Geschichten:Familienfrieden - Unerwünschte Gefühle
Unerwünschte Gefühle
Hesinde 1034 BF, Landwehrlager bei Broien in Eslamsroden
Die Zeit der Ernte war längst vorbei und schon seit Wochen hatte Ardo die Landwehr wieder zu den Übungen in Broien beisammen. Inzwischen lag auch hier im Süden Greifenfurts der Schnee mehrere Finger hoch und hatte die Felder und Wiesen bedeckt. Durch das Zeltlager zogen sich viele kleine Trampelpfade, einige mehr, andere weniger deutlich. Am Besten erkannte man den Weg vom Kochzelt zu den Latrinen und den Pfad aus dem Lager heraus zum Exerzierplatz. Diesen wiederum erkannte man bereits aus größerer Entfernung, war er doch ein großes matschigbraunes Quadrat inmitten von Firuns weißer Pracht.
Mit einiger Mühe war es gelungen das Lager winterfest zu machen. Stroh für die Nachtlager der Mannschaften war in rauhen Mengen geliefert worden und zwischen den Zelten liefen schmale Schmelzwassergräben zum Bach hinunter. Inzwischen gab es sogar einen Palisadenwall, der das Lager umgab und die gröbsten Winde und Schneewehen fern hielt. Diese Idee Ardos war zuerst mit Murren aufgenommen worden, hatte es doch in den ersten Wochen einige Mehrarbeit gefordert, aber nachdem es nun in den Zelten deutlich weniger zog, waren es alle zufrieden.
Nun saß der Baron an seinen Listen. Es war an der Zeit für den nächsten Nachschubkarren aus Eslamsroden, doch wegen der schlechten Straßen würde er wohl später kommen. Das war noch nicht problematisch, die Vorräte würden noch mindestens eine Woche reichen. Trotzdem wäre es ihm lieber gewesen, wenn der Nachschub bereits da wäre. ‚Wozu über ungelegte Eier grübeln?’ Wieder einer dieser Sprüche seines Vogtes der ihm in den Sinn kam. Der Karren würde heute kommen oder morgen oder später, er konnte es nicht beeinflussen.
Also ließ er von den Listen ab und rückte mit dem Stuhl näher an die Feuerschale, die in der Mitte des Zeltes stand und Wärme verbreitete. Im Hintergrund saßen Mechthild und Firnwulf über einem Brettspiel und beachteten ihn gar nicht. ‚Eigentlich schlecht erzogen.’, dachte er bei sich. ‚Ich bin ihr Schwertvater, die sollten immer auf dem Sprung sein falls ich eine Aufgabe für sie habe.’ Seine Gedanken wurden von einem Schwall kalter Luft unterbrochen. Hinter ihm war Praiadne ins Zelt gekommen und schlug nun sorgfältig die Plane wieder vor, um keine weitere Wärme entweichen zu lassen.
„Frau Leutnant.“
„Herr Hauptmann.“
Grinsend sahen sie einander an. Längst waren sie dazu übergegangen sich zu dutzen wenn sie unter sich waren, doch machten sie sich trotzdem den Spaß sich mit ihren militärischen Rängen zu begrüßen. Praiadne nahm sich vom heißen Wein der neben der Feuerschale stand und trank ein paar Schlucke um sich aufzuwärmen.
„Wie schaut es aus? Alles in Ordnung draußen?.“
„Alles bestens. Die Wachen sind auf Posten und die Dunkelsfarner trinken ihr Extrabier. Nur der Wind ist noch immer eisig und friert einen bis auf die Knochen durch.“
„Dann komm ran hier und häng die Füße unter die Schale. Dann wird es dir auch wieder warm.“
Ardo rückte zur Seite und machte Platz für Praiadne die sich einen Stuhl schnappte und sich neben ihn setzte. Sie entledigte sich ihrer Stiefel und streckte die Füße dann mit einem wohligen Seufzen der Feuerschale entgegen. Ardo schenkte ihnen beiden warmen Wein nach und machte es sich gleichsam wieder gemütlich.
„Allein dafür hat es sich gelohnt Offizier zu werden.“
„Du sagst es Ardo. Im Winterbiwak habe ich unsere Ausbilder immer darum beneidet. Da waren wir froh, wenn wir bei den Pferden schlafen konnten, die haben einen noch ein wenig gewärmt.“
„Tja, hier hats leider nur wenig Pferde. Aber ich denke die Mannschaften wissen sich da auch anders zu helfen.“
Mit einem Zwinkern machte Ardo klar, dass er auf die Intimitäten unter den Leuten anspielte, die ihm zuletzt gemeldet worden waren. Er hatte die ‚Schuldigen’ jeweils mit getrennten Nachtwachen bestraft um der Disziplin genüge zu tun. Doch im Grunde war ihm klar, dass sich dergleichen bei so einer großen Menge vorwiegend junger Menschen fern der heimatlichen Scholle in den kalten Wintermonden nicht wirkungsvoll unterbinden ließ.
