Geschichten:Fluss der Erkenntnis – Junges Blut
Gut Praiosborn, Kaiserlich Gerbaldsmark, Anfang Ingerimm 1038 BF:
Die Herren hatten sich nun im Jagdzimmer eingefunden. Diener reichten Perricumer Wein und feine Köstlichkeiten des garether Zuckerbäckers Marcipanus von Prailind-Storath. Leomar führte drei Jünglinge herein, die sofort von den Anwesenden genaustens gemustert wurden. Edorian kannte zwei von ihnen sehr genau, einen nur von Erzählungen.
Thyrian von Zweifelfels ging mit tadelloser Körperhaltung und einnehmenden Lächeln zu seinem Knappenvater Alrik Leuwin von Trenck. Der junge Zweifelfelser galt als ehrgeizig, war gebildet und dazu noch passabel anzusehen. Das brachte ihn nicht nur in das Bett des kaisermärker Landrichters, sondern öffnete ihm auch Tür und Tor bei anderen Gönnern. Wie Edorian in Erfahrung bringen konnte, hielt besonders der gerbaldsmärker Seneschall Reto Eorcaïdos von Aimar-Gor große Stücke auf den Knappen. Auch war Marbert vom Berg sein Onkel. Beste Voraussetzungen also. Thyrian begeisterte sich für die Feinheiten der Juristerei und Falknerei wie es hieß. Zumindest letzteres war auch eine Leidenschaft der Edorian nachging.
Thallion von Greifstein war mit seinen 17 Lenzen der jüngste der Knappen, strahlte aber schon eine Selbstsicherheit, wenn nicht gar Überheblichkeit aus die seines gleichen suchte. In feinsten Stoffen gekleidet und perfekt frisierten braunen Locken war er der ganze Stolz seines Knappenvaters Leomar. Durch seine Eskapaden galt der junge Kaisermärker am königlichen Hof zu Neerbusch zuweilen als schwierig, doch gelang es Thallion mit Leichtigkeit immer wieder sein Umfeld für sich zu gewinnen. Mochte er auch egozentrisch und selbstverliebt sein, so machten dies sein einnehmendes Wesen und äußerst rahjagefälliges Aussehen wieder wett. Der Junge war nicht nur in der Minne begabt und in der Poesie bewandert, er war auch talentiert mit dem Schwert. Auch Edorian hatte Schwierigkeiten sich der Aura des Greifsteiners zu entziehen, doch fühlte er hinter der perfekten Fassade ein kaltes Herz.
Linnert von Hartwalden-Hartsteen schließlich wirkte unsicher. Die Aufmerksamkeit, das im Mittelpunkt stehen lagen ihm nicht. Er hielt sich lieber im Hintergrund auf und war kein Freund der vielen Worte. Doch schlummerte in Edorians Knappen ein wacher Verstand und so manche verborgenen Talente. Edorian war sich nicht sicher ob sein Schützling einen Fürsprecher für sich gewinnen konnte. Auch deshalb, weil sich Linnert ihm gegenüber nie zu Liebesdingen geäußert hatte. Er schien kein Interesse an Frauen wie auch Männern zu haben. Aber vielleicht war er auch noch nicht so weit. Die Schlunder waren ja im allgemeinen etwas langsamer in allem.
Ein Stundenglas verging. Thyrian hatte wie erwartet den Trenck, Aimar-Gor und vom Berg um sich gescharrt, während Thallions Onkel dessen Vorzüge beim Reichsvogt anpries. Zu Edorians Überraschung wie Erleichterung gleichermaßen hatte sich der Sturmfelser Linnert erbarmt. Der Abend verlief also gar nicht mal so schlecht.
Diener führten drei weitere Herren in das Jagdzimmer. Nun war also auch Solmar Hoffing zu der Männerrunde gestoßen, doch keiner der Herrschaften nahm wirklich von ihm Notiz. Der Vogt von Briskengrund hatte weiche Gesichtszüge und eine eher leise Stimme. Die anderen Männer nahmen ihn nicht wirklich für voll, das hatte Edorian wohl bemerkt. Doch hatte er den Ruf eines fähigen Verwalters. Die Begleitung des alternden Vogtes regte auch schon eher die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Es waren Bander Linderhold, Präfekt der benachbarten Klosterlande St. Ancilla, sowie Simion Grimmbart, Lehrmeister für Leibesertüchtigung im selbigen Kloster. Beide waren aufstrebende Persönlichkeiten in den Klosterlanden und galten als miteinander liiert. Nachdem sich der Verhältnis zwischen Hesinde-Kirche und Adel nach dem Ersten Konzil der Wissenden wieder normalisiert hatte, suchte das Kloster wieder vermehrt die Nähe zu den Einflussreichen des hohen Adels.
Die Begrüßung der neuen Gäste hatte Mulziber von Tannengrund genutzt um sich aus seiner Unterhaltung mit den Greifsteinern zu lösen. Gemächlichen Schrittes kam er auf Edorian zu.
„Welch vorzüglicher Wein, der Greifsteiner sagte mir Ihr hättet ihn ausgesucht? Welch vortreffliche Wahl.“
„Es freut mich, dass er Euch mundet“, Edorian winkte eilig einen Diener herbei um die Weinpokale der beiden wieder auffüllen zu lassen. „Dieser ausgesprochen vollmundige Zyrpicumer Rote stammt von dem Weingut eines guten Freundes von mir. Ich kann Euch gerne ein Fass zukommen lassen wenn Ihr das wünscht.“
„Das wäre zu freundlich.“ Der Reichsvogt nickte erfreut. „Dieser Hesinde-Geweihte den der Hoffing angeschleppt hat ist ja eine wahre Augenweide. Anstatt in einer kargen Klosterschreibstube sähe ich ihn lieber als Geliebter der holden Rahja. Aber was sage ich, so karge sind die Klosterstuben Eures Onkels ja auch wieder nicht. Dennoch überraschend von Hesinde und Rahja so reich beschenkt worden zu sein. Findet Ihr nicht auch, Feenwasser?“
„Nur in einem gesunden Körper kann ein ein gesunder Geist wohnen, Hochgeboren. Mein Onkel, der Abt von St. Ancilla, hält viel davon nicht nur den Geist seiner ihm Anvertrauten zu schulen, sondern auch den Körper.“
„Auf das viele von Hesinde wie Rahja gesegnete Ancillaner auf bald die Schreibpulte unserer Höfe bevölkern.“ Mulziber prostete Edorian zu, dem die bissige Ironie in den Worten des Reichsvogtes nicht verborgen blieb.
„Im übrigen habe ich den Aufenthalt in Eurer Heimat durchaus genossen. Die Waldsteiner Provinz bietet doch mehr Unterhaltung als der gemeine Kaisermärker zu glauben wagt – und ich meine nicht nur die Königliche Therme. Nein, mein Ausritt durch das Njertal, überaus erhellend sage ich Euch. Leomars Gemahlin tat gut daran, darauf zu bestehen.“
Edorians Gesichtszüge entgleisten einen Augenblick. Noch bevor er sich wieder gefasst hatte und zu einer Erwiderung ansetzten konnte, fuhr der Reichsvogt fort.
„Ihr verzeiht, ich werde nun den jungen Hesinde-Geweihten begrüßen.“
Mulziber von Tannengrund ging auf Simion zu und ließ einen deutlich irritierten Edorian zurück.