Geschichten:Fuchsbacher Umwege - Geschwisterrat

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Markt Knoppsberg, Boron 1037 BF

Der Weg von Brückstetten herüber nach Knoppsberg hatte nur zwei Stunden gedauert, dennoch fühlte sich Gemma von Fuchsbach müde vom Ritt. Die Herbstluft ging schwanger vom Qualm und Geruch zahlreicher Räucheröfen vor den Toren der Stadt und vom Muhen, Quieken und Blöken von allerlei Schlachtvieh, das in diesen Tagen zu den örtlichen Fleischbänken getrieben wurde. Ihre Begleiter hatte sie am Markt zurückgelassen, denn den Verkauf des Viehs und anderer Brückstettener Gutserzeugnisse musste sie zum Glück nicht überwachen. Als Gemma den steilen Weg zur Burg hinauf nahm, hielt sie, froh darüber, dass sie dem geschäftigen und blutigen Treiben in den engen Gassen vorerst entkommen war, für einen Moment an und ließ den Blick über die Stoppelfelder und hügeligen Weiden in der Darpataue und zur anderen Seite nach den waldbestandenen Höhen und schroffen Gipfeln der Trollzacken zu schweifen. Früher in ihrer Jugend, hatte sie fast jeden Stein in der Gegend gekannt und alle Leute mit Namen angeredet. Es war ihre Heimat gewesen, bevor sie Helmar von Fuchsbach geehelicht hatte und mit ihm nach Neuborn gezogen war. Doch das war vorbei. Hin und wieder kam sie nun von ihrer neuen Heimstatt in Brückstetten unten am Darpat für kurze Zeit zurück, um, wie auch heute, ein paar Geschäfte zu tätigen und ihren Bruder zu besuchen; in dunklem Kleid mit dem Witwenschleier über der Haube und einem bronzenen Medaillon mit dem Zeichen der Gans als einzigem Schmuck und Trost. Ihre schmale Hand tastete unwillkürlich danach, wie um sich zu vergewissern, dass die gütige Göttin sie nicht verlassen hatte. Der Torwächterin war die hagere Dame mit den niemals lächelnden Augen bereits von früheren Besuchen bekannt und trat bereitwillig zur Seite, als Gemma schließlich die Pforte erreichte. Sie pfiff diensteifrig noch einen Stallknecht herbei, um das Pferd entgegenzunehmen und dem Landvogt von Knoppsberg die Ankunft seiner Schwester zu melden.

Trenner Perricum.svg

Tief brütend über der tabellarischen Aufstellung der Lebensmittel, die für den Winter in den Schobern und Kellern eingelagert werden müssen, seufzte Vogt Taradir von Bügenhobel wegen der Kopfschmerzen, die ihn plagten. Man ist halt nicht mehr der Jüngste, dachte er, die alten Knochen spüren die nahende, kalte Jahreszeit. Zumindest hatte der Schreiber bei der Erstellung der Liste keinen Fehler gemacht, sinnierte er. Eigentlich brauchte er die Liste ja gar nicht prüfen, in den letzten Götterläufen hatte sie auch immer gestimmt. Auch nicht vorhersehbare, längere Kälteperioden waren immer berücksichtigt. Und auch Leomir, Sohn des Vogts, war nicht hier, sondern auf abenteuerlichen Reisen, zeitweise sogar als Begleitung des reisenden Hofs der Kaiserin unterwegs. Dabei sollte sich Leomir auch endlich mal mit dem bürokratischen Schreibkram befassen, wenn es denn so sein sollte, dass Leomir Vogt von Knoppsberg wird, sodenn der Markgraf einmal so entscheiden würde...

Plötzlich wurde Taradir aus seinen grüblerischen Überlegungen gerissen, als die Torwächterin meldete, dass Besuch angekommen wäre. Und dass es seine Schwester Gemma von Fuchsbach sei erfreute ihn ganz besonders, vor allem deswegen, weil es nun schon wieder eine Weile her war, dass sie sich gesehen und ausführlich unter vier Augen gesprochen hatten.....abgesehen von dem eher unerfreulichen Anlass zuletzt, wobei sich auch die Gelegenheit nicht ergab, und zudem die Umstände äußerst unpassend gewesen waren. Nicht ohne vorher noch einen kleinen Imbiss herrichten zu lassen eilte er die Treppe hinunter um seine Schwester persönlich in Empfang nehmen zu können.

