Geschichten:Grauen am Darpat - Ablösung naht
Dramatis Personae
- Marnion von Kelsenstein- Junker zu Kelsenburg
- Leomara von Isenbrunn, Ritterin zu Gnitzenkuhl
- Kor’win Beshir’a Danal han Bahr ai Danal - Großwildjäber aus Brendiltal - Alex K.
- Kain han Bahr ai Danal - Gehilfe Kor'wins – Alex K
- Unswin von Keilholtz ä.H., Edelknappe und Novize im Zornesorden
- Alexis Colon Darios, Praetor des Rondratempels zu Schwertwacht, Leutnant im Zornesorden
- Selinde von Löwenhaupt-Hauberach, Junkerin zu Allwinnen und Erb-Baronesse zu Vellberg
Ein wunderschöner Morgen
Kain wurde unsanft durch einige raue Knuffe in die Seite geweckt. Nur mühsam und widerwillig öffnete er die Augen, da er eigentlich noch gerne weitergeschlafen hätte.
„Stäh schon auf du altä Schlafmitzä.“ Hörte er aber seinen Mentor sagen und spürte erneut einen leichten Stupser dessen Fußes zwischen seinen Rippen. „Morgänrauen ist längst vorbai und das Wettär ist ausgezaichnet.“
Schließlich gab Kain sein Unterfangen auf, doch noch ein wenig mehr Schlaf zu bekommen und blinzelte. Die Tür des Stalles stand leicht auf, so dass er das helle Tageslicht eines sonnigen morgens sehen und die gute Luft – trotz des Stallgeruchs – wahr nehmen konnte. Die Ritterin von Isenbrunn war auch im Stall wie er jetzt sehen konnte als er sich aufrichtete. Diese war dabei Tjalf zu erklären wie er die Wickel um die Waden Arns anlegen sollte. Als sie damit geendet hatte, lächelte sie kurz zu ihm herüber.
„Auch schon wach?“ Doch dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit schon wieder auf den Verletzten. Es war an sich nicht schwer diese Maßnahme zum senken der Hitze im Körper des Hünen, doch der große Mann hatte offensichtlich neben dem Fieber auch noch Schmerzen und bewegte sich stark, was er eigentlich besser gelassen hätte in Anbetracht der Wunden am Rücken. Wie Kain an den Verbänden sehen konnte, war eine der Stellen immer wieder am bluten. Bekümmert begann Leomara einen neuen Verband anzulegen. Viel Material dazu hatte sie nicht mehr. Der Fischer, der gestern Nacht noch feige fliehen wollte, hielt seinen Freund, den Hafenmeister, fest, sodass Leomara nun daran gehen konnte den blutigen Stoff zu entfernen. Mit fest zusammengepressten Lippen stand sie da, und man konnte sehen, dass sie die Luft vor Anspannung anhielt so wie sie aussah.
Der leichte Regen aus der Nacht hatte draußen auch die schlimmsten Blutspuren weggespült oder in den Boden versickern lassen, so dass alles nicht mehr ganz so schlimm aussah. Hinzu kam, dass bereits jemand das Frühstück zubereitete und er einzelne Vögel munter zwitschern hörte. Dabei musste Kain sich eingestehen, dass er wirklich sehr lange geschlafen haben musste.
„Ich weiß noch nicht, wann wir aufbrechän kennen. Arn gäht es noch immär nicht wirklich viel bässer.“ Kor’win kniete sich neben Kain und packte ihre Sachen zusammen, während er leise mit ihm sprach. „Doch ich habä mir ein paar Dinge heute Nacht durch den Kopf gehen lassen. Wenn die Dingä hier mit dem Wäsen im Zusammenhang stähen, dann betrifft äs uns. Von daher sollte ainer hier bei dän Garäthy blaiben und der andäre wird waiter am Darpat sähen, ob das Vieh dort auftaucht.“
Kain setzte sich derweilen auf und rieb sich das Gesicht, um auch den letzten Schlaf aus seinen Gedanken zu verbannen, während er weiter zuhörte.
„Also iberleg Dir, was Du machen willst. Baides ist nicht ainfach.“
Draußen unter einem dichten Baum betete der Rondrageweihte sein Morgengebet. Er war trotz der Strapazen vom gestrigen Tag früh aufgestanden, so dass die dritte Wache ihn noch gesehen hatte. Während alle anderen so nach und nach aufstanden, beendete er sein Gebet und begab sich zum Feuer.
