Geschichten:Freudenstein gleich nach der Schlacht - Teil 4
Thalionmel und Alissa setzten sich an die für sie reich gedeckte, doch ansonsten einmal mehr leere Tafel und stiessen mit einem Becher Wein wortlos an. Dann wurde Thalionmel jedoch wieder ernster: "So Kind, Du willst mit mir reden. Das trifft sich gut, denn ich habe auch etwas Wichtiges auf dem Herzen. Aber sprich nur Du zuerst darüber, was Dich bedrückt."
„Nun, liebe Tante“, setzte Alissa an und nahm sich eine der Hasenkeulen und beförderte diese geschickt auf ihren Teller. „Oberhainen hätte so nicht passieren müssen. Zum einen hat Ole völlig versagt. Wären meine Waldläufer nicht gewesen, hätte es ziemlich düster ausgesehen. Ich bin also der Meinung, dass wir mit Ole ein ernstes Wörtchen reden müssen und ihn für seine Taten bestrafen sollten. Ich denke sogar, dass wir ein neues Gesicht auf dem Hauptmannsposten brauchen. Ich habe den Eindruck, dass Ole nicht mehr den Einfluss auf seine Männer hat, den er eigentlich haben sollte. Was ich aber auch sehe, ist ein Fehler, den wir gemacht haben.“ Alissa schnitt eine Kartoffel klein und schob sich davon ein Stück in den Mund. Sie schaute ihre Tante an und wartete auf eine Reaktion, doch diese schaute ihre Nichte nur fragend an. „Was meinst Du, Kind?“ „Naja, liebe Tante, wir haben lange niemanden in der Baronie herumgeschickt, der sich um die Belange der Bauern kümmert. Oberhainen hat lange keine Präsenz mehr von Euch gesehen und dann noch die Gerüchte über Euch haben es dem Dorf recht leicht gemacht, sich einem Rädelsführer anzuschliessen. Das sollten wir vermeiden. Mein Vorschlag ist da, dass ich mich persönlich darum kümmere, sobald mein Bauch verschwunden ist. Ihr habt ja selbst gesagt, dass ich nach aussen das Gesicht Erlenstamms sein soll. Warum also nicht so anfangen? Ihr wisst ja selbst auch gut genug, dass sich die Leute während meiner Anwesenheit, als ich die Waldläufer ausgesucht habe, nicht unwohl fühlten. Von daher denke ich, dass ich für diese Aufgabe recht gut geeignet bin.“
Alissa kaute auf einem Stück Hasen herum. Sie sah ihre Tante grübelnd mit ihrem Becher Wein in der Hand am Tisch sitzen.
"Hm", fing Thalionmel nachdenklich an: "Ole ist nicht mit dem guten alten Trutz Raspel zu vergleichen, der leider vor Wehrheim gefallen ist. Eine Notlösung, möchte man sagen. Aber ich wüsste niemanden sonst, der diesen Posten übernehmen könnte ... ausser Dir natürlich, aber ich weiss nicht, ob Dir dann alles zusammen nicht zu viel wird. Zwar führst Du schon eine Truppenformation. Und wenn Du vorschlägst, dass Du öfters in der Baronie präsent sein willst, wäre das eigentlich ideal. Ich für meinen Teil vertrat immer die Ansicht, dass man die Bauern in Ruhe lassen soll, soweit sich nichts Anderes aufdrängt. Aber wie es aussieht, hast Du Recht. Sie sind nur Gesindel, das mit Freiheit nicht umgehen kann. Das ist ja auch, was uns der Herr Praios lehrt. Und Du hast sicher Recht, dass Du bei den Leuten besser ankommst als .... na als andere halt. Ich finde Deine Anregungen gut. Und Du wirst sie mit etwas anderem gleich verbinden können. Ich habe mit Oberhainen etwas vor, was bald anlaufen sollte. Mit Bezug auf die Anführer des Aufstandes wirst Du bald wieder als Richterin amten müssen ... "
„Das habe ich schon mitbekommen, als Ihr im Hof Ole den Marsch geblasen habt.
Nur bin ich mir nicht sicher, ob eine Verurteilung des gesamten Dorfes ein guter Schachzug ist. Ich habe aber bisher auch noch keine andere Lösung gefunden, werde mir aber durchaus Gedanken machen. Das Problem ist, dass wir einen Haufen guter Bauern auf einen Schlag verlieren würden. Und den Rückstand wieder aufzuholen würde sicherlich ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen. Da werde ich mir aber noch etwas einfallen lassen. Ich denke, sporadisch könnte ich auch zunächst die Führung der Truppen übernehmen, aber auf die Dauer wäre das keine gute Lösung. Zumal ich ja auch noch die Waldläufer befehlige. Und ausserdem darf ich ja auf Anweisung eures Leibarztes momentan keinerlei Aufregung riskieren.“ Alissa grummelte vor sich hin und strich mit einer Hand geistesabwesend über ihren vorgewölbten Bauch. „Ich werde aber Ausschau nach einem geeigneten Kandidaten halten, der seine Leute ein wenig besser im Griff hat, als Ole. Einen Sauhaufen können wir in Erlenstamm nicht brauchen. Und das ist das, was wir momentan hier haben. Die Truppen können zwar kämpfen, retten aber lieber ihren eigenen Hintern als für ihren Sold zu kämpfen. Das geht so nicht. Ole kann von mir aus eine Hand führen, aber für die gesamte Truppe ist er ungeeignet. Und mit der Reise durch die Baronie werde ich gleich morgen anfangen. Zwar werde ich nicht selbst reiten können, aber wofür haben wir denn eine kleine Kutsche, die schon etwas länger ungenutzt im Stall herumsteht? Ich werde mich der Probleme der Bauern annehmen und auch dort kleinere Streitigkeiten schlichten. Praios wird mich leiten. Und Hesinde hat ja ihre Gaben auch recht großzügig an mich weitergegeben. Mein Wissen wird mir da eine große Hilfe sein. Und wenn die Leute merken, dass sich jemand ihrer annimmt, werden sie auch loyal zur Baronie stehen und keiner wird so schnell mehr einen Aufstand wagen.“ Alissa griff zu ihrem Becher und spülte einen Bissen Brot mit etwas Wein herunter.
