Geschichten:Godix - Kapitel IV
Bei den grünen Zwillingen im Frühjahr 1009 BF
Ich genoss meine gemeinsamen Gespräche mit Helmine: Bis in die Nacht bei zu viel Torbelsteiner über die Welt und die Götter zu philosophieren. Wer weiß, in einer anderen Welt, mit anderen Eltern, hätten wir vielleicht ein Paar werden können. Aber man darf die Zeit nicht zurückdrehen, das bringt nichts. Ein jedes Wesen auf Sumus sterbenden Leib hat seinen Zweck.
Diese Frühjahrsnacht war allerdings anders! Wir waren beide stocknüchtern, denn auf der Festung Gryffenwacht schien vor einigen Wochen etwas Seltsames passiert zu sein. Mir waren die Auswirkungen damals gar nicht so genau klar, selbst Helmine, die das ganze ja sehr viel genauer untersucht hatte, hatte es nicht so recht verstanden. Die hundertjährige Serpentia, das war eine entfernte Muhme des Barons und brilliante Magierin, hatte sich bei einem seltsamen Ritual selbst entleibt und ihre beiden magisch begabten Verwandten Griffpurga und Leuwalda gleich mit ausgelöscht.
Damit hatte sich die Familie quasi in einem Schlag um alle ihre Erben gebracht, einzig Baron Rondradan und sein Vater überlebten diese Nacht und der letztere siechte eigentlich nur noch ein paar Jahre dahin, bis er in mysteriöser Weise bei einem Jagdunfall zu Tode kam.
Spannender war für uns damals - und ich muss heute sagen wir waren auf der richtigen Spur - die Stärkung des jungen Rondradans. Ich kannte ihn als eher schmächtig, aber von jener Nacht an gewann er wortwörtlich an Statur. Aber nicht nur körperlich: Er bekam eine geradezu überderisch sinistre Austrahlung, und ein paar Jahre später schaffte er es, ohne seine Festung oft zu verlassen, sich Feinde im ganzen Königreich zu machen, vom Süden Eslamsgrunds bis tief nach Waldstein hinein.
Aber zurück zu der Frühjahrsnacht: Es geschah in den Wäldern der grünen Zwillinge. Helmine und ich wagten uns gemeinsam hinein, um aus einer möglichst großen Nähe die Auswirkungen des gewirkten Rituals zu untersuchen. Wir wählten den kleinen Zwilling, also den, auf dem eben nicht Gryffenwacht steht, der aber an der Spitze einen guten Blick auf die Stammfeste der Nettersqueller hatte.
So liefen also Helmine und ich dort durch den Wald und wirkten unsere Zauber und Liturgien, um mehr über den Vorfall zu verstehen, als plötzlich ein bärtiger Mann unbestimmbaren Alters zu mir trat.
"Es tut gut zu sehen, dass die unsrigen noch immer über die alten Steine wachen", setzte er mit seiner schnarrenden nahezu hypnotischen Stimme an. Es war zwar zu diesem Zeitpunkt ein halbes Leben her, aber ich hätte ihn sofort wiedererkannt.
"Erzmeister Godix", flüsterte ich ehrfurchtsvoll.
"Meister Gjaros", antwortete er und für mich schien die Welt um uns herum zu verschwinden. Da waren nur noch diese Augen, wirklich solche in denen man unfreiwillig versank, und über allem schwebte diese Stimme:
"Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen. Rondradan ist unser Freund. Er unterstützt unsere Sache."