Geschichten:Gottesfurcht
Stadt Samlor, 05.Phex 1047 BF Coruna hatte ein paar Erkundigungen eingezogen, wie sie denn wohl ihre adelige Abkunft nachweisen könnte. Einen Stammbaum oder Ähnliches hatte sie nicht, sie würde sich zunächst einen eigenen Stammbaum anfertigen lassen müssen. Schließlich war sie als Mitglied der Familie Rosshagen geboren worden, und stammte damit von einer durchaus angesehenen Junkersfamilie ab. Doch zunächst benötigte sie eine Abschrift der Geburtsurkunde, und die konnte sie nur im Travia-Tempel zu Samlor erhalten, da dort vor über dreißig Götterläufen ihre Geburt beurkundet und in das Hirschfurtener Geburtenregister eingetragen wurde. Es würde ihr demnach nicht erspart bleiben, dem Tempel einen persönlichen Besuch abzustatten. Sie verfluchte ihre verhängnisvolle Situation, denn der Tempel des Ewigen Herdfeuers der Herrin Travia war nicht ohne Grund ein Ort, den sie zeitlebens immer gemieden hatte, hatte sie doch mit den travianischen Treuegeboten noch nie viel anfangen können, dafür brannte das Feuer der Herrin Rahja viel zu heiß in ihr. Nicht zuletzt war dies aber auch der Grund für ihrer momentane Situation.
Aber ohne die Dokumente würde sie Junker Falk niemals von ihrer adeligen Abkunft überzeugen können, wenn man bedachte wo sich sich kennen gelernt hatten. Das hätte sie an seiner Stelle ihr ja auch nicht abgekauft.
Erschwerend hinzu kam nun noch, dass sie für 12 Götterläufe aus Hirschfurten verbannt war, und das war erst ein paar Monde her. Wenn man sie jetzt erkannte, müsste sie mit schwerwiegenden Konsequenzen rechnen. Sie ging also ein sehr hohes Risiko ein, wenn sie sich zurück nach Hirschfurten begab. Doch genau das hatte sie nun vor.
Dazu hatte sie ihre Haare schwarz gefärbt, und trug eine große Bernsteinbrille, die sie sich in Alrikshain gekauft hatte, und ein graues Kopftuch. Sie gab sich als Gesandte der Junkerin von Marano aus, da sie auf Rückfragen zu ihrer Schwester am ehesten glaubhaft reagieren könnte. Die Chance ausgerechnet jemandem von ihrer Familie in Samlor zu begegnen, hielt sie dagegen für äußerst gering.
Nachdem sie das Stadttor passiert hatte - bis auf ein paar Standardfragen war sie von den Torwachen glücklicherweise recht unbehelligt geblieben - machte sie sich schnurstracks auf den Weg zum Traviatempel, da dieser direkt gegenüber dem großen Rondratempel am Marktplatz lag, war er kaum zu übersehen. Auf dem Weg dorthin sah sie sich stets aufmerksam um. Sie musste um jedem Preis vermeiden, von jemandem erkannt zu werden. In dem Fall bliebe ihr nur noch eine eilige Flucht.
Schließlich erreichte sie den Traviatempel. Sie band ihr Pferd davor an und betrat das Gotteshaus mit einem mulmigen Gefühl, fast als ob ihre sündige Seele gewogen und geprüft würde. Würde die Göttin sie für ihre vielen Frevel bestrafen? Zunächst sah sie sich etwas zögerlich drinnen um. In der Tempelhalle war eine große Statue der Göttin Travia zu sehen, die wie eine gütige Mutter ihre Kinder um sich geschart hatte. Coruna steckte ein Kloß im Hals und sie schluckte schwer. Ein wenig erschrak sie, als ein etwa vierzigjähriger Geweihter in einer orangefarbenen Robe auf sie zutrat.
"Die gütige Mutter zum Gruße, und willkommen im Tempel des Ewigen Herdfeuers, liebe Tochter. Man nennt mich Bruder Shazar. Wie kann ich Dir behilflich sein?" sprach er mit lauter aber freundlicher Stimme.
Nachdem sie den ersten Schreck überwunden hatte, stammelte sie: "Tra...Travia zum Gruße, Euer Gnaden! Ich... mich schickt die Junkerin von Marano. Ich benötige eine Abschrift der Abstammungsurkunden für sie und ihre Familienmitglieder. Am besten rückwirkend bis zu den Urgroßeltern."
"Nun, das ist ein recht ungewöhnlicher Wunsch. Dürfte ich wohl erfragen, was der Grund dafür ist?"
Coruna blickte ihn etwas irritiert an. "Das... äh... der Grund ist, dass ... dass der Familienstammbaum leider nicht mehr auffindbar ist. Tja! Die Junkerin wünscht einen neuen erstellen zu lassen. Wäre das möglich? Gegen eine angemessene Spende selbstverständlich." Sie war sichtlich nervös, aber sie hoffte, dass es nicht weiter auffiel.
Der Geweihte überlegte kurz und nickte dann. "Natürlich. Sagt der Junkerin, in etwa zwei Wochen kann sie den Stammbaum abholen. Solange..."
"Nein!" unterbrach Coruna barsch, und fuhr dann ruhiger fort: "Verzeihung. Ich meine, nein, das würde dann wohl zu lange dauern. Es... es soll ein Geschenk werden, wißt Ihr? Wenn ihr nur die Urkunden ausstellen könntet... würde das dann schneller gehen?"
Der große Mann sah sie ein wenig skeptisch an.
"Nun, wenn es so eilig ist, dann ja", sprach er ein wenig reservierter. "Aber drei Stundengläser benötige ich für die Abschrift in etwa schon. Warum geht ihr nicht solange ein wenig durch die Stadt spazieren? Vielleicht habt ihr ja noch andere Angelegeheiten zu regeln? Am aufenthalt im Tempel des Herdfeuers scheint euch ja nicht allzu viel zu liegen."
"Oh... oh doch... durchaus...", stammelte sie. Ich würde mich gerne hier etwas umschauen. Ich hatte leider bisher noch nicht die Gelegenheit, den Tempel aufzusuchen, wißt Ihr?"
Der Geweihte lächelte sie an. "Na wenn das so ist, dann kann ich Euch helfen." Er sah sich um: "Travialieb?"
Eine junge Novizin von etwa 15 Götterläufen in einer hellgelben Robe mit orangenem Kragen näherte sich dem Geweihten. Ihr habt gerufen, Bruder Shazar?" Coruna spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann, ohne dass sie genau sagen konnte warum. "Aber nein, das ist dich nicht nötig..." Doch der Geweihte wiegelte ab. "Travialieb, bitte zeige doch der Dame hier den Tempel, und zeige ihr wie segensreich unser Haus für den wahrhaft Gläubigen sein kann", bat er sie freundlich.
"Aber gerne, Bruder Shazar", antwortete sie. Und zu Coruna gewandt: "Bitte folgt mir."

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