„Und wir haben noch ein weiteres Problem, liebe Tante.“
Die Tante hob bedächtig die Hand: "Bevor Du fortfährst, möchte ich doch sagen, dass Du nur über die Rädelsführer zu Gerichte sitzen wirst. Das sind ungefähr 3-5 Personen höchstens. Und was den Verlust in Oberhainen angeht, denke ich, dass wird diesen verschmerzen können. Einerseits werden wir hier wieder Kasse machen können. Anderseits sind die Flüchtlinge, oder doch eine grosse Zahl von ihnen, nicht einfach Taugenichtse. Viele haben in ihrer Heimat auch eine ehrliche Arbeit verrichtet und werden sich schnell einleben. Und ich denke, dass ihre Einstellung, ihre Dankbarkeit und ihr Fleiss allfällige Unzulänglichkeiten fachlicher Art mehr als wett machen dürften. Diesbezüglich steht mein Entschluss eigentlich fest. Was die Truppenführung angeht, werde ich Ole nicht sofort ersetzen. Fehler machen wir alle, und ich will keine Unruhe in der Truppe, solange seine Nachfolge nicht mit Sicherheit feststeht. Ich habe nichts dagegen, wenn Du Dich nach einem Nachfolger umschaust, und ich stimme Dir grundsätzlich zu, dass Du dieses Aufgabe nicht übernehmen solltest. Dann aber auch nicht für kurze Zeit. Schau Dich diskret um und berichte nur mir allein. Danach werden wir entscheiden. Das schliesst übrigens nicht aus, dass Du präsent sein kannst. Deine Waldläufer haben sich gemacht, und Du kannst Dich mit Ihnen voller Stolz in der Baronie zeigen."
„Danke für das Lob, liebe Tante. Ich habe mir die größte Mühe gegeben und ich denke, dass meine Leute gut ausgebildet sind. Und nur die Rädelsführer zu verurteilen ist für mich dann auch die beste Lösung. Und drei bis fünf Leute können wir wirklich verschmerzen. Das andere Problem, was ich allerdings noch meinte, ist Belcampo. Er meint doch tatsächlich, Ansprüche stellen zu können, weil… naja, ihr wisst ja… Er ist tatsächlich so dreist und stellt mir nach. Und was noch dazu kommt: Er lebt hier freudig auf eure Kosten und schlägt sich für’s Nichtstun den Wanst voll. Die Geschützmannschaft ist fertig ausgebildet und aufeinander abgestimmt. Meiner Meinung nach brauchen wir ihn nicht mehr. Was meint Ihr?“
"Liebes Kind", entgegnete die Baronin kalt, "Du hast meine Absicht bezüglich Oberhainen ursprünglich sehr wohl verstanden. Wir werden den Ort bevölkerungsmässig ausradieren und vollständig neu besetzen. Wir werden einfach nur bei 3-5 Anführern einen Schauprozess in Treilin durchführen, bei den anderen wird Ole mit seinen Mannen ohne Prozess wirken. Dafür ist er ganz brauchbar, da er keine Skrupel kennt. Aber das muss Dich nicht weiter kümmern, damit wirst Du nichts zu tun haben.
Nun zu Belcampo: Ich frage mich, ob Deine Gründe, die Du gegen seine Gegenwart auf Freudenstein vorbringst, nicht bloss Ausreden sind. Willst Du ihn nicht einfach nur aus persönlichen Gründen los werden? Und kannst Du ihm verdenken, dass er Deine Nähe sucht? Das Kind, dass Du unter Deinem Herzen trägst, ist ja auch ein Teil von ihm, nicht nur von Dir. Aber wenn er Dir lästig wird, werden wir das sicher klären müssen. Ansprüche hat er keine zu stellen, das ist auch klar. Dennoch ist er wohl auch offiziell der Vater des Kindes, denn im Gegensatz zu mir kannst Du keinen anderen Mann als offiziellen Vater präsentieren, oder doch? Du solltest auch bei all Deinem Groll auf Belcampo nicht vergessen, dass Du an der ganzen Situation mitbeteiligt bist. Du warst nie seine Marionette und hast alles freiwillig mitgemacht. Ist es da nicht ungerecht, über ihm allein den Stab zu brechen? Was seine Anwesenheit auf Freudenstein angeht, so sehe ich diese nicht als überflüssig an. Würdest Du die Brandwachen abschaffen nur weil es schon länger nicht gebrannt hat? Er ist der einzige hier, der die Mechanik des Geschützes eingehend versteht. Seine Kenntnisse kann die Geschützmannschaft, die nur auf die Bedienung und allenfalls kleinere Ausbesserungen gedrillt ist, nicht ersetzen. Er bleibt also vorerst hier."
Alissa schluckte ihren Ärger herunter. „Wie ihr wünscht. Und nein, ich kann niemand anders als Vater vorweisen. Was ich leider sehr bedaure.“
Mit diesen Worten stand sie auf. „Mir ist leider der Appetit vergangen. Ich werde mich zurückziehen.“
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