Geschichten:Gramfelden - Hatz

Die Sonne stand tief über der Heide, warf lange Schatten über das ausgedörrte Land und tränkte die Welt in das matte Gold des scheidenden Tages. Zwei Männer standen gebeugt am alten Zaun, der Moor und Weideland voneinander schied, und mühten sich mit morsch gewordenen Pfählen ab. Ihr Gespräch war einfach, geprägt von den Sorgen eines jeden Tages – ob die Ochsen stark genug für den Pflug blieben, ob der alte Orkmistregen wohl doch wieder aus dem Westen käme.
Sie bemerkten nicht, dass sie beobachtet wurden.
Im fahlen Gestrüpp, kaum mehr als eine dunkle Verzerrung zwischen den Flecken aus Heidekraut und Moorgras, lauerte das Wesen. Es war kein Dachs, nicht wirklich. Zu groß, zu unförmig, das Fell stumpf wie alter Ruß, mit einer Färbung, die sich vor dem Auge zu winden schien, als wolle sie nicht wirklich gefasst werden. Es roch nach Erde und Fäulnis, nach etwas, das einmal lebendig gewesen war und es nun nicht mehr sein sollte.
Der Wind stand günstig, trug die scharfen Laute der Bauernstimmen zu dem Ding, das kein Dachs war. Es sog die Luft ein, prüfte den Geruch. Blut, Fleisch, Mensch. Langsam, sehr langsam schob es sich näher, das Gestrüpp kaum berührend, lautlos wie Schatten auf Wasser. Es wartete, bis einer der Männer sich hinhockte, um einen neuen Pfahl in den Boden zu treiben.
Dann sprang es.
Ein schrilles Kreischen durchschnitt die abendliche Stille, ein Ton, der nichts Natürliches an sich hatte. Der erste Bauer sah es erst, als es bereits zu spät war – ein dunkler, zischender Schatten, der sich in der Bewegung zu verdrehen schien, die Fratze nichts als wirbelnde Finsternis und gierige, blasse Augen. Die Krallen rissen durch den groben Leinenstoff, Haut platzte auf, warme Tropfen verteilten sich in der Luft.
Der zweite Knecht schrie auf, ließ alles fallen und griff instinktiv nach der nächstbesten Waffe – ein grober Holzpfahl, den er mit beiden Händen packte und gegen die angreifende Bestie schwang. Der Schlag war kräftig, ein dumpfes Knacken, als das Ding auf den Boden krachte, aber es war nicht genug. Es zuckte, zitterte, verzog sich wie Rauch im Wind und stand bereits wieder.
Der Verwundete taumelte rückwärts, hielt sich den blutenden Arm, während sein Kamerad erneut ausholte. Der Schlag traf, aber das Ding gab nicht nach, bäumte sich auf, ein knurrendes Fauchen aus einer Kehle, die nicht hätte existieren sollen. Eine Klaue zuckte hervor, schnitt durch Stoff und Fleisch, ließ den Bauern zu Boden gehen.
Der andere packte einen der losen Weidenruten, die für den Zaun bestimmt waren, und schleuderte sie mit aller Kraft. Das biegsame Holz traf das Wesen an der Seite des Schädels – wenn es denn ein Schädel war –, und diesmal brach es zur Seite, rutschte im Dreck aus. Mehr Zeit war nicht. Der stehende Bauer zog den Verwundeten am Kragen, rang ihm auf die Beine, brüllte ihm ins Gesicht: „Lauf, bei allen Zwölfen, lauf!“
Und sie rannten.
Durch das hohe Gras, über die tückischen Wurzeln der Heide, weg von dem fluchbeladenen Ding, das sich bereits wieder gesammelt hatte. Sie hörten es nicht, sahen es nicht – aber sie wussten, dass es kam.
Die Dunkelheit schloss sich dichter um sie, die Schatten der Brache schienen sich zu regen, als hätten sie sich mit dem Ding verschworen. Der Jäger war auf ihren Fersen, und es war schneller.
Der Verwundete stolperte, fiel schwer auf die Knie, rang nach Luft. Sein Gefährte packte ihn, zog ihn weiter, keuchte aus heiserer Kehle: „Nicht stehen bleiben, verdammt!“
Hinter ihnen – ein Geräusch. Ein Fauchen, ein Knistern, als ob altes Pergament riss. Etwas stieß gegen den Boden, schwer, gierig.
Dann, plötzlich, ein anderer Laut. Ein gellendes, klagendes Kreischen, als hätte sich die Welt gegen das Ding gewandt. Ein Beben lief durch den Boden, kaum spürbar, aber da. Etwas geschah – etwas, das nicht die Bauern herbeigerufen hatten.
Der Lärm verhallte. Das Fauchen verstummte.
Keuchend, blutend, schwitzend drehten sich die Männer um.
Dort, wo das Wesen eben noch gewesen war, lag nur Erde. Aufgewühlt, geschwärzt, aber leer. Kein Schatten, keine Spur.
Die beiden Männer starrten sich an, stumm vor Erschöpfung, vor Fassungslosigkeit. Dann, ohne ein Wort, half der eine dem anderen wieder auf die Füße.
Als sie schließlich das Gramaue erreichten, taumelten sie auf die Baustelle am Dorfplatz zu, wo Männer beim Holzstapeln schwitzten und Bier in schäumenden Humpen kreiste. Sie keuchten, noch immer gezeichnet von Angst und Erschöpfung, und griffen nach den ersten Bechern, die ihnen gereicht wurden. Erst nach dem ersten Schluck brach es aus ihnen heraus.
Die Arbeiter hielten inne, der Zimmermann legte sein Werkzeug beiseite, und die alten Weiber, die auf niedrigen Bänken saßen und sonst jeden Firlefanz in Geschichten webten, verstummten.
"Ein Dachs war’s nicht, ich schwör’s! Ein Schatten mit Krallen, ein Ding, das nicht richtig war!"
Die Weiber murmelten Stoßgebete. Ein andere verzog den Mund. "Schatten? Aberglaube! Vielleicht 'n tollwütiges Vieh."
"Tollwütig?" Der Verwundete zog den blutverkrusteten Ärmel hoch. "So reißt kein toller Hund!"
„Und dann war’s auf einmal weg? Einfach so?“ fragte einer misstrauisch.
„Als hätte was Höheres eingegriffen...“, murmelte einer der Knechte.
„Herr Korwin muss das wissen“, entschied der andere, erhob sich taumelnd. "Das ist keine Spukgeschichte – das ist eine Warnung."