Geschichten:Freundschaftlicher Rat
Dramatis personae:
Hilbert von Hartsteen - Pfalzgraf zu Kaiserlich Sertis
Thesia von Rabenmund - Magistra, Gattin des Garether Markvogts
Neu-Gareth, Ende Praios 1033 BF
Die schwüle Hitze über Gareth war so stark, dass sogar der Fäulnisgestank der Kloaken Meilersgrund und Südquartiers bis in das Villenviertel Neu-Gareth hinüber wabberte. Mit einem feinen Seidentuch aus Brabaker Seide wedelte sich Hilbert von Hartsteen Luft zu, die weder kühl noch erfrischend war. Umso begieriger griff er nach dem Kelch mit gekühlter Limonade, welche der livrierte Diener ihm auf einem silbernen Tablett servierte.
Der Sertiser Pfalzgraf hatte sich ausgiebig Zeit gelassen bei seiner Rückkehr aus dem Windhag. Einige Tage hatte er in der Elenviner Stadtvilla der Hartsteens verbracht, auch um seinem besorgten Vetter Trisdhan mit der Kunde über den Ursprung der nächtlichen Geistererscheinungen während seines Aufenthalts auf der Hinreise zum Reichskonvent zu beruhigen. Dass gerade des Raulsmärkers Banner so große Anziehungskraft auf den Luftgeist der Goldenen Au ausgeübt hatte, quittierte der Elenviner Hausherr süffisant mit der lakonischen Bemerkung, die Affinität des Elementes Luft sei jedenfalls bei den Ansprachen des Weyringhaus deutlich spürbar, wenn man sich der heißen Luft vergegenwärtige, mit der der alte, senile Mann inzwischen den Garetischen Adel zu nahezu jedem beliebigen Anlass beglücke. Hilbert schalt seinen Verwandten für dessen Worte, erntete aber nur ein lautes Gelächter.
Je näher er sich schließlich auf seiner Reise dem Herz des Reiches näherte, umso mulmiger wurde ihm. Graf Danos hatte die Bruderschaft der Pfortenritter zu einem dringenden Treffen auf Burg Luringen geladen, wenn die Garetier von ihrer Reise in den tiefsten Westen zurück gekehrt waren. Der Graf wollte die Provokationen des frisch gekürten Pfalzgrafen auf Rudes Schild offensichtlich nicht unbeantwortet lassen, bei denen sich Hilbert wie eine nutzlose Kamelspielfigur fühlte, die von beiden Parteien achtlos hin und her geschoben wurde. Er hatte daher beschlossen, einen Schritt aus eigenem Antrieb zu machen und eine Depesche nach Gareth geschickt mit der Bitte um eine Audienz bei Markvogt Barnhelm von Rabenmund. Sie wurde ihm ohne Umschweife gewährt.
So saß der Waldsteiner Pfalzgraf inmitten der Villa Rabenmund und kühlte seine erhitzte Kehle an der bitter-süßen Limonade, als sich die Tür öffnete und eine strenge Dame den Salon betrat. Sobald Hilbert die Gattin des Markvogtes in den grünen Gewändern erkannte, stand er hastig auf, trat einen Schritt auf die Magistra zu und fasste ihre zierliche Hand zu einem gehauchten Handkuss.
