Geschichten:Elmenbarths Lehre – Die Ankunft der Neun
Die Ankunft der Neun
St. Ancilla, am Nachmittag des 6. Hesinde 1037 BF
Die Pforte des Klosters war verschlossen, wie so oft dieser Tage. Auf ein leises Nicken Wulfs klopfe Larena an die Pforte - sechs mal, so wie Irold es ihr aufgetragen hatte. Die junge Novizin fühlte sich etwas unwohl in der Rolle der Sprecherin, zu der man sie erkoren hatte; insbesondere, weil Irold in Hirschfurt zurückgeblieben war. Dort war es sicherer für ihn, der im eigentlichen Königreich ob seiner Weihen die Verfolgung fürchten musste, derweil sie als Novizin und von adliger Herkunft sich frei bewegen konnte. Dennoch war ihr etwas mulmig zumute, als hinter der Pforte Schritte erklangen. Areana legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter, zog sie jedoch zurück, als die Tür sich schließlich öffnete.
»Hesinde zum Gruße! Was ist Euer Begehr?« Die Stimme klang ruhig, beherrscht – aber wachsam ob der unerwarteten Störung. Vor der Pforte stand eine Gruppe von neun Personen, weitestgehend in braune und graue Mäntel gehüllt, zum Teil die Kapuzen über den Köpfen – wohl nicht nur, um sich vor dem leichten Nieselregen zu schützen, der ob der Temperaturen nicht zu Schnee werden wollte.
Larena holte noch einmal kaum merklich Luft, strafte sich und erwiderte, was sie seit einer Woche geübt hatte, um es flüssig und überzeugend über die Lippen zu bringen: »Wir wünschen Einlass, um am Konkordat teilzunehmen.«
Die Geweihte zog eine Augenbraue hoch. »Und wer ist wir?«
»Ich bin Schwester Larena, Schülerin des Hesindesohnes«, antwortete sie und warf den grauen Mantel über die Schultern zurück, so dass ihre Novizenkutte zum Vorschein kam. Inständig hoffte sie, dass Fünkchen, die vorlaute Meckerdrachin in ihrer Gürteltasche, ihr loses Mundwerk hallten würde, wie sie es ihr seit Tagen eingetrichtert hatte.
»Das ist Schwester Areana, Dienerin der Schlange«, fuhr sie fort und deute mit einer Kopfbewegung auf die Hesindegeweihte, die hinter ihr stand.
»Schwester Sinya, Schatten des göttlichen Fuchses«. Ihr Blick traf die Uslenrieder Baronsgemahlin.
»Schwester Arva, Ritterin der Leuin«. Die aus Perricum stammende Rondrianerin schlug die Faust auf die Brust.
»Schwester Kilea vom Bannstrahlorden, Geweihte des Götterfürsten«. Der typische fordernde Blick der Praiotin traf die Klosterschwester.
»Schwester Alara, geweihte Ritterin Golgaris«. Ein schweigsames Nicken der Angesprochenen.
»Bruder Wulf und Schwester Jessa, Diener des Rondrasohnes.« Die Züge der Hesindegeweihten, die immer noch reglos in der Pforte stand, schienen zu versteinern.
»Magistra Alcara von der Weißen Gilde«, endete Larena ihre Vorstellung und deutete auf die Magierin, deren bleiche Haut und weißblondes Haar einen krassen Gegensatz zu der schwarzen Robe bildeten, die sie trotz ihrer Gildenzugehörigkeit trug.
Die Geweihte schien einen Moment zu überlegen. Dann öffnete sie die Pforte vollends und trat einen Schritt zurück. »Tretet vorerst ein. Ich werde seine Hochwürden den Abt von Eurer Ankunft in Kenntnis setzen. Er wird das weitere entscheiden. Wartet also zunächst hier in der Eingangshalle.« Ihr Blick fiel auf Larena, dann auf Areana. »Ihr seid mir dafür verantwortlich, dass es keine Tumulte gibt.«
Nach einer Weile kam die Geweihte schnellen Schrittes zurück in die Eingangshalle, begleitet vom finster dreinschauenden Abt des Klosters und einigen Bewaffneten. Die Atmosphäre war angespannt; es war fraglich, ob der Abt die neuerlichen Gäste willkommen heißen würde.
