner Gäste bereits Sekunden bevor er sie hörte, hörte sie lange bevor die Klinke zur Kammer heruntergedrückt wurde. Mit der Geste eines Gebieters wies er den zwei Männern die Hocker ihm gegenüber als Plätze zu, und nach kurzem Zögern setzten sie sich.
„Ich bin erfreut, dass ihr meiner Einladung gefolgt seid“, sprach Bogumil von Keilholtz mit schnarrender Stimme, der man anhörte, dass er sie nicht oft gebrauchte. „Verzeiht, dass ich weder für Getränke noch andere Annehmlichkeiten gesorgt habe. Doch was ich mit euch zu besprechen wünsche, wird nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.“
„Dann sprich Großonkel. Ich bin begierig darauf zu erfahren as welchem Grund du uns beide herbestellt hast.“
Die Stimme Ardos war weit weniger unterwürfig als bei früheren Treffen, musste Bogumil feststellen. Ja, sie war fast schon aufbegehrend. Die Jahre als Baron hatten den jungen Mann stolzer und selbstbewusster werden lassen. Sein Vater Wulfhart, Bogumils Neffe, dagegen schwieg. Seit dem Tod seiner Frau fehlte ihm jeglicher Elan und jeder Antrieb. Wohl auch ein Grund warum der Meister der Mark damals den jüngeren Ardo bei der Belehnung Kressenburgs bevorzugt hatte. Der Nebelsteiner hatte mit Schwächlingen genauso wenig anfangen können wie Bogumil. Missbilligend rümpfte der Patriarch die Nase.
„Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft unseres Hauses. Euch dürfte nicht entgangen sein, dass nach den Ereignissen der letzten Götterläufe nicht gerade viele Angehörige unserer Familie übrig geblieben sind. Gerade die jüngsten Verluste wiegen schwer, da mit ihnen alle meine potentiellen Nachfolger verstorben sind. Ich denke ihr wisst wen ich alles meine und habt wie ich um sie getrauert?“ Die Stimme des Alten war lauernd.
Zu Bogumils Überraschung war es sein Neffe Wulfhart der die Hand hob und die Namen an den Fingern abzählte. „Quendan starb mit seiner Frau bei einem Unfall auf Burg Keilholtz. Quanion wurde von einem Waldsteiner Gernegroß gefangen und hingerichtet, der sich wegen Ardos hartem Durchgreifen in der Schmugglergeschichte damit profilieren wollte. Geppert und Darian liegen wie der Verräter Herdan Lucius in Wehrfelder Erde auf dem Schlachtfeld am Stein begraben.“
„Sehr richtig. Gerade in Quendan und Quanion lag meine Hoffnung, dass das Haus in alter Stärke fortbestehen würde. Denn auch ich werde nicht jünger und in absehbarer Zeit wird Boron gegeben ein neues Oberhaupt meinen Platz einnehmen.“
„Es gäbe weniger zu klagen und zu bedenken, wenn du nicht jeden zweiten Zweig der Familie verstoßen hättest.“ Der junge Baron beugte sich herausfordernd vor um den alten Mann im schwachen Dämmerlicht besser erkennen zu können. „Mit den Söhnen von Urgroßonkel Lucardus oder den Kindern von Großonkel Boronian gäbe es genügend Junge in unseren Reihen um das Fortbestehen des Hauses nicht auf Messers Schneide stehen zu lassen.“
„Sei nicht so vorlaut junger Mann!“ Herrisch wies Bogumil ihn zurecht. „Du magst zwar den höchsten Rang von uns innehaben, aber der Herr über dieses Haus bin noch immer ich! Die Hundsgraber und die Waldenklammer sind Geschichte und auf ewig aus den Analen unseres Hauses getilgt! Sei froh, dass du und dein Vater überhaupt noch das Recht besitzt sich von Keilholtz nennen zu dürfen, denn weder du noch er haben es für notwendig befunden mich um meinen Segen zu euren Traviabünden zu bitten. Wohl weil ihr wusstet, dass es den in keinem der beiden Fälle gegeben hätte.“
Ardo konnte nicht anders als zustimmend zu nicken. „Ich gebe zu, eine Zustimmung deinerseits hätte mich mehr als überrascht. Genauso wie mich nach meiner Hochzeit nun dieses Treffen hier wundernimmt. Ich hatte erwartet, dass du mir gram bist, ob meiner Entscheidung meine Braut aus dem jüngeren Hause zu wählen.“