»Lasst doch die Förmlichkeiten, Hochwohlgeboren von Hartsteen«, antwortete Thesia von Rabenmund mit kühler Stimme und wies ihren Gast mit einer Geste an auf einem der Polstersessel Platz zu nehmen. »Mein Gatte der Markvogt bat mich darum, Euch zu empfangen, da er für Euch leider keine Zeit erübrigen kann.«
»Es ist mir Ehre genug von Euch empfangen zu werden, Domna Thesia«, entgegnete der Pfalzgraf mit einer angedeuteten Verbeugung. Er wollte sich seinen leichten Ärger über das Spielchen des Markvogtes nicht anmerken lassen und nahm Platz. »Obwohl ich ehrlich gehofft hatte, Seiner Hochwohlgeboren persönlich meine Aufwartung machen zu können.«
»Mein Gatte sieht keinen großen Nutzen darin, sich mit Euch zu treffen, um ehrlich mit Euch zu sein. Aber«, fügte sie mit einem leichten Lächeln hinzu, »er ist neugierig, was der Grund und der Inhalt Eurer Bitte ist. Sprecht also frei heraus, Dom Hilbert.«
»Es war meine Absicht dem Markvogt meinen ergebensten Dank für seine Anteilnahme am Verlust meiner Gattin im letzten Jahr auszusprechen. Leider hatte sich bis dato eine solche Gelegenheit noch nicht ergeben, da ich ihn weder bei der Belehnung Ihro Liebden Thargrîn von Mersingen noch beim Konvente im Windhag persönlich antreffen konnte.«
»Mein Gatte wird Euch sehr danken für Eure Worte. Sonst noch etwas?«
»Nun«, räusperte sich Hilbet nervös, »ich hatte ebenfalls vor Seine Hochwohlgeboren in einer pikanten persönlich Sache um einen Ratschlag zu bitte…«
Leise lachte Thesia von Rabenmund auf. »Worum geht es denn? Über Eure Finanzen, über die halb Garetien hinter vorgehaltener Hand spottet? Um Euren Ehrenhandel mit dem Baron von Höllenwall oder die offenkundige Feindschaft des Barons von Gallstein gegen Euch? Offen gesagt, gibt man Euch hier in Gareth nicht mehr allzu lange. Wettmacher geben eine miserable Quote, dass Ihr Euren nächsten göttergefälligen Tsatag erreicht.«
Betroffen schaute Hilbert die Magistra an und machte unbewusst ein Praioszeichen. »Bei den Zwölfen! Ich bitte Euch darüber nicht zu scherzen!«
Die Markvogtin winkte ab. »Ihr seht, Dom Hilbert, derzeit ist es für meinen Gatten mehr als unklug, sich auch nur in Hörweite von Euch zu begeben, um nicht mit Eurem Namen in Verbindung gebracht zu werden. Aber seid versichert, dass er Eure Probleme mit anteilnehmendem Interesse verfolgt, wenngleich er Euch leider keinen adäquaten Rat für Eure Misere geben kann.«
Enttäuscht ließ Hilbert die Augen sinken.
»Aber wenn Ihr wünscht«, fuhr die Magistra mit sanfter Stimme fort, »erteile ich Euch einen freundschaftlich gemeinten Ratschlag. Geht in Euch, erkennt Eure Fehler und tut Buße vor den Zwölfen. Eure Götterfurcht steht nicht in Frage, wenngleich Ihr geblendet seid von Eurer Eigenliebe und Eurer Feigheit. Wenn Ihr Euch überwindet und erkennt, wo Ihr gefehlt habt, dann werden die Zwölfe Euer Schicksal behüten und schützend ihre Hände über Euch halten. Nutzt das Geschenk der weisen Herrin und kehrt ab von dem Weg, der Euch nur unweigerlich in das eigene Verderben stürzen wird.«
Der Pfalzgraf nickte nur leicht mit dem Kopf.
»Und vertreibt die Bitterkeit aus Eurem Herzen. Die Herrin Hesinde hat dem Menschen die Gabe des Verstandes zugänglich gemacht, auf dass er erkenne welchen Weg er einzuschlagen habe, um seinen wahren Platz im göttlichen Gefüge Deres zu finden. Wenn Ihr nun Enttäuschung und Verbitterung verspürt, dann wächst in Euch langsam die Einsicht in den wahren Weg, der vor Euch liegt und von niemand anderes als Euch begangen werden kann. Vertraut auf den weisen Ratschlag der Götter und fangt damit an, mit Eurem eigenen Kopf für Euch selbst zu denken und zu handeln.«
»Habt herzlichen Dank für Eure freundlichen Worte, Euer Gnaden. Erlaubt mir nur die Frage, was Ihr denkt, was ich denn nun tun soll?«
Wieder lachte Thesia von Rabenmund leise auf. »Nun, Dom Hilbert, nun solltet Ihr gehen und an dem „geheimen“ Treffen Eurer Bundesbrüder auf Burg Luringen teilnehmen. Mögen die Zwölfe Euch dabei begleiten«, verabschiedete sie den jungen Hartsteener, wissend dass ihre Worte nicht auf steinigen Boden gefallen waren.