Geschichten:Fremd in der Heimat - Teil 13
Sie gingen etwa eine halbe Stunde auf der Straße, die nach Kleinfurt führen musste, am Waldrand entlang. Dann bedeutete Firal ihnen zu stoppen und wendete sich an Hartor. „Wir sollten hier in den Wald hineingehen, damit wir nicht zu dicht an die nächste Ortschaft herankommen. Auch könnten wir sonst an der Stadt vorbeilaufen. Es wird so schon nicht einfach, sie in diesem dichten Forst zu finden.“
Hartor nickte. Die Straße lief sich zwar bequem und sie waren bis jetzt gut vorangekommen, doch führte sie keinesfalls an das gewünschte Ziel. Er bedeutete Firal, einen Augenblick zu warten, und wandte sich dann an die Gruppe.
„Wer traut sich zu, hier versteckt auf Jonan und die anderen zu warten und sie dann hinter uns her zu führen?“
Nach einer kurzen Weile betretenen Schweigens meldete sich ein Junge von etwa 13 Götterläufen zu Wort. „Ich, Herr, ich kann das tun!“
„Gut; wie heißt du, mein Junge?“
„Olger Fronacker.“
„Gut, Olger, ich gehe davon aus, dass du unsere Spur finden wirst. Es kann nicht schwer sein, uns zu folgen.“ Hartor machte sich keine Illusionen; wenn 80 Menschen, und taten sie es auch noch so vorsichtig, durch den dichten Wald marschierten, konnte das nicht spurlos geschehen. „Kennst du den Wald? Wirst du dich hier allein zurechtfinden?“
„Ja, ich war schon öfter allein unterwegs.“
Hartor überlegte kurz, er wollte den Jungen nicht zurückweisen, nicht gleich beim ersten Anzeichen von Initiative Zweifel äußern. Wollten sie erfolgreich sein, musste er auf die Kreativität, den Einsatz und den Willen jedes einzelnen, sich einzubringen, bauen können. Außerdem schien Olger durchaus überzeugt von seinen Fähigkeiten. Zwar war sich Hartor sicher, dass dieser nicht alles gesagt hatte, was interessant gewesen wäre, aber das spielte jetzt keine Rolle. „In Ordnung, wir gehen weiter, ich möchte heute Nacht noch so weit wie möglich kommen. Du wartest hier, bis Jonan, Kolcho und die anderen aus Kleinfurt kommen“, er wies Richtung Firun die Straße entlang, „dann folgst du uns.“
Hartor verließ Olger und kehrte zu Firal zurück. „Gehen wir.“
Und Firal bog in den Wald ein, in der Folge immer darauf bedacht, möglichst sowohl den Weg nach Praios als auch einen möglichst leichten Durchgang durch das äußerst dichte Gehölz zu finden. Dennoch war das Fortkommen schwierig, endlos langsam kämpften sie sich durch den Tann.
Nach kurzer Zeit kamen sie an jenen Bach, den sie noch am Ortsausgang von Fremmelsdorf überquert hatten. Nun mussten sie ihn erneut überwinden, jedoch ohne bequeme Brücke. Nicht nur, dass das Wasser hier durchaus eine Tiefe von einem halben Schritt hatte, es stank auch entsetzlich und lud eher nicht zum Bade ein. Glücklicherweise war es ein ausgesprochen milder Phex und so nahm sich Hartor ein Herz und ging mutig voran. Da die Strömung nicht besonders stark war – der Bach war ausgesprochen träge, ganz so, als wäre der Geruch Ausdruck seines Siechtums und er nicht mehr zu schnellerer Bewegung fähig – war die Querung nicht weiter schwierig und auch die anderen kamen ohne Probleme hindurch.
So ging es ohne größere Zwischenfälle weiter, lediglich vereinzelte Probleme mit dem Fortkommen in der Dunkelheit führten von Zeit zu Zeit zu kleineren Stockungen. Nach einiger Zeit begannen Hartors Füße und Beine zu jucken; dieser widerliche Gestank war offenbar nur Ausdruck anderer Eigenarten des Wassers gewesen. Sei’s drum, sie mussten weiter, also ignorierte er das Bedürfnis, sich zu kratzen.
Nach schier endloser Wanderung durch das Dickicht und gezeichnet von den Auswirkungen der Dunkelheit – man konnte zu oft Löcher im Boden und vom Vordermann zurückschnellende Zweige erst zu spät erkennen – lichtete sich vor ihnen der dichte Bewuchs. Jetzt, als man den Himmel wieder sah, bemerkte Hartor, dass das tiefe Blauschwarz der Nacht schon langsam jenem graubunten Farbenschimmer wich, der den Morgen auszeichnete. Er gab der Gruppe ein Zeichen zum Stoppen, nachdem Firal, der etwas voraus ging, ihm bedeutet hatte, still zu sein.
Als alle Bewegung ruhte und kein menschlicher Laut mehr aus ihrer Mitte drang, begab er sich mit dem Jäger zum Rand des Waldes. Was er hier erblickte, war einerseits geeignet, sein Herz höher schlagen zu lassen. Dort, inmitten einer vielleicht 500 Schritt großen Lichtung mitten im Wald, lag seine Heimatstadt: Fremmelshof. Allerdings sah er gleichzeitig auch, dass sie nicht die einzigen waren, die sich hier aufhielten.
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