Unswin hatte sich seinem Ordensbruder sogleich zum Gebet angeschlossen und es Leomara überlassen die Gefährten zu wecken. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit sprang er jedoch nicht sofort auf als das Gebet des Geweihten beendet war, sondern blieb noch weiter knien. Es war lange her, dass der Novize sich solcherart ins Gebet vertieft hatte, doch mehr denn je kam es Unswin so vor, als würde er die Hilfe und Führung Rondras benötigen. Schließlich erhob er sich und warf einen langen Blick auf den breiten Fluss zu seinen Füßen. Unwisch verscheuchte er eine Krähe die sich ihm während seines stillen Gebets neugierig genähert hatte und ging zurück zum Feuer, wo Leomara sich gerade wieder setzte.
Die Nebachoten warfen den Rondrianern nur kurze Blicke zu, beachteten ihre Gebete jedoch ansonsten weiter nicht.
Seufzend ließ sich Leomara am Feuer nieder. „Ich habe seine Verletzungen in Augenschein genommen. Bis auf eine sehen sie ganz gut aus.“ Sie drehte sich zu Alexis um. „Vielen Dank nochmals Euer Gnaden. Ohne Euch und den Beistand der Leunin hätte er die Nacht vermutlich nicht überlebt.“ Müde strich sie ihre wirren Haare aus dem Gesicht. Ein paar Strohhalme hatten sich in der Nacht darin verfangen, und so sah sie nun ziemlich ramponiert und jung aus. „Es fällt mir schwer zu sagen, dass wir uns aufteilen sollen, doch ich fürchte, dass Arns Kräfte nur für einen Transport mit dem Boot ausreichen. Daher würde ich sagen, dass die eine Hälfte von uns landeinwärts den nächsten Büttel oder Schulzen aufsucht, derweil die anderen Arn solange hier bewachen, bis wir wieder da sind, oder er für einen Transport stark genug ist. Entscheidend dafür wäre nach meiner Einschätzung, dass das Fieber endlich sinkt. Tjalf wird sein bestes tun, um genau das zu erreichen.
„Es war der Beistand der Göttin, ich war nur der Übermittler. Die Leunin hat es gewollt, auf dass er weiter dem Leben seine Stirn bietet.“ Des Weiteren fügte der Geweihte noch an. „Gestern Abend habt ihr mich gebeten Euch zur Baronin oder ihrem Vertreter zu begleiten, dabei können wir nach einem Büttel oder Schulzen Ausschau halten.“
Kor’win zuckte bei den Worten Leomaras gleichgültig mit den Schultern. Arn war nicht sein Problem und er wollte hier nicht ausharren müssen, bis irgendwer, irgendetwas gemacht hatte. Darum sollten sich andere kümmern.
Neuankömmlinge
Unwillig und mit einem herzhaften Gähnen erwachte auch Selinde, weniger aus eigenem Antrieb, als durch die von den bereits Wachgewordenen verursachten Geräusche.
Auch die Vögel schienen sich an diesem Tag ihres Lebens zu erfreuen, und riefen dies mit ungebremstem Elan in die Lüfte hinauf. Das erste Grün wetteiferte mit den hellen Sonnenstrahlen um Beachtung, derweil die nur mäßig ausgeschlafenen Krieger ihre noch müden Knochen reckten und dem Glanz dieses schönen Frühlingstages wenig abgewinnen konnten, nach den in der Nacht im Turm aufgefundenen Gräueltaten.
Nachdem sie sich gewaschen hatte, nutzte sie die verbleibende Zeit bis zum Frühstück zu einem kurzem Spaziergang um dem Turm, zum einen, um ihn sich noch mal in Ruhe im Tageslicht anzusehen, zum anderen, um die Müdigkeit aus ihren Beinen zu vertreiben.
Der schmale Karrenweg, der zum Turm geführt hatte war nun im Hellen deutlich zu erkennen. Vermutlich würden sie hier entlang den Weg zu ihrem Besuch antreten. Die Baroness versuchte sich zu orientieren, immerhin hatte sie die Baronin schon einmal besucht, und die Gegend war ihr daher nicht völlig unbekannt. Als sie so da stand, und sich anhand des Flusslaufes, des kleinen Hügels und ihrem Orientierungssinn versuchte zu vergegenwärtigen wo genau in der Baronie der Turm lag, bewegte sich plötzlich etwas in ihrem Gesichtsfeld. Von dort wo sie stand hatte sie den Weg gut im Blick, und so sah sie wie aus einer Biegung des Pfades eine ganze Gruppe von Leuten in ihre Richtung marschierte. Sie waren nicht um Heimlichkeit bemüht, sondern im Gespräch miteinander beschäftigt, soweit sie das sehen konnte. Sie hatten, soweit sie das erkennen konnte annähernd ähnliche Kleidung an in den Farben schwarz und blau. Es mochten nicht ganz zwei Handvoll Männer sein.
