Geschichten:Fallende Sterne - Teil 2 Strom der Toten
Stadt Gnitzenkuhl, Burg Friedburg, 2. Praios 1040 BF
Sie kniff die Augen zusammen. Doch unbarmherzig drängte sich das helle Licht zwischen ihren Lidern hindurch. Genauso wie die unerträgliche Wirklichkeit dieser letzten Stunden und Tage. So, wie die Welle mit riesigen Mengen an Wasser dafür gesorgt hatte, dass die Reiterschar strauchelte. Man hatte den Schergen Haffax nicht nachhaltig die Stirn bieten können. So wie die große Zahl an Toten, die es nun zu bergen und erkennen galt. So wie die gefährlichen Piraten und das Söldnerpack was im Gefolge des Verräters Haffax mit nach Perricum geschwappt kam. Nachdem es die Reichsstadt verlassen hatte, war es auf der Suche nach leichter Beute auch hier eingefallen. Geshla von Gnitzenkuhl, die Herrscherin, deren Baronie direkt der Schauplatz der Schlacht am Darpatbogen gewesen war, stand am Fenster ihres Arbeitszimmers und suchte Halt.
Unendlich langsam öffnete sie wieder die Augen. Es half alles nichts. Schon damals hatte sie das Praiosmal verflucht dafür, dass es strahlte, als habe es diesen einen Tag nicht gegeben. Als sei die praiosgewollte Ordnung nie gestört gewesen! Als habe kein Verräter Ihren Vater hinterrücks erschossen. Doch über die bittere Wahrheit konnte und kann diese vermaledeite güldene Scheibe am Himmel auch nicht hinwegtäuschen. Wie Hohn und Spott schien es einem, dass der Tageslauf, die Natur und der notwendige Trott weiter ging.
Wütend hieb sie auf die Fensterbank, doch die Geste war matt im Vergleich zu der Kraft, die ihr sonst innewohnte. Ihr vor Müdigkeit leicht verschwommener Blick fiel auf das Treiben am Fuß der Burg. Die Augen brannten noch von dem fehlenden Schlaf und vielen tränenschweren Momenten vergossen beim Anblick all des unerträglichen Elends. An Essen war nicht zu denken! Noch immer wurde ihr flau bei all dem Blut, zerschundenen Leibern und Gefallenen, die sie gesehen hatte. Wenige hatten mit Glück überlebt. Nicht zuletzt aufgrund der umsichtigen Rückzugsorder und frühen Versorgung durch Geweihte und der zwei Heilerinnen, die unermüdlich ihr Bestes gegeben hatten. Sogar Hilfstruppen aus dem Markgräflichen Perrinmarsch sollten in Bälde eintreffen, die Maia von Perricum selbst aufgestellt haben soll. Sie seufzte schwer- konnte man nur hoffen, dass dies nicht wieder nur ein politischer Zug des markgräflichen Senneschalls sein mochte.
Ihre eigene Trauer wollte sich dabei gar nicht recht entfalten, über den erlittenen Verlust Ihres aufrechten Gatten und Vater Ihrer Zwillinge. Nur für und wegen ihm stand sie dies überhaupt durch. Nur weil es solche götterfürchtigen und unbeirrbaren Streiter gab und gibt war es ihre Pflicht im Angesicht all der Not ebenfalls Haltung zu bewahren, und die eigene Last zu tragen, und die Trauer zu verdrängen so lange es eben ging. Sie holte tief Luft und zwang sich ruhig weiter zu atmen. ‚Nicht zu sehr ins Grübeln geraten…wir müssen durchhalten!‘ sagte sie sich selbst.
Ein plötzlich aufbrandendes Wimmern und Schreien im Nachbarzimmer erinnerte sie jedoch unbarmherzig an ihre zahlreichen unfreiwilligen Gäste auf der Burg. Ruhe war hier in jenen Stunden kaum einem lange vergönnt. Es war zwar sogleich eine sanfte, beschwichtigende Stimme ertönt, aber durch den fehlenden Schlaf, und die ungewisse Lage in Sicherheitsbelangen, zerrte jede noch so kleine Störung gewaltig an ihren ohnehin belasteten Nerven. Die Kinder ihrer Halbschwester, sowie deren Mutter waren es die da nebenan logierten. Dann waren da noch die Frau von Quanion und ihr Sproß, die auch in der Burg untergekommen waren- vorrübergehend, sowie einige von der Dienerschaft! Doch es hätten noch weitaus mehr sein können.
Erkenntnis bitter wie Galle schwappte wieder hoch, und erneut sah sie all die Namen derer, die Ihr Leben bei der Schlacht an der Gaulsfurt gelassen hatten oder schlicht ersoffen waren. Die Liste auf dem Pult war lang und wurde immer länger. Darunter auch Leomara. Die Frau, mit der sie eine regelrechte Hassliebe als Halbschwester verbunden hatte war für immer von Ihnen gegangen. Heiß kochte wieder Augenwasser in ihren leer geglaubten Augen hoch und der Kloß im Hals wurde immer dicker. Sie schluckte trocken und kämpfte um Haltung.
