Geschichten:GG&P-Con 2024 Die Wallbrord-Liste - Durch Faulheit zur Erkenntnis

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Reichsstadt Perricum, Praios 1046 BF

Langweilig. Einfach nur Langweilig. Siegerain hätte nicht gedacht, dass er dieses Gefühl tatsächlich mal für mehr als ein oder zwei Stunden empfinden könnte. Aber nun war es schon seit beinahe einer Woche außergewöhnlich ruhig: Im Bombardenregiment stand alles zum Besten – wo keine Klagen, da keine Probleme – mit der Ausbildung seiner Pagin lief es für ihn auch sehr gut und er hatte sich mittlerweile sogar an die Kleine gewöhnt. Wenn nur deren seltsames Kindermädchen nicht wäre, das dem Oberst irgendwie nicht behagte, zumal sie ganz gewiss auch als Spitzel für diesen alten Drachen fungierte.

Die heute anliegende Arbeit war nach zwei Stunden erledigt und bis zum Mittagessen noch reichlich Zeit. So wie die Tage zuvor. Ob er vielleicht einfach mal einen ausgedehnten Spaziergang durch die Stadt unternehmen sollte? Andererseits hatte der Landjunker gerade keine Lust auf den Lärm und Trubel Perricums. Und seine Verlobte war derzeit auf Familienbesuch. Wie misslich. Was also tun?

Gelangweilt ließ Siegerain den Blick durch sein Amtszimmer schweifen, dessen Einrichtung er größtenteils von seinem Vorgänger übernommen hatte, sowie dieser zuvor von seinem Vater. Eher zufällig blieben des Obersts Augen am Bücherregal hängen. Damals, bei seiner Ernennung zum Regimentskommandeur, hatte er die dort aufbewahrten Werke nur mit einem kurzen Blick bedacht. Fast alles nur Bücher über Strategien, Taktiken, Militärgeschichte in allen möglichen und unmöglichen Formen sowie ähnlich abseitige Themen. Dazu noch irgendwelche Monografien über irgendwelche Feldherren, die er teilweise nicht einmal dem Namen nach kannte. Bücher, die allenfalls als Einschlafhilfe taugten!

Der Gedanke daran ließ Siegerain kurz an ein Nickerchen denken. Verführerisch, zumal das Frühstück heute doch recht opulent ausgefallen war. Aber dann würde er bestimmt wieder von einem Narren, der glaubte, ihn wegen einer Nichtigkeit behelligen zu müssen, zur Unzeit geweckt werden. Und selbst wenn nicht, bestünde immer noch die Gefahr, die Mittagspause zu verschlafen. Nein, keine gute Option.

Seine Gedanken kehrten wieder zu den Büchern und ihrem früheren Besitzer zurück. Wallbrord musste mit dem Militär geradezu verheiratet gewesen sein und sonst keinerlei Steckenpferde gehabt haben, wenn er sich freiwillig mit solch´ einer langweiligen wie sinnfreien und teuren Literatur befasste. Aber das passte zu dem großen ,Kriegshelden‘, eingedenk dessen, wie er ihn kennengelernt, respektive, was er später über ihn gehört hatte.

Etwas unsicher und mit einem leisen Stöhnen erhob sich der Spross der ruhmreichen Häuser Bregelsaum und Berg, waren ihm doch zwischenzeitlich die Beine eingeschlafen. Nachdem das Blut dort wieder zirkulierte, ging er zum Bücherregal hinüber und betrachtete die dort stehenden Publikationen. „Die Kunst der Verzögerung“ – häh? „Das Gefecht der verbundenen Waffen“ – warum sollte man Waffen verbinden? „Möglichkeiten und Risiken defensiver Gefechtsführung“ – dass diese Art des Kampfes Möglichkeiten und Risiken beinhaltete, war dem Oberst auch so, ohne diesen Schinken zur Hand zu nehmen, klar. „Fortschrittliche Gefechtstaktiken für die schwere Linieninfanterie“ – vollkommen nutzlos, er befehligte schließlich ein Schützen- und kein Infanterieregiment! Siegerain wollte sich wieder ab- und seinem im Schreibtisch schlummernden Weinvorrat zuwenden, als sein Blick auf den nächsten Buchrücken fiel: „Helme Haffax – ein Leben für das Reich“. Dem Titel und dem abgegriffenen Einband nach zu urteilen, offensichtlich vor dem Verrat verfasst.

Der Landjunker stutzte kurz. Aus dem Buch ragte leicht ein einzelnes Pergament raus, das irgendwer irgendwann da reingesteckt hatte. Neugierig zog der Oberst dieses heraus und betrachtete es näher. Hatte er den stark in Mitleidenschaft gezogenen Papierfetzen zunächst einfach nur für eine Art Lesezeichen gehalten, so entpuppte er sich als eine bestenfalls unvollständige Liste mit auf dem zweiten Blick vermeintlich hochbrisanten Inhalt und ebensolchen Namen. Dieses so unscheinbar wirkende Pergament – warum auch immer es hier aufbewahrt worden war – schien das reinste Hylailer Feuer zu sein – zumindest eine kleine Menge davon. Eine Hartheide-Liste im Kleinen – nun gut, im sehr Kleinen. Siegerain setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und genehmigte sich erst einmal ein Glas Wein, bevor er überlegte, wie er dieses mehr oder minder brisante Dokument zu seinem Vorteil nutzen könnte.


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Texte der Hauptreihe:
Pra 1046 BF
Durch Faulheit zur Erkenntnis


Kapitel 1

Autor: Jan, Wallbrord