Schnellen Schrittes legte sie die Distanz zum Feuer zurück, wo die anderen waren. Ohne großes Federlesen gab sie ihre Beobachtung gleich weiter. „Da kommen Leute der Baronin den Weg entlang vermute ich. Fast zwei Hand voll. Sie dürften auch bald den Rauch des Feuers sehen.“
Den beiden nebachotischen Jägern, die etwas abseits leise miteinander geredet hatten, war die Ankunft der Fremden wohl auch nicht entgangen. Während Kor’win sich zu den anderen ans Feuer gesellte, huschte Kain Deckung suchend erst einmal hinter den Anbau.
Alexis erhob sich und blickte zu Leomara. „Gut. Ich schlage vor, dass wir ihnen die Situation beschreiben und ihnen erklären, was sich hier gestern zugetragen hat. Oder hat jemand Bedenken dies bezüglich?“
„Warten wir erstmal ab, was sie hier wollen“, antwortete Selinde, „wir müssen ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.“
Schließlich nahmen sie alle den Haufen wahr, der sich da den Weg zu ihnen hinauf bewegte. Es handelte sich um sechs Männer und eine Frau. Je näher sie kamen desto deutlicher konnte man sie erkennen. Einer von Ihnen, der Hauptmann oder Weibel so vermuteten einige, hatte ein paar kurze knappe Worte mit seinen Männern gewechselt, als sie erkannten, dass an dem Turm Leute lagerten. Waren diese Leute zuvor noch ungeordnet den Weg herauf gezuckelt, so schienen sie nun einer Ordnung zu folgen, und der Anweisung ihres Anführers folge zu leisten. Schließlich fächerten sie sich ihnen gegenüber auf, wobei sie den Redner in der eigenen Reihe flankierten. Ihre Kleidung war ärmlich, doch in den Farben Bergthanns gehalten. Aufmerksam nahm der Weibel alles in Augenschein, bevor er recht einsilbig ein „Götter zum Gruße!“ heraus brachte.
Als Unswin die Soldaten näher kommen sah, fuhr ihm kurz der Schreck durch die Glieder. Damit hatte er nicht gerechnet, schon gar nicht hier in zivilisierten Landen. Aber wo eine ganze Wachturmbesatzung ohne viel Mühe ermordet werden konnte, hätte er vielleicht auch das erwarten können. Bevor sie ganz heran waren, bewegte er sich langsam hinter seinen Ordensbruder, die Hand am Schwert und beobachtete den zerlumpten Kerl direkt neben dem Anführer des Gesindels aufmerksam weiter.
Der Kelsensteiner kam gerade vom Austreten zurück als auch er die Ankömmlinge erblickte. An ihrer Kleidung glaubte er sie als Büttel der hiesigen Baronin zu erkennen. Doch ob es sich auch wirklich um solche handelte war ihm noch lange nicht ausgemacht. Es war schon ein jämmerliches Pack das sich den Hügel herauf quälte. Eingefallene Wangen, schiefe Zähne, strähnige wirre Haare, zu große oder zu kleine bunt zusammen gewürfelte einzelne Rüstungsteile, keine einheitliche Bewaffnung, einer der Männer nur einen Langdolch, eher die Waffe eines aufständischen Bauern als die einer regulären Einheit. An der schartigen Klinge eines Kurzschwertes eines anderen ließ sich schon aus der ferne Rostfraß ausmachen. Lediglich ihr Anführer, kein Abzeichen verriet seinen Rang, hatte ein richtiges Langschwert an der Seite, allerdings ohne eine Scheide dafür zu besitzen. Auch die Frau, die an der rechten Flanke des Anführers heran schritt passte gut zu ihren Kameraden. Obwohl noch jung an Jahren, war ihr Gesicht faltendurchzogen, sie hinkte und ihre blonden Haare waren achtlos mit einem Strick nach hinten gebunden. Da der Wind zum Turm herauf wehte erreichte just in diesen Augenblick ein süßlicher Gestank Marnions Nase, den er nur zu gut von der Front und aus der Wildermark kannte. Der Duft von Bier, ungewaschenen Leibern und Untergewändern, vermischt mit diversen Ausscheidungen und vielleicht noch gewürzt mit einer Prise Eiter. Eindeutig Gesindel der übelsten Sorte. Ob dies nun