Geschichten:Familienangelegenheiten und andere Katastrophen - Exil

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Gut Kollberg, dieser Tage

Es war still geworden auf dem Gut; selbst die Pferde draußen auf den Koppeln waren ruhig geworden, nur vereinzelt war ab und an ein Schnauben zu hören. Shelkor von Kollberg, durch die unrühmlichen Taten seiner entfernten Verwandten an Lehen und Status des Familienoberhaupt seiner Sippe gelangt, hockte auf einem Schemel am Tisch in der Kammer, welche die Funktion einer Schreibstube erfüllte. Das Licht weniger flackernder Kerzen erhellte den Raum mehr schlecht als recht; ein nur zur Hälfte geleerter Krug mit rotem Wein stand an der Seite des Tisches und warf seinen Schatten auf die Papiere, die dort ausgebreitet lagen. Es war geschehen, was er lange hatte kommen sehen; andere gedachten sich um das zu kümmern, was zuvörderst seine Aufgabe gewesen wäre, er selbst jedoch immer nur halbherzig verfolgt hatte. Um des verwandten Blutes wollen hatte er sich kaum wirklich bemüht, die Familie von der Schande reinzuwaschen, die Jellinor und Terrebor mit einigen anderen über alle gebracht hatten, als sie mit dem Verräter Hartheide gegen das Reich vorgegangen waren. Es gab Momente, in denen er ihnen dieses nicht einmal wirklich verübeln konnte, wenn er sich daran erinnerte, welch schweren Stand die Nebachoten im Reich zuweilen hatten; doch gerade Jellinors Familienzweig hatte mehr garetisches Blut in den Adern als er, Shelkor, selbst. Dennoch hatte Jellinor gegen die Götter und deren Ordnung aufbegehrt und dies mit dem Leben bezahlt, wenngleich er sich selbst noch im Tode seinen Häschern entzogen hatte, als er sich von den Langen Mauern gestürzt hatte. Die Familie hatte letztlich alles verloren; die Baronie, das Ansehen, die Gnade der Götter.

Er seufzte und wollte gerade nach dem Krug greifen, als sich die Türe in seinem Rücken öffnete. Jeshinna trat auf leisen Sohlen herein, einen Umhang über dem dünnen Nachtgewand. Nur aus den Augenwinkeln nahm er sie war, doch er wusste sofort, dass sie es war. »Kannst Du nicht schlafen?«

»Das gleiche könnte ich Dich fragen, Bruderherz«, entgegnete sie. »Darf ich?« Sie deutete auf den Wein.

Shelkor nickte. »Setz Dich doch. Musst den Wein schließlich nicht im Stehen trinken.«

Sie zog einen anderen Schemel heran, ließ sich seufzend darauf niedersinken und nahm einen langen Zug aus dem Weinkrug. Dann stellte sie den Krug leise zurück auf den Tisch.

Schweigend saßen sie einige Zeit da. »Ist es war, was man hört?« fragte sie schließlich. »Die Garrättis haben zur Jagd auf Terrebor aufgerufen?«

Shelkor nickte. »Von höchster Stelle, ja. Es schert sie auch nicht, dass sie hier nichts mehr zu melden haben, seit sie die Grafschaft in die Eigenständigkeit entlassen haben; diese Schranzen in Gareth meinen noch immer, sie könnten hier schalten und walten wie sie wollen. In gewisser Weise tun sie das ja auch durch ihre Handlanger.«

»Die Baronin?« fragte sie.

Shelkor nickte abermals. »Dieses Land sollte uns gehören, wie es von jener gewesen ist. Es ist nebachotischer Boden, und von jeher unsere Heimat. Jellinor und seine Bagage haben es verraten und verkauft - und es verloren. Geschah ihnen ja recht - aber nur ihnen und nicht uns allen. Doch wir sind mitgefangen; Sippenhaft sozusagen.«

Er rollte die Augen, holte tief Luft und griff dann selber mach dem Krug; sein Zug stand dem seiner Schwester nicht nach.

»Ich habe nachgedacht«, entgegnete Jeshinna statt einer Antwort. »Es muss ein Ende habe, damit es Frieden geben kann; für uns alle.«

»Wie meinst Du das?«

»Ich werde Dir sagen, wo Du Terrebor kannst.« Sie sah ihn an, Tränen in den Augen, doch wich seinem Blick nicht aus.

Er sagte nichts. Stattdessen griff er nach dem Krug und nahm einen weiteren Schluck. »Du hast es immer gewusst, oder? Die ganze Zeit, von Anfang an.«

Sie nickte stumm, einige Tränen rannen über ihre Wangen. »Ja, von Anfang an«, antwortete sie schließlich. »Aber ich habe keine andere Wahl. Wenn ich mich retten will und Khora, und die Ehre unserer Familie, dann muss ich es tun.«

»Ist er wirklich Khoras Vater? Nach Mütterchen Ellya Grablegung hörte ich so etwas läuten.«

Wieder nickte sie stumm. »Wir sind schon lange ein Paar. Es ist einfach passiert, irgendwann. Und dann bekam ich Khora.« Sie schwieg einen Moment. »Aber er hat sich verändert. Früher wollte er nur Rache - für den Tod seines Vaters, für den Verlust der Baronie. Darum haben wir uns zumeist den Besitz der Baronin konzentriert.«

»Ihr?« Er ahnte, was sie sagen würde, und schauderte ob des Gedankens.

