Geschichten:Gedankengift Teil 19

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Maarblick, 8. Travia 35 Hal:

Er hatte sein Pferd geschunden und getrieben bis fast zum Zusammenbruch. Schaum troff von seinen Nüstern, Schweiß klebte an seinen Flanken, sein Leib bebte vor Erschöpfung – als es endlich vor den Toren der aufstrebenden Stadt Maarblick zum stehen kommen konnte. Auch die Reiter, die den herrschaftlichen Pferdeschinder begleiteten, waren erschöpft bis zum Kollaps, doch zu ihrer eigenen Ehre hatten sie gelobt, den Adligen Garetiens zu schützen – vor allen drohenden Gefahren. Jetzt standen sie vor den geschlossenen Toren Maarblicks, denn es war tiefste Nacht – der Ritter hatte nicht innegehalten in seinem Ritt, sondern war vorangeritten ohne sich oder seine Begleiter zu schonen. Laut schallte sein Ruf hinauf auf die Mauer, auf der eine Wache ihren Aufgaben nachging.

„Heda! Ich muss zur Herrin von Ferinstein! Sofort!“

Die Wache mustere im Schein ihrer Fackel das Grüppchen, doch sie erkannte den gebieterischen Tonfall eines herrschenden Adligen sofort. Dennoch, der junge Gardist hatte gerade dieser Tage wachsam zu sein und so ließ er nicht jeden dahergelaufenen Ritter zu seiner Herrin – denn viele schändliche Personen, so erzählte man sich, trachteten der Junkerin von Ferinstein nach dem Leben. Er kniff die Augen zusammen, doch in dem flimmernden Licht seiner Fackel konnte er nichts deutliches erkennen – außer, dass der Herr ein stolzes Wappen auf seinem Rock trug.

„Wer begehrt in Travias Namen zu dieser Stunde Einlass in das stolze Maarblick? Nennt Euren Namen!“ blaffte der Gardist zurück, all seinen Mut zusammen nehmend. Er sah nicht, wie der Reiter unter seiner Kapuze die Augen zusammenkniff.

Er schien seinen Ärger zu zügeln und sprach deutlich und scharf, aber nicht wütend seine Antwort: „Seine Hochgeboren, Baron Nimmgalf von Hirschfurten zu Leihenbutt!“ bellte er so zurück. Der Gardist schien seine Entscheidung gefällt zu haben – er rief seinen Leutnant und einige Waffenbrüder, die sich dann des unerwarteten nächtlichen Reisenden annahmen.


Stadtpalais Gorsingen in Maarblick nur wenig später

„Herrin?“

Die sonst so sanfte Stimme klang aufgeregt, fiepend wie die einer in die enge getriebenen Maus. Aidaloê erwachte nur langsam aus ihrem Schlaf, doch das nächste Geräusch ließ sie emporfahren und an die Wand zurückweichen. Krachend sprang die Tür zu ihrem Schlafgemach auf, mit einem entsetzten Schrei presste sich Odana Hoeckmann an die Wand, Aidaloê blieb ein Schrei im Halse stecken, als zwei Männer im Licht von Odanas Nachtkerze in das Gemach stürmten.

„Ihr könnt nicht...“ hörte Aidaloê die Stimme ihres Ritters Ailgrimm, dann packte sie die andere Gestalt an den Schultern, sie hörte Schluchzer und ein Gesicht vergrub sich in ihrem Haar, während sie durchgeschüttelt wurde. Unter all dem Weinen und den zahllosen Tränen hörte sie die Stimme ihres Liebsten, Nimmgalf von Hirschfurten. Ihr Herz raste, sie wusste nicht was dies sollte.

„Nimmgalf! Nimmgalf!“ Inständig versuchte die Halbelfin zu dem Baron vorzudringen. „Nimmgalf!“ Mit einem kräftigen Ruck stieß sie ihn dann von sich und griff gleichzeitig nach seinen Händen. Was ist geschehen?!“ fragte sie mit vor Furcht zitternder Stimme und im selben Atemzug befahl sie Odana, für Licht zu sorgen.

Ritter Ailgrimm von Fuchsstein indes wich nicht aus dem Schlafgemach, dessen Tür noch offen stand. So konnte die Junkerin von Ferinstein genau hören, welch ein Tumult in den Fluren ihres kleinen Stadtpalais herrschte.

Nimmgalf sah auf, doch noch immer klang seine Stimme gebrochen unter Schluchzern und Tränen – doch Aidaloês scharfes Gehör vernahm eindeutig die Worte „Du lebst! Bei Travia und den anderen alveranischen Herrschern – du lebst!“

Gedankenbilder durchzuckten sie Junkerin – ein Wirtshaus. Ein Mann. Dunkelheit. Ein blitzender Dolch. Dann der Leichnam eines alten Mannes. Ein bekanntes Gesicht. Geruch von Blut. Blutlache. Ein paar elfischer Ohren. Aidaloê schloss entsetzt die Augen. Sie versuchte ihrer Stimme Stärke zu geben, doch sie konnte ein Zittern nicht unterdrücken. „Nimmgalf – was bei Travia ist geschehen?!“ Sie sah ihm tief in die Augen, fühlte seine Nähe, spürte seine starken Muskeln unter ihren Händen – und ließ ihre Geister eins werden. Sie spürte, was er fühlte. Und das ließ sie erschaudern. Dann berichtet der Baron...