eine reguläre Einheit der Baronin war oder nur ein Trupp Plünderer oder Wegelagerer, die sich einige Uniformen angeeignet hatten war dem Junker gleich. Sie selbst waren Fremde hier vor der eindeutig nieder gemachten Bastion, da mochte schnell ein falscher Eindruck entstehen, oder ein Wort das andere geben und es zu einem Kampf kommen. Marnion war erfahren genug, das er solches Pack nicht unterschätzte, sie waren militärisch organisiert und nahmen eine Formation ein, die ihnen einen Sturmangriff ermöglichte, wenn auch den Hang hinauf. Der Junker gab Selinde mit einem Handzeichen zu verstehen die Reihe zu schließen und beschleunigte seine Schritte um zur rechten Zeit wie zufällig an Leomaras rechte Seite zu treten und sie im Falle eines Falles zu decken. Derweil musterte der herankommende Trupp genau mit wem sie es zu tun hatten. Insbesondere ihre Bewaffnung schien es den Neuankömmlingen angetan zu haben. Auch das Verschwinden von Kain war ihnen nicht entgangen, einer deutete gerade zum Anbau hinter den der junge Jäger Deckung gesucht hatte, während die Blicke des Anführers über die eingeschlagene Turmtür und die frischen Gräber huschten.
Der Rondrageweihte betrachtete ebenfalls die recht dürftige Ordentlichkeit der Uniformen. „Rondra zum Gruße“, antwortete er dem Weibel, „was treibt euch hier in die Gegend?“ Er machte sich bereit auf einen eventuellen Angriff, sollten sie keine reguläre Truppe der Baronin sein. Sein Schwert ließ er jedoch noch stecken. Der Novize hingegen blieb weiterhin stumm und beschränkte sich darauf die Männer und die Frau aufmerksam zu betrachten. Sie waren ihm noch immer nicht geheuer, gerade weil er ein ihm bekanntes Gesicht unter ihnen erkannt hatte. Unswin konnte sich einfach nicht vorstellen, dass dies etwas Gutes zu verheißen hatte.
Kor’win überlies das Reden den anderen. Das heruntergekommene Äußeres jedoch ignorierend, kannte er die Aufmerksamkeit der Neuankömmlinge an, als sie Kain bemerkten.
Die Vellbergerin betrachte diese ‚Gardisten‘ mit großem Mißtrauen: Ein solch verlotterter Haufen in Diensten der stets auf absolute Korrektheit wert legenden ehemaligen Gouverneurin der Stadt des Lichts? Undenkbar! Dieser nach billigem Fusel, Erbrochenem und Schlimmeren stinkende Trupp wäre legal wahrscheinlich nicht einmal in Bergthann eingelassen, geschweige denn von der Herrin des Lehens angeworben worden. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht! Selinde beugte sich wie beiläufig zum Geweihten rüber und raunte ihm zu:
„Wir sollten auf der Hut sein, ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Efferdane solche Galgenvögel in Diensten hält.“ Schließlich versuchte die Baronesse mit einer List, letzte Gewissheit darüber zu erhalten. Dazu wandte sie sich an einen der ‚Gardisten‘, welcher sie mit lüsternem Blick anstarrte und dem sie dafür am liebsten mehr Benimm eingeprügelt hätte.
„He Du! Sag´ an, wie geht es Deiner Herrin zur Zeit? Habe gehört, dass ihr die Gicht mittlerweile so sehr zusetzt, dass ihre Hochgeboren kaum eine Stunde am Tag zu stehen vermag. Hoffentlich hat sich ihr Zustand wieder gebessert!“
Die erhobene Hand des Weibels hinderte ihn gerade noch Selinde zu antworten, doch er tat dies höchst unwillig. Er lächelte ihr zu, und zog eine Augenbraue fragend nach oben. Einst war er sicher einen zweiten Blick wert, nahm sie an Rande wahr, doch das Angebot, dass er ihr damit machte war derart unverschämt, dass Leomara, die bislang ruhig an der Seite des Rondra Geweihten gestanden hatte wütend aufzischte. Ungerührt ob dieser Reaktion, schaute sich der Rohling derweil nach einem ruhigen Plätzchen um, wohin er sich mit dieser Frau zurück ziehen könnte.