Trenner Perricum.svg

Nach der herzlichen Begrüßung und dem Essen zogen sich die Geschwister zum Plaudern in die Fensternische des Rittersaals zurück. Schließlich kam Gemma auf den Grund ihres Besuches zu sprechen: „Taradir, ich möchte mich bei dir bedanken, dass ich mit meiner Familie immer noch dort leben kann. Das ist nicht selbstverständlich, denn mit der Offenbarung des Ketzers und Helmars Tod wäre es ein Leichtes gewesen, das Lehen für den Markgrafen einzuziehen und kaum einem wäre das ungerecht vorgekommen.“

Der Landvogt winkte ab: „Liebe Gemma, das ist doch selbstverständlich! Gerade nach den schrecklichen Vorkommnissen müssen wir unbedingt zusammen halten. Außerdem: Wenn ich sofort eine Depesche zum Markgrafen auf den Weg gebracht hätte, hätte ich ja sogleich nicht mehr änderbare Fakten geschaffen.“

„Allerdings gibt es auch noch keine Gewissheit darüber, wer nun Herr in Brückstetten sein soll und das ist schlecht. Ein paar Bauern haben bereits die Zehntzahlungen verweigert mit der Begründung, dass sie nur gegenüber dem rechtmäßigen Junker abgaben- und dienstpflichtig seien. Und wenn es keinen Junker gäbe, dann gäbe es auch weder Abgaben noch Dienste zu leisten. Natürlich ist das purer Unsinn und eine bodenlose Frechheit, aber es weckt Unmut im Volk, wenn die Verhältnisse noch viel länger ungeklärt bleiben.“

„Da hast Du wohl recht, größere Unruhe unter der Bauernschaft dürfen wir nicht dulden. Wenn die Situation sich verschärft werde ich mal einen Ausflug nach Brückstetten unternehmen und mir die Unruhestifter persönlich vornehmen. Letzten Endes ist es aber die Entscheidung des Markgrafen, wen er als Nachfolger einsetzt, das weißt Du ja. Trotzdem heißt es aber nicht, dass man nicht versuchen könnte, diese Entscheidung zu beeinflussen. Lass mich mal überlegen...“

„Da Brückstetten ein erbliches Lehen ist, wäre Redenhardt der nächste Verwandte nach meinem Mann Helmar, der das Junkertum normalerweise übertragen bekommen müsste. Vor drei Tagen erhielt ich allerdings Kunde von Graf Luidor – er hat Redenhardt vor Ende der Knappenzeit des Hartsteener Hofs verwiesen. Und warum? Weil er bei einer Dienstmagd gelegen und sie geschwängert hat. Wie kann Redenhardt mir so etwas, und auch seinem Vater – Boron sei seiner Seele gnädig – antun, der sich so sehr darum bemüht hat, dass der Junge am Oberhartsteener Grafenhof leben durfte?! Haben wir als Eltern ihm nicht von Klein auf die Lehren der Gütigen Göttin nahegebracht? Mein Sohn hat all das durch sein Handeln mit Füßen getreten. Ich fühle mich verraten, Bruder. Das ist nicht das, was ich von dem einzigen mir gebliebenen Kind erwartet hätte, und es zerreißt mir das Herz.“

„Na, das sind ja Neuigkeiten von Deinem Sohn, die gefallen ja gar nicht“, Taradir runzelte die Stirn und überlegte laut weiter: „Hm. Für die Junkernschaft kann man ihn momentan sicher nicht vorschlagen, nach dem, was er sich da geleistet hat - so ein Weiberheld. Möglicherweise erst, wenn Gras über die Sache gewachsen ist.“

Der Schatten, der bei den Worten über Gemmas Gesicht huschte, ließ den in sich hineingrinsenden Landvogt sofort wieder ernst werden.

Gemma seufzte: „Ich kann ihn nicht einmal fragen, was er sich dabei gedacht hat, denn wo er jetzt steckt, weiß ich nicht. Und das ist das nächste: Eine Familie soll doch um Travias Willen zusammenhalten, besonders in Zeiten wie diesen. Stattdessen kam von ihm selbst bis dato weder eine Nachricht noch eine Erklärung. Das kann ich so nicht akzeptieren. Andererseits will ich ihm nicht alle Türen zuschlagen, falls er Reue zeigen und sich ändern sollte. Sag Bruder, was würdest du tun?“

Taradir lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf: „Erst einmal abwarten, liebste Schwester. Etwas anderes können wir für Redenhardt im Moment nicht unternehmen. Sollte er sich bei Dir melden, kannst Du ihm ausrichten lassen, dass ich ihn zu sprechen wünsche. Nach der Standpauke und der Backpfeife, die ich ihm verpasse, werde ich ihm anempfehlen, Buße in Rommilys zu tun um die Gütige wieder etwas milder zu stimmen. Das wird ihm hoffentlich das flegelhafte Benehmen austreiben!“

Gemma nickte: „Ich bete, dass er so auf den richtigen Weg zurückfindet."

