Geschichten:Gezeichnet

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Nach einer kurzen Pause ergriff Rondrigan erneut das Wort, diesmal allerdings mit einer eher sorgenvollen Miene.

"Ihr kennt sicherlich die Redensart, wonach dort, wo es viel Licht gibt auch eben so viel Schatten zu finden ist. Leider verhält es sich in eurem Falle - natürlich ohne euer Zutun - ähnlich."
Der neuernannte Oberst wollte gerade etwas sagen, doch gab ihm sein Gegenüber hierzu keine Gelegenheit.
"Wie ihr sicherlich wisst, hatten die jüngsten Kämpfe in der Stadt nicht nur allerlei Tod und Zerstörung zur Folge, sondern sorgten auch in der markgräflichen Administration gelinde gesagt für Unordnung. Dadurch tauchte erst jetzt ein Dokument auf, das mich, sagen wir, zu einer Neubewertung eurer jüngst erfolgten Belehnung mit der Baronie Vellberg zwingt. Doch seht selbst. Und nehmt euch ruhig für die Lektüre einige Minuten Zeit."
Der Gemahl der Kaiserin entnahm der Mappe ein drittes, aus mehreren Blättern bestehendes Konvolut und reichte es seinem Gast.

Ugdalf las das Dokument, bei dem es sich um den letzten Willen seines Vaters handelte, sorgsam und seine Mimik wechselte in rascher Folge von Überraschung über Enttäuschung zu kaum unterdrücktem Zorn. Mühsam beherrscht legte er das Testament auf den Tisch zurück und fragte seinen Gastgeber:
"Und was gedenken euer Erlaucht nun zu tun?", dabei tief im Inneren die Antwort schon erahnend.

"So wenig ich es nachvollziehen kann, warum Herr Wallbrord seine illegitime Tochter euch vorzieht, wo ihr ihm doch bisher wahrlich große Ehre gemacht habt, so wenig kann ich hier leider für euch tun. Wie ihr gesehen habt, hat meine verstorbene Großmutter das Testament nicht nur als Zeugin sondern auch als Regentin der Provinz gegengezeichnet und gesiegelt. Dadurch hat dieses Dokument Rechtskraft erhalten, so sehr es mich auch für euch dauert. Ich bin daher also gezwungen, Vellberg einzuziehen und neu zu vergeben. Diesmal an eure, nun ja, Halbschwester. Wie hieß sie doch gleich? Ah, Elissa."

Ugdalf zuckte bei der Nennung dieses Namens kurz zusammen und fühlte sich ansonsten, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Vom eigenen Vater, dessen Erwartungen er offenkundig nie entsprechen konnte, enterbt! Zugunsten einer Bastardin, die es trefflich verstanden hatte, Wallbrord soweit um den Finger zu wickeln, dass er sie in der jüngeren Vergangenheit nicht nur mehr und mehr bevorzugt hatte, sondern ihn gar dazu bewegen konnte, als seine Erbin eingesetzt zu werden! Dieses Miststück! Der nunmehrige Ex-Baron war kurz davor, aufzuspringen und vor lauter Zorn das Arbeitszimmer des Markgrafen zu zertrümmern. Er brauchte eine ganze Weile, bis er sich wieder soweit unter Kontrolle hatte, dass er zu einer Entgegnung ansetzten konnte.
"Ich habe verstanden, Erlaucht. Ich denke, ihr könnt umgekehrt auch verstehen, dass ich dieses Testament vor dem Reichskammergericht anfechten werde. Meine 'Halbschwester' hat sich dies alles nur erschwindelt, indem sie unseren Vater für sich und gegen mich eingenommen hat. Niemals hätte er aus freien Stücken so etwas verfasst."

Rondrigan empfand für einen Moment fast so etwas wie Mitleid für seinen Gast. Allerdings nur fast, da er durch sorgsame Recherchen mittlerweile in Erfahrung hatte bringen lassen, dass Wallbrord sich das Testament mitnichten hatte aufschwatzen lassen sondern diesen Schritt wohlüberlegt getan hatte. Und wenn er sich Ugdalf so ansah, konnte er dessen Enterbung durchaus nachvollziehen. Der Mann mochte ja ein guter Offizier sein, aber als Baron ...? Mit sanfter und zugleich mitfühlender Stimme wandte sich der Markgraf dem neuen Oberst zu.
"Nun, egal, wie man die Hintergründe auch bewerten mag: an der Rechtsgültigkeit des letzten Willens eures Vaters ändert dies meines Erachtens nichts. So sehr ich euren Schmerz auch verstehe, wird eine Klage vor dem Reichskammergericht an den Fakten nichts ändern. Außerdem dürfte es Jahre dauern, bis es endlich ein Urteil gäbe. Wollt ihr euch eine solch´ lange Hängepartie wirklich antun? Natürlich steht es euch frei, in dieser Sache dennoch beim Gericht vorstellig zu werden, doch müsste ich dies als Affront und Missachtung meiner Autorität als Herr dieser Provinz auffassen, was meine Gemahlin sicherlich ähnlich sähe. Unter diesen Umständen wäre es für mich nur sehr schwer vorstellbar, Euch - all eurer enormen Fähigkeiten und Leistungen zum Trotz - in meinen Diensten zu behalten.
Aber ich schreibe diese Ankündigung einer Klage eure momentanen aufgewühlten Gefühlslage zu und habe sie daher überhört. Ich glaube nämlich nicht, dass euch der Sinn danach steht, der Markgrafschaft den Rücken zuzukehren."