Einige Zeit später saßen Aidaloê und Nimmgalf in der Kemenate des Stadtpalais, bleich vor Ermüdung, eingewickelt in dicke Decken und vor sich eine Tasse dampfenden Tees. Traviadane von Rothammer-Gorsingen. Odana Hoeckmann und Ailgrimm von Fuchsstein standen anbei. Aidaloê hielt Nimmgalfs Hand fest umschlungen, hier konnten sie sich diese Zärtlichkeit erlauben. Hier, im Kreise des Hauses Gorsingen. Niemals verließ ein Wort diese Räume. Und diese Geste gab den beiden Liebenden viel Kraft. Denn die Junkerin hatte ihrem Liebsten auch von ihren Ereignissen berichtet. Vom Überfall auf ihre Person, von diesem schmierigen Gauner, der sie versucht hatte zu entehren, gar zu töten. Und jetzt wusste sie, wer dahinter steckte. „Simiona...“ Dieser Name kam ihr nur schwach über die Lippen, doch rief er bei Nimmgalf ein Erschaudern hervor. Diese Dämonenbuhle hatte seinen Oheim ermordet und seinen Sohn geraubt. Und sie herrschte immer noch über Leihenbutt! Aidaloê drückte den Mann an ihrer Seite fest an sich, ließ ihn ihre Körperwärme spüren. Jetzt war auch sie in diese Ereignisse eingebunden.

„Nimmgalf, sei stark. Vertrau auf die Götter!“

Er antwortete nicht.

Traviadane von Rothammer-Gorsingen überbrückte die entstandene Stille. Sie räusperte sich leise. „Wir müssen handeln. Der Frieden in unserem Königreich ist bedroht. Die Hure von Leihenbutt ist eine Dämonendienerin, sie überzieht das Land mit Krieg und Mord!“

Aidaloê hob den Kopf und strich sich eine blonde Strähne aus dem blassen Gesicht. Auch Nimmgalf sah die alte Nordmärkerin an, die sich als tüchtige Ratgeberin seines Freundes Erlan von Syrrenholt etabliert hatte. Die Greisin betrachtete das Paar aus ihren grauen Augen heraus scharf. Sie konnte deutlich die Verzweiflung im Gesicht des Barons erkennen, doch sie wusste auch um seinen Heldenmut in Zeiten der Not. Mit scharfer und kräftiger Stimme sprach sie weiter: „Wenn sie schon Elfen meuchelt, um Elfenmacht zu brechen, dann wird sie es mit einer Elfe zu tun bekommen müssen. Warum kann die Buhle ungehindert schalten und walten und niemanden interessiert es? Weil das Elfchen auf dem Grafenthron nur in seiner Traumwelt lebt. Allechandriel Quellentanz muss erwachen, muss sich ihren Pflichten als derische Gräfin von Waldstein stellen – schon um ihr Volk vor dieser Frau zu schützen. Denn welcher Elf musste an Aidaloês Statt sein Leben lassen?“

Die Halbelfe erbleichte bei diesen Worten, wurde sie doch daran erinnert, dass auch sie kurz vor dem Tode gestanden hatte. Traviadane nickte ihrer Stieftochter beruhigend zu. „Hochgeboren, wir müssen handeln. Die Pfortenritter müssen alle mobilisiert werden, die waldsteiner Barone und Edlen und die Gräfin. Seid Euch der Treue und der Hilfe des Hauses Gorsingen von Ferinstein versichert. Lasst uns für die Grafschaften Waldstein und Reichsforst für den Frieden sorgen!“

Nimmgalf blickte sie eine Weile schweigend an. Er wusste, dass sie mit ihren Worten recht hatte. Aber noch viel mehr als von der militärisch schwachen Gräfin Allechandriel erhoffte er sich Hilfe von Answin. Wenn der zurückgekehrte Rabenmunder in der Wildermark für Ordnung sorgen könnte, dann doch sicher auch in Waldstein. Die Mittel dazu hätte er in jedem Fall, das wusste Nimmgalf aus eigener Erfahrung.

„Die Kräfte der Pfortenritter und die der Gräfin werden zusammen kaum ausreichen, um wirkliche Erfolge gegen Simiona zu erzielen. Einzig ein starkes Heer wäre in der Lage ihre Macht zu brechen. Und über ein solches verfügt Answin von Rabenmund.“

Traviadane wollte schon zu einer Erwiderung ansetzen, doch Nimmgalf kam ihr zuvor.

„Ich weiß was ihr sagen, wollt: er ist ein ehemaliger Thronräuber und im Mittelreich geächtet. Aber es ist auch nicht zu leugnen, dass einzig und alleine er momentan die Macht hat, dem Mittelreich wieder auf die Beine zu helfen. Die Gerüchte um die Rückkehr unserer Königin habe ich auch vernommen, jedoch bin ich noch nicht allzu überzeugt davon. Und selbst wenn sie stimmten, hätte sie heuer noch die militärische Macht, um an den chaotischen Verhältnissen in der Wildermark und letztendlich dann auch in Waldstein entscheidende Änderungen hervorzurufen? Wohl kaum, und daher werde ich den Weg der Stärke wählen und Answin von Rabenmund unterstützen. Meine Entscheidung ist unumstößlich.“

Sie schwiegen eine Weile. „Ihr habt eine mutige Entscheidung getroffen, Hochgeboren. Hoffen wir, dass sie sich für Reichsforst, Waldstein, Garetien und das Reich als die richtige Entscheidung herausstellen wird. Ich bleibe jedenfalls eher skeptisch“, antwortete die alte Edle.

„Das hoffe ich ebenso“, schloss Nimmgalf. Auch Aidaloê nickte ihm zu.