Praiadne schenkte ihm ein anzügliches Grinsen welches anzeigte, dass sie genau wusste was er meinte.
„Das wiederum ist der Nachteil daran im Biwak Offizier zu sein. Während sich die Mannschaften anderweitig Hitze verschaffen, muss sich unsereins mit einem heißen Stein unter dem Stroh begnügen wenn er es warm haben will.“
„Ich glaube das liegt weniger am Offiziersdasein an sich. Zu meiner Zeit in der Greifenfurter Garnision war das zumindest kein Hinderungsgrund.“
„Du meinst wir haben hier nur getrennte Betten und müssen frieren, weil du mit meiner Schwester verlobt bis?“
Im Hintergrund hatte Mechthild kurz aufgeblickt. Wann immer die Sprache auf seine Verlobte kam, pflegte ihr Schwertvater unleidlich zu werden. Sie wusste, dass es etwas mit der schwierigen Beziehung ihrer beiden Familien zu tun hatte, konnte es aber nicht ganz verstehen. Immerhin kam er mit Praiadne, der Schwester, wunderbar aus und auch mit dem Bruder, dem Baron von Eslamsroden, war er freundschaftlich verbunden. Die Knappin erwartete, dass ihr Baron das Thema wie immer mit einer unwirschen Bemerkung beenden würde. Doch diesmal brauste er merkwürdigerweise nicht sofort auf. Sie sah sein grüblerisch verzogenes Gesicht, bis eine leichte Berührung an der Hand sie aufschrecken ließ und daran erinnerte, dass Firnwulf auf ihren nächsten Zug wartete.
Ardo hielt den Blick starr auf das Feuer gerichtet. Praiadnes Bemerkung hatte ihm mehr zu denken gegeben als er erwartet hatte, obwohl oder vielleicht gerade weil sie in einem neckenden Tonfall gestellt worden war. Ohne Frage war seine voreheliche Enthaltsamkeit selbstgewählt. Nicht einmal seine traviafromme Mutter hätte ihm einen ernsthaften Vorwurf gemacht, wenn er sich in Erwartung einer freudlosen Ehe anders entschieden hätte. Gerade in solchen Momenten wie jetzt, wünschte er sich seinen Gefühlen einfach nachgeben zu können, ohne Rücksicht auf das Morgen.
Praiadnes Angebot war trotz der Schnoddrigkeit ihrer Worte deutlich genug gewesen. Auch ohne das hätte er gewusst, dass sie ihn nicht zurückweisen würde. Er konnte nicht ermessen ob und wie sehr er diese verpasste Gelegenheit später bereuen würde, doch er wusste, dass seine Gefühle für Praiadne inzwischen viel zu stark waren, als dass er sich auf ein Techtelmechtel einlassen konnte ohne innerlich zu zerreißen. Vor allem, dass sie ihrer älteren Schwester so ähnlich sah, machte ihm zu schaffen. Die Vorstellung, in Zukunft stets an Praiadne denken zu müssen wenn er später bei der lieblosen Ifirnia lag, jagdte Ardo einen kalten Schauer über den Rücken.
„Ja, ich denke daran wird es liegen.“ Er beließ es bei dieser einsilbigen Antwort und kippte den warmen Wein in einem Zug hinunter.
Praiadne bemerkte den Stimmungswandel sofort und verzichtete darauf das Gespräch fortzusetzen. Stumm verwünschte sie sowohl Ardo, als auch ihre Schwester und sich selbst. Den Hauptmann, weil er sich so sehr an seine praiotische Moral klammerte und lieber in Depressionen versank, als sich seinen Fehler einzugestehen und ihn zu ändern. Ihre Schwester, weil sie diesen guten Mann mit ihrer abweisenden Art unglücklich machte und ihn früher oder später in den Suff treiben würde. Und sich selbst, weil sie zu feige war dem jungen Baron klar und offen zu sagen wie sie für ihn empfand. Denn sie wusste, dass er die einmal getroffenen Vereinbarung mit ihrem Bruder nicht in Frage stellen würde, egal wie sehr er selbst darunter litt.
Schließlich beendeten der Page und die Knappin ihr Spiel. Mechthild schob auf einen Wink Ardos die heißen Steine für die Nacht unter die Decken und wenig später lagen alle vier auf den Nachtlagern. Jeder auf dem seinen.