Geschichten:Fallende Sterne - Teil 3 Schutt und Asche
Natternhöh, Nahe des Wehrturms, bei der Steinmetzhütte
Hilflos standen die beiden Frauen vor der kleinen Steinmetz Werkstatt derweil dort drinnen einem Berserker gleich Anshelm von Mistelstein tobte und schrie. Einzelne unzusammenhängende Wortfetzen und Anklagen waren zu hören.
Selissa rannen schon eine Weile Tränen die bleichen Wangen herab, die sie ungelenk immer wieder weg wischte. Ihre Mutter war gefasster, aber die Handlungen ihres Sohnes bereiteten auch ihr Kummer.
„Sollten wir nicht hineingehen und ihn aufhalten?“ fragte Selissa von Mistelstein leise, derweil sie sich selbst nicht sicher war, ob sie mutig genug war dort überhaupt hinein zu gehen. Energisches Kopfschütteln war dann auch die Antwort der Mutter.
„Nein Kind, er kann mit niemandem über seinen Kummer reden. Er ist wütend auf sich selbst, wütend auf diesen merkwürdigen Mann, der sich Freund nennt. Er weiß nicht wohin mit dem Schmerz und der Trauer. Was ihm bleibt ist das…“
Selissa schnäuzte sich und ein besonders lautes Poltern aus dem Innern der Werkstatt ließ sie aufschrecken und spitz aufschreien. Mit diesen Lauten erstarb die Raserei, stattdessen kehrte Stille ein. Stille, die keinesfalls beruhigender war für sie.
Ihre Mutter hielt sie am Arm fest, noch bevor sie hineineilen konnte. „Lass ihn, dein Bruder braucht ein wenig Zeit für sich. Glaube mir!“
Bang schaute Selissa in Richtung der Tür, in der Hoffnung sie mochte aufgehen, doch es geschah nichts. Ihr Körper sackte noch mehr in sich zusammen. Sie fror, obwohl es warm war. Sommer! Der schlimmste ihres Lebens. Wenigstens lebte ihr Gemahl Hlutharion noch. Tränen traten ihr wieder in die Augen.
„Was ist das nur für ein Kerl der Anshelm fesselt und mit Magie besinnungslos macht? Wegen ihm ist Vater statt Anshelm geritten. Vielleicht.. wäre… alles…nicht…so …!“
Jetzt packte auch wieder Selissa das Schluchzen und Weinen, und sie wurde sanft von der Adligen in den Arm genommen. Auch ihr schwommen die Augen, doch im Alter ging man anders mit dem Tod um. Ruhiger, gefasster, und mit dem sicheren Wissen ihn selbst bald begrüßen zu dürfen.
„Ist gut mein Kind, wein‘ dich ruhig aus.!“ Sie nahm ihre Jüngste liebevoll in die Arme und hielt sie fest bevor sie nach einer Weile weitersprach:
„Denk an die alten Sagen: keine Träne ist vergebens, alle finden sie ihren Weg! Sie sorgen dafür, dass in Rahjas Garten Perlen aus den Rosenköpfen fallen und die Erlösten sich daran erfreuen wie an perlendem Bosparanier. In Efferds Gestaden wogt das Meer schäumend auf und bringt raunende Grüße von der Heimat mit. An Rondras Tafel bringt es die Posaunen zum klingen, und die Krieger Kors fühlen sie in ihren Wunden und sind stolz, dass man ihrer und Ihrer Taten gedenkt.“
Selissas Schluchzen nahm etwas ab, ob der tröstlichen Vorstellung, dass ihr Vater wissen würde dass sie an ihn dachte, doch sie hatte sich noch nicht gefangen. Der beständige unverwüstliche Vater, Beschützer, Herr des Hauses und unerschütterliche Fels auf der Natternhöh war an der Schlacht an der Gaulsfurt gestorben.
Gemeinsam mit Leomara war er in einen Hinterhalt während des Rückzugs geraten. Feige Piraten waren es gewesen, die die Adligen in der Übermacht schließlich förmlich niedergemetzelt hatten.
Die Baronin hatte versucht Tsaiane vom grausam zugerichteten Leib fern zu halten und die Umstände zu verheimlichen, doch die Fischer, die ihn gefunden hatten waren redseliger gewesen. Resolut hatte sie darum ihr Recht eingefordert ihm den letzten Dienst und Ehre erweisen zu dürfen. Auch Leomara die Ärmste wurde von ihr und deren Mutter zurechtgemacht. Keiner dieser elenden kalten Fische, wie Olblodor die Boronis immer genannt hatte, sollte ihn und auch die beste Freundin Anshelms anfassen. Das war ihre Art gewesen Abschied von den beiden rondragefälligen Streitern zu nehmen!
Der ärmste Anshelm hatte anschließend die Totenwache übernommen, bis sie schließlich beigesetzt wurden. Ihn traf es jetzt besonders hart. Er haderte mit seinem Schicksal, seiner Schuld. Einem Schicksal was ihn in Form eines hübschen Geliebten, Lucan von Donnergrund genannt, heimgesucht hatte. Der Bursche hatte ihn scheinbar kurz vor der Aufforderung besucht sich an der Gaulsfurt zu sammeln. Dabei hatte jener dann Anshelm mit einem Zauber übertölpelt, und ihn gefesselt im Keller versteckt. Bis sie ihn am nächsten Tag am Abend im Weinkeller zufällig gefunden hatten, was alles vorüber gewesen.
Lucan…wenn sie recht wußte, so hielt er sich sonst in der Reichsstadt auf. Wie war er nur so schnell hierher gekommen, und wieso konnte er Anshelm, ein gestandenes Mannsbild noch dazu, einfach so ausser Gefecht setzen?
Gedankenverloren streichelte sie den prächtigen schwarzen Kater, der sich seit einigen Tagen hier aufhielt. Mochten die Götter fügen, dass bei all dem Elend bald ein Funken am Horizont auftauchen würde, der die Morgendämmerung ankündigte. Laut sagte sie:
"Komm Kind, nimm du den Kater, mir ist er zu schwer, wir gehen in den Turm und sorgen dafür, dass er nach dem Wüten eine kräftige Suppe vorfindet!" Selissa nickte ergeben, und hob das prächtige Tier hoch. Ihr war der Kater irgendiwe unheimlich, aber er war schön warm. Weniger stinkend wie die Hunde allemal!
Aus den Schatten löste sich eine schmale Gestalt. Leise ging sie zu der Werkstatt hinüber und ging hinein. "Möge Hesinde mit mir sein!" dachte sie bei sich und schloß hinter sich die Tür.