„Niemand hat gesagt, dass ich es gutheiße oder dass ich dir deinen Affront verziehen habe junger Mann.“ Wieder nahm des Patriarchen Stimme den leise schnarrenden Unterton an. „Doch wie wir gerade festgestellt haben, bleibt mir kaum eine andere Wahl als eine mehr als unangebrachte Milde walten zu lassen.“
„Wie kommst du darauf, dass wir deines Segens noch bedürfen? Die Macht im älteren Haus liegt längst nicht mehr bei dir, wie du soeben schon selber festgestellt hast.“ Wulfhart legte seinem Sohn mahnend die Hand auf den Arm, doch Ardo befreite sich unwillig und redete weiter drauflos. „Wenn deine Zeit gekommen ist, wird mein Vater Familienoberhaupt sein, denn er ist der älteste Spross der Familie im Mannesstamm. So will es das Familiengesetz!“
„Ich warne dich noch einmal dich nicht im Ton zu vergreifen junger Mann! Die Konsequenzen könnten dir übel schmecken!“ Bogumils Stimme war gallig. „Euch ist offenbar noch nicht zu Ohren gekommen, dass sich die Verhältnisse auf Burg Keilholtz längst geändert haben. Denn dein Vater ist nicht länger Erster in der Nachfolge. Euch dies mitzuteilen war einer der Gründe warum ich euch zu mir bestellt habe.“
„Wie darf ich das verstehen Onkel Bogumil?“ Wulfharts Stimme verriet deutlich seine Irritation. „Hast du etwa schon wieder jemanden aus dem jüngeren Haus adoptiert?“
„Pah!“ Zornig vollführte der Patriarch eine wegwerfende Geste. „Hältst du mich wirklich für so dumm, denselben Fehler zweimal zu begehen? Nein, mein eigen Fleisch und Blut wird mir als Familienoberhaupt folgen. So wie es das Familiengesetz vorsieht.“
„Dein eigen?“ Ardo schaute zweifelnd drein. „Aber so weit ich weiß verstößt es gegen die Tradition Bastarde in die Erbfolge aufzunehmen.“
Bogumil stützte sich auf dem ächzend knarrenden Sekretär ab und erhob sich halb im Zorn, bevor er es sich anders überlegte und sich ruhig wieder setzte. „Du weißt nicht wovon du sprichst, deswegen überhöre ich deine Frechheit ein letztes Mal. Wisset, dass ich im letzten Götterlauf, nach dem Hinscheiden meines Großneffen Quanion, seine Witwe Edala vor den Augen Praios' geehelicht habe. Sie gebar mir im Sommer einen kräftigen Sohn, meinen Erben. Er hört auf den Namen Gumbald und führt meine Linie im Mannesstamm fort, nach allen Regeln des Familiengesetzes.“ Mit triumphierendem Blick sah der Patriarch von einem zum anderen und wartete auf die Reaktionen.
„Ich, wir, gratulieren dir, Onkel Bogumil. Mögen Travias und Tsas Segen auch weiterhin auf deinem Heim liegen.“
„Ich danke dir Wulfhart. Wenigstens einer hier der noch en wenig Anstand zeigt und eine gewisse Erziehung genossen hat.“ Herausfordernd starrte der alte Mann zu Ardo, doch wollte diesem in dem Moment kein Wort über die Lippen kommen. „Trotzdem mache ich mir keine Illusionen, dass Gumbalds Ansprüche auf tönernen Füßen stehen, solange er nicht für mündig erklärt werden kann. Da ich seinen Ritterschlag wohl kaum noch erleben werde um die Durchsetzung seiner Ansprüche zu garantieren, werde ich euch ein Geschäft vorschlagen. Dieses werden wir unterzeichnen und siegeln und in der märkischen Kanzlei hinterlegen, auf das niemand es hernach in Zweifel ziehen kann.“
„Abgesehen davon, dass du uns kränkst weil du unser Wort anzweifelst“, übernahm Ardo wieder die Gesprächsführung. „Wie kommst du darauf, dass wir an Geschäften mit dir interessiert wären oder dass du etwas hast dass uns interessieren würde?“
