Geschichten:Familiengeschichten aus Hartsteen - Sturmwacht

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Stadt Natzungen, Ende Phex 1043 BF

„Das darf doch nicht wahr sein!“ entfuhr es Oderik von Schwingenfels. Er war aufgesprungen und hatte mit der Faust auf den Tisch gehauen. Sein Bruder saß ihm gegenüber in seinem Rollstuhl, welchen er für seine Fortbewegung vornehmlich nutzte, und sagte nichts zu Oderiks Ausruf. Oderik sank wieder zurück in seinen Stuhl und hielt sich mit der rechten Hand die Stirn.

Die gesamte Situation war Oderik aus den Fingern geglitten. Haldora hatte ihm von den Schwärmereien Sigmanns über das sogenannte Fuchsrudel erzählt. Ihm selbst war dies auch schon aufgefallen. „Ich habe das dumpfe Gefühl, dass uns das Fuchsrudel noch vor Probleme stellen wird!“ waren ihre Worte gewesen. Und dann hatte sie ihn gebeten, dass er Sigmann davon abhalten möge, sich dem Fuchsrudel anzuschließen, sobald er seinen Ritterschlag erhalten würde. Adhumar war Anfang des Monats bei Balk gefallen, was zwischen Haldora und ihm zu dem Gespräch über die Zukunft Sigmanns geführt hatte. Eigentlich hatte Oderik überlegt, ob er Pulping nicht an Sigmann geben sollte. Friedhardt von Schwingenfels, der bisherige Junker, war bei der Befreiung von Hutt gefallen. Er wusste zwar, dass Sigmann sich absolut nicht auf die Verwaltung eines Gutes verstand und mit seiner unsteten Ader als Junker Schwierigkeiten bekommen könnte, doch mit einem fähigen Verwalter an seiner Seite, würde ihm das Junkertum ein ausreichendes Einkommen sichern.

Die Fehde lief immer noch durchwachsen für die Grafschaft und Graf Odilbert hatte zum Hoftag nach Natzungen geladen. Die Tatsache, dass diverse Junkertümer verwaist waren, führte den Grafen dazu, einige Neubelehnungen durchzuführen. Pulping war ausgerechnet an Oberan von Firunshöh gegangen, doch war es damit nicht genug. Die Baronie Natzungen sollte aufgeteilt werden und man munkelte darüber, dass Irmhelde von Gneppeldotz Baronin von Nordnatzungen werden solle. Oderik war aufgebracht und fragte sich, wie dieser Hundsfott von Graf es wagen konnte, die Ansprüche von Praiofist von Natzungen in Frage zu stellen. Wie er von seinem Bruder in Erfahrung gebracht hatte, sah der Graf es nicht gern, dass ein Zwölfjähriger die Baronie führen sollte. Außerdem war es dem Grafen wohl ein Dorn im Auge, dass sich die Natzunger Junker nur schwerlich für seine Frühjahrsoffensive begeistern konnten und ihre Unterstützung in diesem Punkt zu wünschen übrigließ. Der Graf verlangte nach jemandem, der die Truppen der Baronie sofort anführen könne.

Und kaum war er hier angekommen, musste Oderik in Erfahrung bringen, dass Ludegar selbst zum Junker auf Sturmwacht ernannt worden war. Anstelle die Ansprüche der Schwingenfelser zu sichern, hatte er eigene Ansprüche geltend gemacht. Oderik nahm seine Hand herunter und zwang sich, einmal kräftig durchzuatmen. Er fixierte seinen Bruder, welcher ihn immer noch herausfordernd anschaute.

„Erklärst Du mir wenigstens, was Du mit Sturmwacht willst?“ fragte Oderik jetzt ruhiger werdend. „Es ist die Burg der Schallenberger. Ich denke, dass der Aldenrieder Baron die wieder haben will!“ Ludegars Blick war für Oderik schwerlich zu deuten. „Mag sein, dass er sie wiederhaben will! Doch vorerst bin ich Herr auf der Burg!“ sprach Ludergar gelassen. Oderik schüttelte mit dem Kopf. „Wie willst Du das in Deiner Situation bewerkstelligen?“ Ludegar schob seinen Stuhl zurück, hielt sich mit den Händen am Tisch fest und machte Anstalten sich aus seinem Stuhl zu erheben. Oderik wirkte bestürzt und stand ebenso auf. „Ludegar, was soll das?“ Orlan sprang herbei und wollte seinem Herrn helfen, doch Ludegar machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. „Ich kann das alleine!“ fauchte er. Oderik schaute immer noch fassungslos auf seinen Bruder. „Ludegar, bitte lass es gut sein!“ Doch Ludegar blieb unbeirrt. Mit zitternden Beinen und sich auf den Tisch stützend kam er zum Stehen und schaute seinem Bruder jetzt klar in die Augen. „Wenn ich hier vor Dir stehen kann, dann kann ich auch ein Junkertum führen!“ antwortete Ludegar mit zitternder Stimme. Oderik verstand ihn nicht. „Das zweifelt doch keiner an!“ Ludegar lachte laut auf. „Nein! Ihr haltet mich alle für den Krüppel, der Hilfe bedarf. Vielleicht bin ich nicht mehr Herr über meine Beine!“ Er tippte sich mit der Hand an seine Schläfe. „Aber hier drin bin ich klarer als die meisten von Euch. Außerdem musste ich immer wieder davon träumen!“ Oderik setzte sich resignierend in seinen Stuhl zurück. „Bruder, ich habe nie an Dir gezweifelt und ich will doch nur das Beste für Dich!“ antwortete er. „Nur Träume sind eben genau das: Träume!“ Ludegar blieb stehen und seine Miene zeugte von Entschlossenheit: „Ich rede nicht von der Art von Träumen wie sie kleine Jungen haben! Du weißt ganz genau von welcher Art Traum ich spreche!“ Oderik schaute auf und konnte sehen, wie sich Ludegar leicht schüttelte. Oderik erinnerte sich daran, wie Ludegar vor ungefähr drei Jahren verschwunden war. Seither berichtete er immer wieder von merkwürdigen Träumen. Oderik war sich unsicher, ob er diesen Träumen größere Bedeutung schenken sollte, doch sein Bruder sah in ihnen tatsächlich eine Art von Vision. Und er schien bereit zu sein, dieser Vision zu folgen.

Oderik wusste, dass er gegen diese Überzeugung seines Bruders nicht ankam. Resignierend schaute er seinen Bruder an und konnte in dessen Augen feste Entschlossenheit ausmachen. „Also schön, nur wirst Du trotzdem einiger Hilfe bedürfen, Dich um die Angelegenheiten eines Junkertums zu kümmern.“ Ludegar lächelte. „Dafür habe ich bereits gesorgt!“ Oderik schalt sich innerlich einen Narren, dass er das angezweifelt hatte. Ludegar dachte tatsächlich drei Schritte weiter als die meisten anderen Menschen. „So wie Deine Wacht im Norden steht, so wird meine Wacht im Süden stehen!“ sprach Ludegar und streckte Oderik die Hand entgegen. Oderik wunderte sich zwar über die seltsame Wortwahl, entschied sich aber, diese nicht zu hinterfragen. Er ergriff die Hand. „Möge Dir als Junker alles Glück zu teil werden, welches Du für diese Aufgabe benötigst!“