Geschichten:Erlenstammer Ränke - Probebohrung
Ein Pfiff ging durch die große Halle der Wandlether Baumeisterzunft, verfing sich zwischen den fein verzierten Säulen in den Nebenschiffen um dann hallend zu dem Schlunder Grafen und seinem Begleiter zurückzukehren, die gemeinsam auf einer kleinen Kiste saßen. "Mehrere Monate sagst Du? Was machen wir nur mit dem Mädchen?"
Rogosch zuckte mit den Schultern. "Du weißt, ich verstehe die Großen nie so recht und die Frauen erst gar nicht - und sie ist beides. Aber mehrere Monate, dass ist für die Großen schon recht lang, oder?" Der Großneffe des Wandlether Stadtmeisters schaute betroffen auf den Boden, dessen riesige Steinplatten im Gegensatz zum Rest der Halle nicht so fein verziert sondern eher unnatürlich glatt waren - Trollsteine wie man so sagt.
Am Ende der Halle öffnete sich die große Tür zum Raum der Modelle. Dort waren alle Konstruktionen der Zunft in kleinen Modellen dokumentiert, einer der wenigen Orte in Wandleth, den Ingramm selbst noch nicht betreten durfte und der wahrscheinlich besser bewacht war als seine eigene Schatzkammer.
Die alte Zunftmeisterin trat durch den Türbogen auf die beiden Zwerge zu, die sich pflichtschuldig erhoben. "Mein lieber Ingramm - Hochgeboren, und der gute Rogosch. Habt Ihr Euch doch noch entschieden ein ehrliches Handwerk zu erlernen?"
Ingramm deutete auf die Kiste, Feraxa nickte und winkte zwei Wächter heran die diese pflichtschuldig in den Raum der Modelle trugen. "Ich habe leider schlechte Neuigkeiten bezüglich der Rabenbrücke für Euch. Die Fundamente sind vollkommen unterspült, das kann Jahre dauern, bis da wieder Fuhrwerke fahren." Die drei Zwerge versuchten mehr oder minder erfolgreich ein trauriges Gesicht aufzulegen.
"Sag mal Feraxa, kennst Du eigentlich die junge Alissa von Erlenstamm?", versuchte der Graf schnell das Thema zu wechseln.
Feraxa stemmt ihre kurzen Arme in die Hüften. "Die hat doch letztens die vier Zwerge im Viehtrog ertränkt, oder? Die müssen wir langsam mal vor Gericht stellen!"
"Das war die tote Tante", der Graf schüttelte den Kopf, "Die kleine Alissa muss wohl bald Baronin werden - nach allem was mir Onkel Robosch berichtet, steht es nicht gut um den Kleinen. Er hat wohl zu tief gegraben..."
"Hmm, das ist kein kleiner Haufen Steine, den wir da sortieren müssen...", der Graf zwirbelte seinen Bart und verlor sich ein wenig in den durch die großen Fenster scheinenden Lichtstrahlen. Wie immer, wenn Ingramm einen Plan ausbrütete, lief er auf und ab, "Bingo(*)! Rogosch, Du gehst mal hin und redest mit Ihr. Bring Ihr hübsche Steine für die Gräber mit, die Großen mögen das auch. Und danach mach mal eine Probebohrung. Es gibt ja noch so Ansprüche aus Seitenlinien und so weiter, das kannst Du Ihr ja diplomatisch beibringen - nimm also unbedingt Bier mit."
"Und dann sprich sie doch mal an, ob sie nicht in Treilin einen Ingerimm-Tempel bauen lassen will, damit die Sünden ihrer Tante endlich ruhen können.", er blieb stehen und schaute lächelnd zu der Baumeisterin, "Ich weiß ihr habt viel zu tun mit der Rabenbrücke, aber es geht hier um den Neubau eines Tempels. Das geht natürlich vor!"
Man könnte das einsetzende Lachen dreier Zwerge der geplanten Neugründung eines Ingerimm-Tempels zuschreiben, welches nun dem eingangs erwähnten Pfiff auf seinem Weg durch Säulen und Nebenschiffe folgte, um irgendwann hallend in die leere Zunfthalle zurückzukehren.
(*) Bingo: Von "Binge", Kurzform aus dem Rogolan, Bed. etwa: "Diese Mine sieht echt vielversprechend aus!" (laut Eberhelm)