Adran von Feenwasser ließ sich mit versteinerter Miene die Neuankömmlinge vorstellen und musterte sie genau. Schließlich stellte er sich vor Wulf und legte seine Hand auf die Brust des vorgeblichen Korgeweihten. Der Abt schloss die Augen, öffnete sie mit einem Ruck wieder und wandte sich der Geweihten zu, welche die Tür geöffnet hatte. »Sie mögen an dem Treffen teilnehmen, Gäste aus Waldstein sind in unseren Hallen immer willkommen.« Der Abt schaute wissend zu Wulf, der die Vermeidung seines Namens mit einem leisen Nicken quittierte.
Sie wurden in den Saal geführt, in dem sich bereits andere Teilnehmer versammelt hatten. Wulf atmete tief ein. Er hatte wenig Interesse daran, seine Weihe an die Öffentlichkeit dringen zu lassen; er hielt es aus strategischer wie politischer Sicht für besser, damit hinter dem Berg zu halten, bis die große Schlacht gegen Haffax gekommen war. Doch wenn er einen Vorteil gegenüber Urion von Reiffenberg haben wollte musste er dieses hier nun riskieren, auch wenn er sich noch nicht sicher war, was dieses Treffen letztlich bedeuten mochte. Dieser Tage mochte vieles untereinander verwoben sein, was noch lange nicht offenbar war, und alte Pakte von Land und Lehen mochten eine Rolle spielen, wenn es um Entscheidungen von solcher Tragweite ging, wie es ihnen allen bevorstand. Und war die Tatsache, dass er hier nun als Geweihter stand, nicht auch Teil einer Prophezeiung gewesen?
Suchend blickte er sich um, atmete erleichtert aus, als er niemanden der Anwesenden erkannte und somit weniger Furcht haben musste, erkannt zu werden – bis sein Blick an einem älteren Praiospriester hängen blieb, der ebenso stutze, als er Wulf gewahrte. Doch jener schwieg, bis der Abt die Neuankömmlinge vorgestellt hatte – wobei er dies genaugenommen dadurch tat, dass er lediglich Areana Bellenthor vorstellte und sodann der Hesindepriesterin die Vorstellung ihrer Begleiter überließ. Wie zuvor besprochen traten die Streitziger und auch Jessa nicht unter ihren vollen Namen auf; Sinya nannte sich mit Nachnamen Fuchsinger, Wulf hingegen Greifenstein; Alcaras zweiten Vornamen ließen sie wie einen Nachnamen im Raume stehen.
Nachdem Areana geendet hatte erhob sich der Praiot vollends und ging gemessenen Schrittes auf Wulf zu. »Euer… Gnaden, ich würde Euch gerne ein paar Fragen stellen. Unter vier Augen, wenn es recht ist.«
Wulf nickte. »Nach Euch«, erwiderte er leise und wies Richtung der Türe an der Rückseite des Raumes. Ohne weitere Worte verließen sie den Saal.
Yacuban von Creutz-Hebenstreyt führte Wulf aus dem Saals heraus; durch einen kurzen Gang ging es in eine kleine Studierstube, deren Tür der Praiosgeweihte sorgsam schloss. Dann begab er sich zum Schreibpult, goss sich dort aus einem irdenen Krug einen Becher Wasser ein und nahm einen Schluck, bevor er das Wort ergriff. »Bruder Wulf, soso. Sollte ich nicht lieber Hochgeboren zu Euch sagen?«
»Ihr könntet es, und ich gebe zu, dass mir jene Anrede geläufiger ist. Und mir ist durchaus klar, dass ich in meiner Eigenschaft als Baron hier nicht willkommen bin.«
»Und dennoch seid Ihr hier. Warum?«