Etwas zögerlich setzte sie nach: „Auch will ich nicht unverschämt klingen, aber ich hätte noch eine Bitte an dich. Du wirst von Helmars Base Franka gehört haben. Sie hat zuletzt als Persevantin während des Turniers von Rommilys von sich reden gemacht. Sie ist Witwe wie ich, und darüber hinaus auf der Suche nach einer Anstellung für sich und ihre beiden Kinder.“

„Du kannst sie gerne herschicken, dann werde ich sie mir mal ansehen. Wenn sie sich bewährt, soll sie mir willkommen sein.“

„Ich werde ihr Bescheid geben. Ihr Sohn Fredemar ist im fortgeschrittenen Knappenalter. Stemma hatte ihn damals mit auf ihre Fahrt genommen und nach der märkischen Schlacht hat er einige Zeit an der Rommilyser Knappenschule verbracht. Doch damit ist es auch vorbei, nur dass hier der arme Junge nichts selbst dafür kann. Wenn er keinen Rittervater mehr findet, und danach sieht es derzeit schwer aus, wird er sich wohl im markgräflichen Heer verdingen. Du kennst einige Leute dort. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du ein Wort für ihn einlegen könntest.“

„Da fällt mir etwas ein: Es wäre gar keine so schlechte Idee, wenn sich auch Redenhardt dem markgräflichen Heer anschließen würde. Dann hätte er eine weitere Gelegenheit seine Schmach zu mildern und kann sich dabei gleich um Fredegar kümmern. Ich werde sogleich eine Depesche nach Perricum aufsetzen, wenn es Dir recht wäre. Dann hätten wir gleich zwei Schneelaurer mit einem Pfeil erledigt! Und außerdem“, auf Taradirs Gesicht stahl sich ein selbstzufriedenes Grinsen, „hätte ich dann jemanden in Perricum oder Umgebung zur Vorbereitung von Quartieren für das Knoppsberger Aufgebot, wenn der Ruf zu den Waffen gegen den Erzverräter Haffax ertönt.“

„Erwarte lieber nicht zu viel, Bruder“, Gemma war die Skepsis darüber deutlich anzusehen. „Aber ich will Dir noch von Hesine erzählen, Frankas Tochter. Sie ist trotz ihres jungen Alters mit einem scharfen Verstand gesegnet. Ich habe dir vorhin von den renitenten Bauern erzählt: Sie war dabei und hat dem dreisten Kerl geradewegs ins Gesicht gesagt, dass er dann wohl überhaupt kein Recht auf die Früchte seines Ackers habe, denn dieser sei ihm doch vom Junker überlassen worden. Wenn es aber keinen Junker gebe, dann wäre diese Landleihe ebenso nichtig und alle daraus im Schweiße der Arbeit hervorgebrachte Ernte mithin gar nicht sein eigen und alles ginge an den Markgrafen. Im Übrigen wäre das Vorgebrachte eine Beleidigung des Herrn Praios und ob er denn seine Argumentation vor der heiligen Inquisition und den Rittern vom Bannstrahlorden wiederholen wollen würde, der Weg nach Brückstetten sei denen ja nun bekannt. Da hat der Bauerntölpel aber schnell klein beigegeben.“

Taradir lachte schallend auf: „Was? Das hat die junge Dame von sich gegeben? Ich kann es kaum glauben. Redenhardt sollte sich mal eine Scheibe von ihr abschneiden. Aber das bringt mich zu meinem Vorschlag: Wie wäre es, wenn ich Kraft meines Amtes erklären lasse, dass du bis zur endgültigen Entscheidung des Markgrafen das Lehen verwalten sollst? Mit der Hilfe von Hesine solltest Du das schaffen, oder?“, zwinkerte er ihr zu. „Die Bauernschaft wäre beruhigt, das Lehen wird verwaltet und einer Entscheidung des Markgrafen greifen wir nicht vor. Und was wäre dann nicht einfacher für ihn, wenn er letztendlich Dir das Lehen übertragen würde? Was meinst du?“

„Das wäre das Beste, was ich in der gegenwärtigen Situation hoffen kann“, sichtlich gerührt ergriff Gemma die Hand des Landvogts, „Ich werde mein Bestes tun, um Brückstetten gut in Schuss zu halten, Taradir. Möge es dir die Gütige selbst vergelten. Ich kann dich doch nur in meine Gebete aufnehmen oder eine Kerze im Tempel für Dein Wohlergehen stiften.“



 Wappen Mittelreich.svg  Wappen Markgrafschaft Perricum.svg   Wappen Markgraeflich Knoppsberg.svg   Wappen Markgraeflich Knoppsberg.svg  
 Burg.svg
 
Texte der Hauptreihe:
6. Bor 1037 BF zur mittäglichen Traviastunde
Geschwisterrat
Um der Ehre Willen


Kapitel 2

Die den Titel tragen
Autor: Steinfelde