Geschichten:Familienzuwachs – Zwei unbekannte Besucher
Perainsgarten, Ende Praios 1043
Kurze Zeit später klopfte es erneut an der Arbeitszimmertür. "Herein", brummte Felian und stand hinter seinem Schreibtisch auf. Herein traten zwei junge Männer die sich wie ein Ei dem anderen glichen. Einige Sekunden vergingen ehe sich die Tür hinter den beiden Besuchern schloss und Felian nutzte sie um die beiden Unbekannten zu studieren. Beide waren eine Handbreit kleiner als er, doch kräftig gebaut und von fast gleicher Schulterbreite wie der Junker von Perainsgarten. Auch die Art, wie sie ihre Schwerter an den Hüften trugen, und ihre geschmeidigen Bewegungen zeigten dem Krieger in Felian, dass sie diese wohl zu benutzen wussten. Beider Gewänder waren von einfachem Schnitt wie man sie praktischerweise im Alltag trägt, doch die Qualität wiederum zeugte von einem gewissen Wohlstand der Träger. An der Gewandfarbe unterschieden sie sich die beiden Unbekannten denn auch. Einer trug Blau, einer Grün. Felians fragend hochgezogene Augenbraue bemerkend trat der "Blaue" einen Schritt vor und streckte dem Junker eine dicke ledergebundene Dokumentenmappe entgegen: "Euer Wohlgeboren, mein Name ist Travinyan. Mein Bruder Perainyan und ich sind aus Gareth und überbringen euch Grüsse und Nachricht von ganz alten Bekannten. Uns wurde gesagt es sei an der Zeit..." Entschuldigend hob er dabei die Schultern, er war nur der Bote und schien nicht mehr zu wissen.
Stirnrunzelnd nahm Felian die Mappe entgegen, überlegte einen Moment und liess sie dann auf den Tisch sinken. "Habt Dank für eure Mitteilung. Ihr seht mich überrascht. Doch verzeiht, ich vergesse meine Manieren und Gastgeberpflichten. Bitte setzt euch", der Junker deutete auf eine hölzerne Bank entlang der Wand zu seiner Linken, und erst als seine beiden Besucher sich gesetzt hatten liess er sich seinerseits wieder nieder, "ihr seid sicher auch durstig von eurer langen Reise." Kurze Zeit später hielten alle drei einen grossen Humpen bestes Schlunder Wiesenschlösschen in ihren Händen. Nach einigen weiteren kleineren Höflichkeiten widmete Felian sich der Mappe, während seine beiden Besucher wie geduldige Bedienstete warteten.
falls Du diese Zeilen liest, fliege ich auf Golgaris Rücken übers Nirgendmeer. Den Göttern sei's geklagt wurde uns eine lange gemeinsame Zeit verwehrt, doch Liebe, Ehre und Familie verlangen manchmal von uns Opfer die nicht immer zu verstehen sind, weshalb ich die alten Geschichten auch ruhen lasse. Mein Vater ist ein harter und erztraditioneller Mann, doch ebenso ein Mann von Ehre und er wird diesen meinen letzten Wunsch erfüllen.
Du wirst dich sicher wundern, wer dir eine solche Depesche schickt? Nun, Travinyan und Perainyan sind deine Söhne! Die Frucht unserer Liebe, welcher keine Zukunft beschieden war. Als letztes Geschenk von mir an dich werden sie dich stets an mich erinnern.
Überrascht blickte Felian auf und musterte mit zugekniffenen Augen seine beiden Besucher, welche dies mit der offenbar geübten Geduld erfahrener Höflinge teilnahmslos über sich geschehen liessen. Die Augen, die Form der Nase... ein ganzer Schwall an Erinnerungen brach mit Wucht über ihn herein und er nahm einen kräftigen Zug aus seinem Humpen. Einige Sekunden lang starrte er ins Leere ehe er sich wieder dem Brief in seiner Hand widmete.
Beide sind wohlbewandert sowohl in hesinde- wie phexgefälligen Dingen, und sie lernten die Kunst des Schwertkampfes von ihrem Grossvater, über dessen Können ich Dir ja nichts erzählen muss. Von der Freude welche sie mir und ihrer Familie in den letzten Jahren bereitet haben will ich gar nicht erst anfangen. Es ist zu deiner eigenen Sicherheit dass ich dir an dieser Stelle nicht mehr sage als du damals bereits erfahren hast, ausser dass die Zukunft der beiden nach meinem Hinscheiden ungewiss ist. Daher bitte ich dich, nimm Travinyan und Perainyan in deine Familie und in deine Dienste auf und sei ihnen fortan der Vater, den du bisher nicht sein durftest.
Beiliegend findest du auch die Adelsbriefe der beiden welche bezeugen dass sie deine Söhne und von adligem Stand sind, gezeichnet und gesiegelt von höchster Stelle. Falls du argwöhnen solltest, die Dokumente sind tatsächlich echt und halten jeder Überprüfung stand.
Deine Liebste
Felian liess den Brief sinken und wischte sich verstohlen die feucht gewordenen Augen. Um etwas Zeit zu schinden studierte er den Inhalt der Mappe: Zwei kaiserlich-königliche Adelsbriefe, ausgestellt auf die Namen Traviniyan von Perainsgarten und Perainyan von Perainsgarten sowie mehrere Empfehlungsschreiben aus hohen und höchsten bürgerlichen und adligen Garether Kreisen. Schliesslich liess sich der Moment nicht mehr umgehen und es wäre unhöflich die Zwillinge noch länger warten zu lassen. Langsam stand der Junker auf, sofort erhoben sich seine beiden Besucher ebenfalls, und deutete auf den auf dem Tisch liegenden Schreiben:
"Ihr kennt den Inhalt dieses Briefes?" Beide schüttelten die Köpfe: "Nein euer Wohlgeboren."
"Nicht Wohlgeboren," meinte Felian mit ernster Stimme, "sondern Vater." Mit einer ausholenden Geste winkte der Junker seine beiden verwirrt dreinschauenden Gäste nach rechts zu drei gemütlichen Ledersesseln, die in einer Ecke des Zimmers um einen kleinen Tisch herumstanden und meinte mit einem schiefen Lächeln: "Setzt euch, wir haben einander einiges zu erzählen!"
"Nun denn", wandte sich Felian Stunden später an seine beiden Söhne und blickte von einem Gesicht zum anderen, "eure erste Pflichtaufgabe für euren Vater beginnt morgen Früh, überbringen wir dem Kronvogt auf der Mardershöh doch die frohe Kunde von der Vergrösserung der Familie Perainsgarten. Ich muss sowieso zu ihm."
Perainyan und Travinyan lächelten verlegen und einen Moment lang erlaubte sich Felian ein Grinsen ehe er wieder ernst wurde: "Ihr hättet keine passenderen Moment aussuchen können, seit sich am Luringer Turnier alle an die Gurgel gingen. Die Königin befiehlt am 2. Rondra im Kloster Leuenfried einen Schiedsfrieden zu schliessen und als Lehnsnehmer der Krone werden wir selbstverständlich vor Ort sein. Ich bin sicher dem Kronvogt ist es nicht unangenehm zwei weitere kundige Schwerter bei uns zu haben um einzuschreiten, falls sich doch irgendwelche Reichsforster und Hartsteener Streithähne nicht im Griff haben."