Geschichten:Familiengeschichten aus Hartsteen - Answarth

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Gut Kobel, 15. Ingerimm 1037 BF

Schwer gestützt auf seinen Gehstock ging Lechdan von Quintian-Quandt auf das kleine Haus zu. Es war in die Bergflanke gebaut und nachdem, was er wusste, ging es auch ein Stück in den Berg hinein. Er machte sich schwerste Vorwürfe, dass er seinen Bruder sicher verwahrt wähnte. Wie hatte er nur auf Werdomar vertrauen können? Dieser Wendehals wusste, was Geismar getan hatte und hatte nichts getan. Im Sommer war Lechdan erstmals aufgefallen, dass ein Brief an seinen Bruder nicht beantwortet wurde. Zunächst hatte Werdomar versucht, ihn zu beruhigen, doch Lechdan ließ sich nicht beirren. Es verhieß nie etwas Gutes, wenn er von seinen Geschwistern nichts mehr hörte. Das war schon damals bei Tsalinde so.

Im Zweifel hätte er die Wahrheit aus Werdomar herausgeprügelt, doch dieser war viel zu sehr um sein eigenes Wohlergehen besorgt. Alleine die Drohung der körperlichen Gewalt hatte den feinen Herrn Baron einknicken lassen. Und so hatte Lechdan die gesamte traurige Wahrheit erfahren. Geismar hatte den eigenen Bruder weggesperrt, da er befürchtete, dass der geistige Zustand des Bruders eine Gefahr in der Natterndorner Fehde darstellen mochte. Im gerechten Zorn hatte Lechdan Werdomar beinahe doch noch verprügelt, während dieser immer wieder betonte, dass es Answarth an Nichts fehlen würde. Geismar hatte den eigenen Bruder hier in die Abgeschiedenheit des Feidewaldes abgeschoben. Ein kleines Haus mit Scheune etwas den Hang abwärts bildete das Haupthaus dieses Hofes. Der unkundige Beobachter mochte das zweite Haus, welchem sich Lechdan nun näherte, schlicht und einfach für einen Teil des Hofes halten. Tatsächlich konnte man von hier aus auch ganz gut das Tal im Auge behalten.

Einer der Wächter aus dem Bauernhaus lief Lechdan hinterher. „Euer Wohlgeboren, wir verstehen nicht ganz! Was haben wir denn falsch gemacht?“ Lechdan ging unbeirrt weiter auf das Haus in der Bergflanke zu und sprach mit bedrohlich ruhiger Stimme: „Bursche, ich will nichts mehr von Dir und den anderen traurigen Gestalten hören! Und jetzt mach mir die Türen auf! Rapido!“ Der Bursche tat, wie ihm geheißen und Lechdan streckte die Hand aus, um sich die Schlüssel geben zu lassen. „Gut! Du und Deine Gefährten könnt euch dann von hier verziehen! Ich entlasse euch alle aus den Diensten meiner Familie!“ Erst jetzt regte sich der Bursche und wagte eine Erwiderung: „Aber Herr, was sollen wir denn stattdessen machen?“ Lechdan baute sich zur vollen Größe auf: „Sehe ich aus, als ob mich das interessieren würde?“ Mit einem Kopfnicken deutete Lechdan an, dass der Kerl nun verschwinden möge.

Vorsichtig ging er zur Tür und spähte ins Dunkel. „Answarth? Bist Du da? Ich bin es, Lechdan!“ rief er in die Dunkelheit. Langsam schritt er durch die Tür und versuchte in der Dunkelheit etwas auszumachen. Plötzlich wurde er von rechts angesprungen. Pranken so groß wie Teller drückten Lechdan die Luft aus den Lungen und die massige Gestalt seines Bruders warf sich auf ihn. „Lechdan, Bruder!“ Lechdan keuchte schwer. „Answarth, lass mich los, ich kriege keine Luft!“ brachte er mühselig hervor. Tatsächlich verstand der Simpel, was er getan hatte und stand auf. Lechdan erhob sich ebenfalls und schaute in das Gesicht seines Bruders. In den tief in den Höhlen sitzenden Augen konnte Lechdan Tränen sehen und Answarth wischte sich den Rotz von der riesigen Knollennase. „Kommt auch Geismar? Spielen wir zusammen?“ fragte er mit schief gestelltem Kopf. Lechdan schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein! Ich fürchte Geismar wird nicht kommen!“ Frustriert ließ Answarth seine Schultern sinken. „Wenn er wiederkommt, werden wir spielen! Das hat er versprochen!“ in seinem Gesicht zeichnete sich seine Missbilligung ab. Dann erhellte sich seine Miene. „Udalbert?“ fragte er dann mit heiserer Stimme. Lechdan schaute seinen Bruder an und er bemerkte, wie sehr ihn dessen Situation mitnahm. „Ich fürchte, es wird keiner mehr kommen, Bruder! Wir beide sind nun alleine!“ antwortete Lechdan und auch ihm standen nun Tränen in den Augen.


Traviakloster zu Hutt, 1 Monat später

„Hochwürden! Ich bitte Euch inständig!“ flehte Lechdan von Quintian-Quandt. „Du Götter seien mein Zeuge! Ich habe es versucht, für ihn da zu sein, es will mir nicht gelingen.“ Firine von Luring schaute ihn mildtätig an. „Wohlgeboren! So etwas braucht seine Zeit. Euer Bruder kannte nichts Anders als diesen Turm. Er kann vermutlich mit der Freiheit auf Eurem Gut nichts anfangen.“ Lechdan nickte verstehend. „Wird er denn jemals Obernheim als Heimat anerkennen?“ fragte er hoffnungsvoll. Bedächtig antwortete die Äbtissin: „Als ich mit ihm sprach, glaubte er noch, dass Eure Mutter ihn bald besuchen komme. Es ist daher schwer zu sagen, wie es ihm tatsächlich geht. Er lebt quasi in seiner eigenen Welt.“ Lechdan sprang auf. „Glaubt Ihr das wisse ich nicht?“ Firine von Luring lächelte milde. „Für die Angehörigen ist die Pflege nie leicht!“ antwortete sie. Resignierend ließ Lechdan die Schultern sinken. „Ich fürchte, dass sie meine Kräfte gänzlich überfordert!“ antwortete er kraftlos. Firine von Luring seufzte schwer. „Also schön! Ich nehme Euren Bruder hier auf! Probeweise! Für einen Mond!“ Lechdan schaute sie dankbar an, doch die Äbtissin hob eine Hand, um deutlich zu machen, dass sie noch nicht fertig war: „Doch sollte sich herausstellen, dass wir mit unseren Mitteln ebenfalls nichts für Answarth tun können, so muss ich Euch an die Noioniten verweisen, fürchte ich!“