"Danke für eure offenen Worte und Euer Verständnis, Erlaucht."

Erstaunlicherweise klang dieser Satz für Rondrigan nicht sarkastisch sondern - aufrichtig. Dieser Mistkerl Wallbrord hatte seinen Sohn also richtig eingeschätzt.

"Was ratet ihr mir stattdessen?"

"Nun, auch wenn es euch verständlicherweise schwerfallen mag: Erkennt das Testament eures Vaters als rechtens an und stürzt euch nicht ins Unglück. Ich bitte euch! Aber ich will ich euch zu nichts überreden. Ich schlage vor, wir machen eine Pause von einem halben Wassermaß, ihr geht ein wenig an die frische Luft, um einen klaren Kopf zu bekommen und danach treffen wir uns wieder hier. Und für den Fall, dass ihr meinen Rat annehmt, lasse ich eine entsprechende Erklärung aufsetzen."

"Wie ihr wünscht." erwiderte Ugdalf und verließ nach einer kurzen Verbeugung den Raum.

Der Markgraf nahm, kaum, dass die Tür ins Schloss gefallen war, das längst vorbereitete Dokument aus der Schublade, um es nachher sofort zur Hand zu haben. Irgendetwas sagte ihm, dass sein Gast es letztlich unterzeichnen würde ...

Pünktlich nach einer halben Stunde kamen die beiden Männer wieder zusammen.

"So sehr es mir auch widerstrebt", begann Ugdalf, "ich nehme euren Vorschlag an."

"Das freut mich ungemein. Alles andere hätte mich auch sehr überrascht und mich an euren Scharfsinn zweifeln lassen. Hier die Erklärung, von der ich sprach. Darin erkennt ihr den letzten Willen eures Vaters vorbehaltlos an, was den Wechsel des Baronsreifs an eure Halbschwester ausdrücklich mit einschließt. Da ich eure Enttäuschung wie gesagt sehr gut nachvollziehen kann, habe ich noch einfügen lassen, dass eure Zeit als Baron in allen Chroniken weiter als rechtens geführt werden wird, zumal all dies nicht euer Verschulden ist."

Ugdalf nahm das dargebotene Schriftstück wortlos entgegen, unterzeichnete und bestätigte es mittels Abdruck seines persönlichen Siegelrings, um es danach seinem Gegenüber zurückzugeben.
"Wenn es sonst nichts weiter gibt, euer Erlaucht, würde ich mich gerne zurückziehen."

"Natürlich, mein Guter, natürlich. Euch muss ja auch eine Menge durch den Kopf gehen. Da will ich euch nicht über Gebühr aufhalten. Schlaft euch aus oder sucht Zerstreuung in der Stadt. Dann sieht die Welt für euch bald wieder besser aus. Euren neuen Posten braucht ihr erst mit Beginn der neuen Woche anzutreten. Praios befohlen."

"Ich danke euch, Erlaucht. Und meine Treue zu euch ist natürlich weiter ungebrochen."

Der neue Oberst hatte gerade die Tür erreicht als ihm sein Gastgeber hinterherrief:
"Habt ihr nicht etwas vergessen? Eure Urkunden und den Orden?"

"Oh, verzeiht, ich war ganz im Gedanken."
Mit fahrigen Händen nahm er die genannten Dinge vom Tisch und verabschiedete sich endgültig. In seinem Kopf war derzeit nur für einen Gedanken Platz: Rache an dieses Miststück Elissa. Mochte Ugdalf auch auf Vellberg verzichtet haben - ein Verzicht darauf, seine Halbschwester für das, was sie ihm angetan hatte, büßen zu lassen, kam unter keinen Umständen infrage.

Mit einem wieder gefüllten Glas Wein in der Hand stand Rondrigan Paligan am Fenster seines Arbeitszimmers und beobachte nachdenklich, wie sein Gast mit weit ausholenden Schritten die Residenz verließ.