„Ganz einfach“, meinte der Patriarch mit einem listigen Glitzern in den Augen. „Ich habe von der Handelsstraße gehört, die du und einige andere aus den südlichen Baronien bei der Kabinettstjoste durchsetzen wollt. Doch dafür braucht ihr Unterstützung. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass vor allem den Hartsteenern eine weitere Schwächung der Reichsstraße über Wehrheim sehr schmecken würde. Und auch in Waldstein dürftet ihr nach den letzten Reibereien keine unbedingte Zustimmung erhalten, auch wenn sie vielleicht zum Teil auch davon profitieren könnten.“
„Moment. Du wirst zur Kabinettstjoste anreisen?“ Soweit Ardo wusste, hatte der alte Mann die Grenzen der Mark noch nie verlassen, war im Leben kaum südlich des Finsterkamms gewesen. „Und wenn du schon mal da bist, willst du nicht einmal dieses Anliegen, was zu gleichen Teilen eines der Familie und der Mark ist unterstützen?“
Bogumil weidete sich einen Moment am ungläubigen Staunen der Verwandten bevor er sich genüsslich zurücklehnte. „Diese Handelsstraße dient in erster Linie dir und deinen Freunden aus dem jüngeren Hause in Eslamsroden mein Junge. Ich bezweifle stark, dass ich am Finsterkamm deswegen auch nur einen Heller mehr im Säckel haben werde und sehe darum auch gar nicht ein diesen Vorschlag bedingungslos zu unterstützen. Zumal ich gute Kontakte zu anderen Rittern und Junkern am Finsterkamm pflege die meinen Rat nicht so leichtfertig in den Wind zu schlagen belieben wie meine eigene Verwandtschaft. Deswegen stelle ich euch drei Bedingungen unter denen ich bereit bin meinen Einfluss im Niederadel geltend zu machen und eure feine Handelsstraße auf dem Hoftag zu unterstützen.“
„Wohlan. Lass uns hören was du dir ausgedacht hast.“ Wulfhart kam seinem Sohn zuvor und bemühte sich sachlich zu bleiben, war er doch wegen der offensichtlichen Erpressung durch Bogumil genauso wütend wie Ardo.
„Erstens. Ihr werdet Gumbald als meinen rechtmäßigen Erben und als zukünftiges Oberhaupt des Hauses anerkennen. Ihm fällt zudem ab dem Zeitpunkt seines Ritterschlags das Junkertum Keilholtz zu, welches nach meinem Tode bis zu diesem Zeitpunkt seine Mutter als Vögtin für ihn verwalten wird. Zweitens. Gumbald wird ab seinem sechsten Lebensjahr in Ardos Dienste als Page und hernach als Knappe gehen. Der Ritterschlag hat im zwölften Jahr seiner Dienstzeit zu erfolgen. Drittens.“ Der Junker aus dem Finsterkamm machte eine Pause um seinen folgenden Worten mehr Nachdruck zu verleihen. „Ardos älteste Tochter wird, oder so sie als Erstgeborene Kressenburg erben soll, meinethalben auch die zweitgeborene, sobald sie das heiratsfähige Alter erreicht hat, meinen Sohn Gumbald ehelichen um die Bande zwischen den Familienzweigen wieder zufestigen. Sollte Ardos Frau ihm in den nächsten zwölf Götterläufen keine Töchter gebären, so wird stattdessen Wulfharts Tochter Lisande den Traviakreis mit Gumbald beschreiten, sobald er das heiratsfähige Alter erreicht hat.“
„Ich werde Gumbald als Oberhaupt der Familie akzeptieren können, denn er ist dein legitimer Sohn und es steht ihm somit rechtmäßig zu. Ihm die Werte des Rittertums beizubringen wird mir zudem eine besondere Verpflichtung und Ehre sein.“ Ardos Stimme kam gepresst zwischen seinen Zähnen hervor, die er mühevoll zusammenbiss um seinen Zorn unter Kontrolle zu halten. „Aber was bei der zwölf Götter Namen lässt dich ernsthaft annehmen, dass du meine ungeborenen Kinder oder Lisande hier als Verhandlungsmasse einfordern kannst?“
„Ganz einfach. Ihr braucht mich und die Stimmen die ich euch verschaffen kann.“ Mit einem überlegenen Lächeln erhob sich der Patriarch und wandte sich zur Tür. „Meinetwegen überlegt euch eure Entscheidung ein wenig. Bis zur Kabinettstjoste sind noch ein paar Wochen Zeit. Aber spätestens dort erwarte ich eure Antwort.“
Garetien-, Greifenfurt- und Perricum-Con 2012
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