Hinweg gespült, als sei sie ein unwürdiger Rest, einer schlechten, weil unbekömmlichen Mahlzeit. Nie und nimmer würde sie erlauben, dass Unswin oder gar die Kinder einen Blick auf sie werfen müssten. Es reichte, wenn ihr die Bilder die Nächte zur Niederhölle machten. Das hatte keiner verdient. Wieso nur? Wieso war es zu diesem Eindringen über die Reichsstadt gekommen? Wie war es auch nur möglich dieses Bollwerk des Hafens zu bezwingen fragte sie sich zum sicher hundertsten Male. Doch sie kam zu keiner befriedigenden Erklärung. Stündlich kamen neue Funde von Leichen hinzu, die inzwischen in den höher gelegenen Bereichen am Ufer identifiziert und je nach Herkunft und Heimat verbracht wurden. All dies unter der ständigen Gefahr die der Darpat mit sich führte. Das Hochwasser machte die Auen schier unbegehbar. Die gefluteten Teile waren Schlammebenen, und die Kreaturen die aus dem Bauch des dämonischen Schiffes gekommen waren, tauchten zum Teil noch immer auf und versuchten die Helfer zu verletzen. Außerdem noch die marodierenden Piraten.
Eine große Stütze waren hierbei erstaunlicherweise die umsichtige Josmine von Alxertis sowie Ritter Edelbrecht. Der Sohn des Junkerngutes am Darpat war aus der Reichsstadt her geeilt, sobald er konnte. Sicher waren auch sie am Rande ihrer Kräfte. Doch Josmine scheute als Heilerin weder den Anblick der Leiber, noch die harte Arbeit mit den Schwerverletzten und seelisch versehrten. Eine solche Stütze in jener Zeit war Gold wert. Auch der junge Ritter verlieh mit seiner rondragefälligen und unkomplizierten und gleichsam zupackenden Art den Arbeiten wieder den nötigen Schwung. Jeder der noch Kräfte mobilisieren und bündeln konnte zählte doppelt. Ritter Hlutharion war unterwegs und ritt alle Güter ab und diente als Überbringer von Nachrichten. Ihn konnte so leicht nichts aus der Ruhe bringen. Seine Ehe bekam ihm, wenigstens hatten sie im Wald keinen Schaden genommen!
Die Geräusche aus der Stadt holten sie wieder aus ihren Gedanken. Fuhrwerke holperten über die Gassen, beladen mit Verletzten, Toten, oder Baumaterial. Einige wenige Fischer gingen am Darpat ihrer Arbeit nach, denn auch ans Essen musste man denken! Die Gardisten machten pflichtbewußt ihre Runden.
Der Strom, der ihr so oft Halt gegeben hatte, ein stetes Band des Trostes und Garant für Einnahmen und damit Handelsaufkommen, war mit einem mal zum feuchten Grab geworden. Jemand, oder etwas hatte ihn sich überfluten lassen in ungeahnter Macht, und aus völlig ungewohnten Richtungen. Üble Magie musste hier gewirkt worden sein. Die Zahl der Toten die die Fischer und Krieger allerorten aus den schlammigen Fluten bargen, würde noch lange kein Ende finden. Die Zahl der Nebachoten die hier Blutzoll bezahlt hatten stieg weiter in die Höhe. Viele Leiber waren sicher noch weggespült worden, und würden vielleicht auch nie mehr heim zu der Familie gelangen. Schrecklich! So etwas hatte keiner verdient. Auch kein Nebachote. Sie hatten sich korgläubig wie sie allesamt waren der Streitmacht des Verräters an der Furt gestellt. Zusammen mit den eilends organisierten Truppen von Alarich von Gareth-Sighelmsmark. Keiner hatte wirklich geglaubt, dass es je so weit kommen würde. Bis auf diesen verfluchten Eslam von Brendiltal und einige seiner Getreuen.
Valtoron hatte sich am Tag der Namenlosen Flut am Fluß um die Koordination der Gnitzenkuhler Adligen gekümmert, derweil sie auf der Burg dafür gesorgt hatte, dass Hilfesuchende untergebracht worden waren, und neue Kunde rasch an die rechten Stellen gelangten.
Man war inzwischen dazu über gegangen alle diejenigen Adeligen, die nicht in der Waffe geübt waren, und deren Heimstatt zu nah um Ufer war, in den höher gelegenen Burgen oder Gütern unter zu bringen, bis für die Sicherheit am Gewässer wieder garantiert werden konnte. Die große Schar der wenig betuchten Fischer und Taglöhner im schilfnahen Bereich musste geschützt werden, was viele Kräfte raubte, die andernorts dringend nötig waren.
Die Verheerung des Landstrichs in ihrer Baronie, welche dem Darpat am nächsten lag war immens. Nicht nur dass die Äcker zur Unzeit mit Schlamm bedeckt worden waren, und so eine ganze Ernte mit Getreide verloren war. Nein, auch die angrenzenden Bäche waren zum Teil über Ufer getreten und hatten die Zahl der wertvollen Darpatrinder dezimiert, die in ihrer Panik selten überlegt, und für sie förderlich gehandelt hatten. Viele hatten schlimme Brüche, und würden nie die Preise einbringen, wären sie älter geworden.
Wenn nun auch noch die einträgliche und schlicht lebensnotwendige Fischerei ins Stocken geriet, weil dämonischen Gezücht darinnen war, wäre das eine weitere Katastrophe die im Kielwasser des Dämonenschiffes mit einherkam. Sie musste etwas tun. Vorsprechen, am besten bei nächster Gelegenheit. Doch ob der Markgraf jetzt hierher zurückkehrt? Sollte sich die Gelegenheit ergeben, würde Sie sie wahrnehmen!
Jetzt galt es erst einmal den Schulterschluß mit den Nachbarn zu suchen. Haselhain...sie seufzte schwer und setzte einen Brief auf.