Geschichten:Familiengeschichten aus Hartsteen - Adhumars Grablege
Burg Ebenhain, Mitte Phex 1043 BF
Für eine größere Zeremonie war nicht die Zeit geblieben. Und so war die Trauergemeinde nicht sehr groß. Adhumars Mutter, Halina, hatte sich mit einer Begleitung hierher aufgemacht. Seit ihrer unsäglichen Tsatagsfeier war sie erblindet und bedurfte dieser Hilfe. Oderik war mit seiner Frau Haldora anwesend. Er hatte aus Respekt vor dem Toten und seiner Familie sämtliche Schwingenfelser Banner abhängen lassen, um Mutter, Schwester und Bruder genug Zeit zur Trauer zu geben. Ebenso eingefunden hatten sich die Freunde des Toten.
Ruhig und andächtig hatten Oderik und Lucarna der Grablegung beigewohnt. Oderik wäre gerne eine Stütze für seine Frau gewesen, war sich aber nicht sicher, wie deren Mutter dies auffassen würde. Sie mochte erblindet sein, doch waren dafür ihre anderen Sinne scharf genug. Daher hatte er sich aus Respekt zurückgehalten. Sigmann, Haldora und Halina hielten nun in der Krypta alleine ihr Gebet für den Gefallenen.
Helmbrecht von Steinfelde, Anselm von Wetterwend und Feyderich von Lohfels betraten derweil den Rittersaal der Burg, wo Lucarna bereits fünf Becher mit Schnaps aufgestellt hatte. Schweigend traten alle heran. „Ihr Zwölfe in Alveran!“ begann Lucarna und blickte in die Runde, wohlwissend, dass der junge Lohfels noch kein Ritter war, sprach sie weiter: „Wir Ritter Hartsteens empfehlen Euch die Seele eines der unseren an – Adhumar von Windischgrütz. Sein Leben hat er Euren Traditionen verschrieben. Und so wie wir sein Andenken hochhalten werden, hoffen wir, dass er sich in Euren Augen als würdig erwiesen hat.“ Alle anderen stimmten mit ein. „Ehre seinem Andenken!“
„Steinfelde, habt Ihr eigentlich Nachricht von Eurem Vater?“ fragte Oderik den jungen Steinfelde. Dieser schüttelte den Kopf. „Leider nein! Die gefangenen Katterquells schweigen nach wie vor eisern. Ich hoffe, dass sie gesprächiger werden, wenn die Schurken erst von der Inquisition in der Reichsstadt befragt werden. Aber bei der Unsicherheit der Straßen wird es noch dauern, bis sie dahin überstellt werden können." Oderik nickte nur. „Tut mir leid!“ sprach er leise. „Es soll vermutlich zur Aussaat eine Waffenruhe geben", sprach der junge Steinfelde müde. „Bis dahin wird wohl noch der ein oder andere Tanz mit den Schlundern auszufechten sein.“ Lucarna strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Wenn wir Euch in irgendeiner Weise unterstützen können, dann zögert nicht, nach Hilfe zu fragen!“ stellte sie Unterstützung in Aussicht. Helmbrecht nickte nur stumm und wandte sich mit den anderen zum Gehen, als Oderik anhob: „Wetterwend! Bleibt doch bitte noch kurz!“
Vorsichtig abwartend drehte sich Anselm von Wetterwend zu den beiden Schwingenfelsern um. „Was wollt Ihr denn noch?“ fragte er neugierig. Oderik deutete auf einen Stuhl und setzte sich ebenfalls. Er entschied, dass er schnell zum Kern seines Anliegens vorstoßen wollte und fragte daher ohne Umschweife: „Mich würde interessieren, was genau im Schlund vorgefallen ist? Warum wurde Adhumar das Kommando entzogen?“ Vorsichtig blickte sich der Wetterwend um, so als habe er Angst, dass die Wände Ohren haben könnten. Dann beugte er sich vor und sprach im Flüsterton: „Wohlgeboren! Ich weiß nicht, wann Ihr das letzte Mal am Hofe des Grafen wart, aber lasst Euch versichert sein, dass dieser Hof nicht mehr der Hof Luidors ist!“ „Was wollt Ihr damit andeuten?“ fragte Oderik zurück. Anselm zuckte mit den Schultern. „Neid, Missgunst und Geltungsdrang haben am Grafenhof Einzug gehalten!“ flüsterte Anselm weiter. „Sprecht nicht in Rätseln, Mann!“ ermahnte Oderik sein Gegenüber. Anselm zuckte erneut mit den Schultern. „Ihr braucht mir keinen Vorwurf machen. Wenn Ihr nach einem Verantwortlichen sucht, dann solltet Ihr mal bei den Zoltheims fragen!“ Lucarna, welche Anselm noch von ihrer Zeit am Grafenhof kannte, mischte sich nunmehr auch in die Diskussion ein. „Willst Du damit andeuten, dass sich die Verhältnisse am Hof verschoben haben?“ flötete sie so gelassen, als wenn sie gerade einen Choral in der Praiostagsschule vortragen würde. Anselm schaute von ihr zu Oderik. „Ich will damit eigentlich gar nichts andeuten! Der Wind in Hartsteen hat sich gedreht!“ „Nun, das habe ich durchaus bemerkt!“ antwortete Lucarna gelassen. Anselm schaute nunmehr wieder zu ihr. „Dann könnt ihr auf den Hoftag gespannt sein! Ich befürchte, auch ihr Schwingenfelser werdet selbst einen Geschmack davon bekommen, wie es um den Hof bestellt ist!“ Anselm von Wetterwend erhob sich nunmehr wieder. „Wenn es sonst nichts gibt, was ich für Euch tun kann, bin ich dann nun weiter!“ sprach er an Oderik gewandt. Lucarna schaute fragend zu Oderik, doch dieser machte keine Anstalten, noch etwas zu fragen, also antwortete Lucarna gelassen: „Mögen die Zwölfe Dich auf Deinem Weg begleiten!“ Und damit wandte sich auch Anselm von Wetterwend zum Gehen, wähend sich die beiden Schwingenfelser fragend ansahen.
