Geschichten:Fluss der Erkenntnis - Die Reise der Schwanentochter
Irgendwo auf der Breite, Mitte Boron 1038 BF:
Knarrend glitt die Schwanentochter die Breite hinauf. Auch wenn es um sie herum windstill war, so blies Rondras Atem unaufhörlich das kleine Schiff voran. Vorne am Bug stand eine große schlanke Gestalt. Die langen weißblonden Haare tanzten im Wind hin und her. Die rechte Hand umfasste einen kunstvoll geschwungenen Stab. Darion blickte konzentriert in die hereinbrechende Dämmerung. Dank dem Erbe seiner Mutter hatte er ein außergewöhnlich gutes Sehvermögen. Von ihr hatte es auch die Gabe Madas geerbt. Von seinem Vater hatte er nur das Unstete, das Ruhelose. Daher fühlte er sich am wohlsten auf seinem Schiff.
Als erster Flussjäger der Thara`dir patrouillierte er für seinen Halbbruder, den Junker von Eibenhain, mit einer Hand voll Gefährten mit seinem Schiff auf der Breite. Um die Grenze zu Greifenfurt zu bewachen, um Schmuggel zu unterbinden und um Piraterie erst gar nicht aufkommen zu lassen. Für diese Dienste gab er gar ein kleines Handgeld der Krone. Auch war die Schwanentochter immer wieder auf Breite und Raller unterwegs um Handelsgüter zu transportieren. Eibenhainer Hochprozentiges, Schafwolle, Bausch, edle Pelze, Njertaler Keramik und ab und an gar mal ein Eibenheimer Wolfshund aus der Zucht seines Bruders. All dies fand den Weg mit der Schwanentochter gen Süden, meist auf den Markt der Reichsstadt Hirschfurt. Auf dem Rückweg transportierte das Schiff hauptsächlich Luxusgüter für den schier alles verschlingenden königlichen Hof zu Neerbusch. Auf dem Weg machte Darion oft Station auf der Weidburg, dem kleinen Wehrturm von Sari, der Gemahlin seines Bruders. Die Besuchte wurden zum Informationsaustausch aber eben auch zu Handelszwecken genutzt. Auch die gräfliche Feste Rallerwacht wurde regelmäßig von der Schwanentochter versorgt, da der Landweg durch das sumpfige Rallerufer oftmals viel zu beschwerlich war. Weitere Stationen waren dann Neu-Überdiebreite, Burg Waldtreuffelingen – mit dem dortigen Junker verband Darion ein tiefe Freundschaft – die Kronfeste Serrinmoor und dann schlussendlich Eibmühlen, der Heimathafen der Schwanentochter.
Darion liebte es so, denn er war auf dem Fluss zuhause. Nur dort fühlte er sich wohl. Zu seinem Halbbruder hatte er ein gutes Verhältnis, von dem Rest der Familie hielt er sich lieber fern. Besonders seinen Vater verabscheute er. Die beiden hatten sich schon viele Götterläufe nicht mehr gesehen und Darion wollte daran auch nichts ändern.
Wieder war Darion und seine Mannschaft auf dem Weg zurück nach Neerbusch. Geladen hatte er mehrere Dutzend Fässer Wein aus Perricum. Der Kronvogt hatte Geschmack. Doch diesmal war es anders als sonst. Ein Bote hatte ihn in Hirschfurt erreicht, er sollte einen Passagier mitnehmen und ohne Halt gen Neerbusch segeln. Er tat wie ihm geheißen. Der Gast war eine ältere Frau, Yppolita von Trenck mit Namen und die Mutter der Gemahlin des Kronvogtes. In früheren Tagen musste sie mal eine wahre Schönheit gewesen sein, doch nun, sie dürfte 60 Sommer weit überschritten haben, hatten sich ihre Gesichtszüge verhärmt. Ihre Stirn legte sich in Falten, die Augenhöhlen gruben sich tief in das einst makellose Gesicht und die Wangen hingen leidenschaftslos herunter. Darion ahnte, dass es nicht nur das Alter war, was die ältere Dame beschäftigte. Es schien ihn, ihr Herz war schwer wie ein Felsblock.
So glitt die Schwanentochter knarrend und ächzend die Breite hinauf. Ihr Kapitän stand mit wehendem Haar am Bug, den Blick in die Ferne gerichtet, während am Heck eine alternde Frau auf das zurückblicken schien, was sie hinter sich gelassen hatte. Wie die schleichende Dunkelheit von der hereinbrechenden Nacht kündigte, so umschloss auch Dunkelheit das Herz der Alten.