»Weil ich nach Wissen suche«, entgegnete Wulf ausweichend. »Uns stehen große Ereignisse bevor, deren Ausgang wir nicht fassen können, wohl nicht einmal, wenn wir wüssten, was uns erwartet. Wir haben in den letzten Jahren, ach, Jahrzehnten Schrecken gesehen, die wir uns zuvor nicht haben vorstellen können, und es werden uns weitere erwarten. Doch dass muss ich Euch kaum sagen, Ihr wart mit beim Greifenzug zugegen. Wir haben ein Reich zu schützen und unter der Gnade der Götter zu bewahren, auf das es nicht vollends an die Dunkelheit fällt wie es in Tobrien geschah, dessen Befreiung uns immer noch bevorsteht. Und Ihr wisst auch, dass es letztlich mein Schicksal ist, die Truppen Garetiens zu führen, bin ich doch als zweiter Marschall von Bodars Banner nunmehr de facto der höchstrangige Befehlshaber des Königreiches. Ich will gewappnet sein mit allem, was ich wissen muss und noch darüber hinaus, damit wir alle dieses Ziel erreichen können: den Sieg über die Schwarzen Horden und die Freiheit unter dem Schirm der Götter für das ganze Reich, für uns alle. Darum bin ich hier.«
Yacuban schwieg einen Moment. »Stimmt es, was Eure Begleiterin über Euch angegeben hat, oder habt Ihr Euch hier Einlass erschlichen? Habt Ihr die Weihe des Blutigen Schnitters empfangen?«
Wulf straffte sich. »Ja. Vor anderthalb Jahren. Doch seid so gut und haltet mir jetzt keine Predigt über das Garether Pamphlet, wie Ihr es gerade Kraft Eurer Weihe nun wohl müsstet.« Er hielt einen Herzschlag inne. »Euch ist vom Götterfürsten die Macht gegeben, die Wahrheit meiner Worte zu ergründen – wenn Ihr mir nicht glaubt.«
Der Praiot trank einen weiteren Schluck. »Eine Predigt braucht Ihr nicht zu erwarten; und eine Prüfung wird nicht nötig sein. Ich gehe davon aus, dass Ihr Gründe haben werdet, Euch so zu verhalten, wie Ihr es gerade tut, insbesondere da Ihr es wissentlich tut. Doch das Garether Pamphlet ist nicht vom Herrn Praios gegeben, sondern weltliches Recht, wenngleich ein Verstoß dagegen der Prinzip der göttlichen Ordnung zuwider laufen mag.«
»Ich betrachte es, um in der militärischen Sprache zu bleiben, als einen taktischen Vorteil, wenn niemand darum weiß. Wieviele geheime Diener des himmlischen Fuchses gibt es, die unerkannt agieren und Phexens Sache damit besonders nützlich sind? Seht es bei mir genauso.«
»Euch ist jedoch bewusst, dass der Herr der Schlachten nicht gerade den besten Ruf im Königreiche genießt?« Yacuban blickte Wulf auffordernd an.
»Vielleicht nicht überall im Königreich, wohl aber, wenn man hinab nach Perricum schaut. Es ist eine willkommene Begleiterscheinung, dass mich die Nebachoten meiner Weihe wegen eher akzeptieren werden denn von meiner Herkunft aus einem der großen Häuser des Reiches.«
Der Praiosgeweihte nickte. »Und was erwartet Ihr nun konkret hier zu finden?«
»Korgond – das ist ein Name, der die Runde macht und einen Götternamen beinhaltet, der mir viel bedeutet. Es könnte ein Omen sein. Ein Fingerzeig für die Zukunft. Oder ein verlorenes Heiligtum des Herrn der Schlachten.«
Yacuban nickte. »Dann sei es so. Ich werde die übrigen davon überzeugen, dass Ihr zu Recht hier seid – und ebenso davon, Eure Identität unter Phexens Schattenmantel und Borons Schweigen zu bewahren, unter einer Bedingung.«
»Und die wäre?« Wulf zeigte keinerlei Regung, ahnte er doch bereits, was nun kommen würde.
»Wenn alle Schlachten geschlagen sind werdet Ihr Euch offenbaren und vor den Augen aller in den Eurer Weihe gebührenden Stand des Klerus treten – und damit Eure Lehensfähigkeit verlieren, wie es Recht ist.«
Wulf nickte. »So sei es, in der Götter Namen.«
Yacuban reichte ihm die Hand; Wulf schlug ein. »Dann ist es besiegelt.«
Sie lösten die Hände. »Bevor wir nun zurückgehen, gestattet mir noch eine Frage. Eure Begleiter sind nicht zufällig mit hier?«
Wulf schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Es ist mein Beraterstab in nichtmilitärischen Dingen.«
Yacuban zog eine Augenbraue hoch. »Auch das junge Ding?«
»Nein. Larena ist, was sie zu sein vorgibt: eine Novizin des Nandus, und mein Schlüssel hierher. Und sie gehört zur Familie…«
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