»Unsere Reiterinnen sind ein Teil von Terrebors Schwarzen Reitern, ja. Wann immer wir vorgegeben haben, ihn zu jagen, sind wir in Wirklichkeit mit ihnen geritten. Viele von uns haben Männer, Söhne und Brüder in Terrebors Reihen.«

»Und Ayla? Was ist mit Alixos

»Ayla weiß es schon lange. Eigentlich war es ihre Idee. Und irgendwann muss sie es auch Alixos gesagt haben. Er versorgt uns seit geraumer Zeit, mindestens seit zwei Götterläufen. Und er hat auch den Kontakt zum Fürstkomtur hergestellt.« Wieder rannen die Tränen.

Shelkor glaubte erst, er habe sich verhört. »Haffax? Terrebor kämpft für Haffax?«

Jeshinna biss sich auf die Lippe und nickte stumm, den Blick auf den Tisch gerichtet.

Er nahm einen weiteren Zug, doch der Krug war fast leer. Nachdenklich starrte er auf den Grund des Gefäßes, das gerade gehörte musste er erst einmal verarbeiten.

Sie schluckte, dann sah sie auf und blickte ihrem Bruder ins Gesicht. »Wenn Khora leben soll habe ich nur eine Wahl: Ich muss das hier beenden und fliehen. Ich liefere Dir Terrebor aus - wenn Du versprichst, mich mit ihr ziehen zu lassen.« Ihre tränenschimmernden Augen blickten ihn flehentlich an.

Er erhob sich, ging um den Tisch herum und zog sie sanft vom Schemel empor und sich heran. »Du bist meine Schwester«, sagte er leise und küsste sie auf die Stirn. »Diese Familie hat zuviel Blut vergossen in all den Jahren«, flüsterte er, »aber ich werde niemanden verraten, der vom gleichen Blute ist wie ich selbst. Ich werde Dich nicht aufhalten, versprochen. Geh und finde Deinen Frieden. Und mit dem Blut der Unreinen werden wir die Schmach abwaschen, die wie der Schmutz der Straße auf uns liegt. Terrebor ist ein Stachel in unserem Fleisch, den wir längst hätten herausschneiden müssen; doch auch ich habe immer nur gezögert, um der Familie willen. Ich glaube, dass war mein Fehler, und ich fürchte, er wiegt schwerer als Deine Verfehlungen.«

* * * * *

Der Wind wehte warm und drückend vom Wall herab, er wirbelte den Staub auf, der die trocken Wiesen bedeckte. Yeshinna war früh aufgestanden; sie hatte ihre Besitztümer zusammengepackt und ihr Pferde aufgezäumt, gesattelt und beladen. Der Moment des Abschieds war gekommen. Sie wandte sich um und fing zum Haus hinüber, um den Abschied hinter sich zu bringen; es mochte kein Abschied für immer sein, aber doch für eine sehr lange Zeit. Shelkor trat herbei, er kam von den Stallungen und führte zwei nachtschwarze Stuten am Zügel; Packsättel mit Bündeln, Säcken und Fässern auf dem Rücken.

Yeshinna blickte ihn fragend an. »Was hast Du vor?«

Shelkor lächelte. »Das ist mein Abschiedsgeschenk an Dich. Zwei meiner besten Stuten; die Große ist tragend, mein Hengst ist Vater des Fohlens. Bau Dir etwas auf, ich habe einige Dinge zusammenpacken lassen, die Dir den Neubeginn erleichtern sollen.«

Sie schlang die Arme um ihn. »Ich danke Dir, Bruder.«

Er drückte sie an sich und küsste sie. »Ich liebe Dich, Schwesterherz«, entgegnete er. »Pass auf die auf.«

»Du auch. Alles wird gut werden, hoffe ich.«

Noch einmal umarmten sie sich. Dann drückte er auch Khora an sich und half ihr in den Sattel, während Jeshinna die Zügel der beiden Stuten an ihrem Sattelknauf befestigte und sich dann selber auf ihr Pferd schwang. »Phex schütze Euch«, rief er ihnen zu, als sich die Pferde in Bewegung setzen und von ihren Reiterinnen nach Süden gelenkt wurden - gen Aranien, wo ein neues Leben auf sie wartete.


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8. Bor 1038 BF zur nächtlichen Rahjastunde
Exil
Die rechte Hand zur rechten Zeit


Kapitel 5

Autor: CD