„Seid gegrüßt Euer ...Gnaden?“ Man hörte an der rauen Stimme des Anführers deutlich, dass er sich ob des Ranges des Geweihten der Leunin nicht ganz sicher war. Er hackte seine Daumen in den Gürtel ein, und stellte sich breitbeinig vor ihnen auf. Die braunen Augen stachen deutlich hervor, da das Weiß seiner Augäpfel ungesund gelblich verfärbt war.
„Was wir hier machen ist ja wohl offensichtlich. Wir lösen unsere Kameraden hier ab. Die können jetzt wieder zurück, und wir müssen hier eine Woche bleiben. Ich frag mich bloß...was ihr hier tut und wo sind die überhaupt?“ Er nahm mit einem weiteren Blick die Runde, und mit einer Geste, die ihr Lager umfasste, auch dieses mit in die Frage mit ein.
„Das hier ist ein Wachposten am Darpat, und kein Platz für eine Jagdgesellschaft. Wenn ich um die Namen bitten dürfte, ich kenne Euch nicht. Solltet ihr nicht von hier sein, habt ihr euch eines schwerwiegenden Vergehens schuldig gemacht.“
Dann deutete er auf die Frau an seiner Linken und den Mann an der Rechten. „Ihr geht mal nach oben und schaut, was hier los ist.“
Die Frau schien zu zögern und ein Ausdruck der so etwas wie Abscheu zeigte spiegelte sich in ihren verlebten Zügen. „Aber...!“
Mit wildem Ausdruck, der keinen Widerspruch duldete herrschte der Weibel sie an.
„WAS? Willst du dich meinem Befehl widersetzen?“
Sie schluckte eine Antwort hinunter, umfasste dann den Knauf ihrer Waffe jedoch fester, und machte sich mit ihrem Kameraden daran durch die Adligen hindurch zu gehen, um nach den anderen Wachleuten im Turm Ausschau zu halten. Dabei lief sie aber auf den Mann auf, da der wie angewurzelt stehen geblieben war, und den Edelknappen anstierte.
Das Zögern und der Widerwille der Frau hatten Unswin stutzig gemacht. Konnte es sein, dass diese ‚Soldaten’ wussten was sie im Turm vorfinden würden? Hatten sie vielleicht etwas damit zu tun? Dass sein alter Bekannter, der ihn nun offensichtlich auch erkannt hatte, unter diesen Leuten war, sprach nicht unbedingt für deren Glaubwürdigkeit. Schnell strich der Edelknappe seinen Ordensrock glatt und trat neben den Geweihten, der eben ansetzte zu sprechen.
„Wartet! Mein Name ist Alexis Colon von Perricum, Tempelvorsteher zu Schwertwacht des Ordens des Heiligen Zorns der Rondra und ich nehme nicht an, dass wir wie eine Jagdgesellschaft aussehen – wenn es euch möglich ist, genauer hinzuschauen“, die Arroganz des Anführers störte den Geweihten, was er auch deutlich machen wollte, „des Weiteren sind eure Kameraden hinter dem Haus, liegen in Sumus Erde und haben in der gestrigen Nacht des Grabsegen erhalten. Sie alle wurden Opfer eines Angriffes, dessen Resultat wir gestern nur noch Zeuge waren.“
Unswin entschied sich lieber selbst die Initiative zu ergreifen, als eine Reaktion der Männer abzuwarten. Daher sprach er den in schwarz blaue Kleider gewandeten Mann an, der ihn so unverhohlen musterte, und inzwischen fast angrinste.
„Sei mir gegrüßt Jarlek. Wir haben uns lange nicht gesehen.“ Herausfordernd blickte er den Söldner an. „Täuscht mich der Eindruck oder kann es sein, dass ihr gar nicht in den Turm hättet gehen müssen um zu wissen was ihro Gnaden euch eben mitgeteilt hat?“ Noch immer hatte der Novize die Hand nicht vom Schwertknauf genommen, so als würde er jederzeit eine Auseinandersetzung erwarten. Für einen Moment war die Spannung zwischen den beiden Männern fast greifbar und in der plötzlichen Stille war nur das aufgeregte Krächzen der Krähen zu hören.
Kor’win der noch immer hinter den anderen stand, mußte selbst grinsen. Warfen die Raulschen den Nebachoten nicht immer vor stets aufbrausend zu sein und heikle Situationen heraufbeschwörend zu wollen. Nun jetzt wollte er einmal abwarten, wie man eine solche Situation auf „garäthy“ löste.
Die Entwicklung, die dieses Gespräch nahm, gefiel Leomara überhaupt nicht. Sie versuchte sich ein wenig so zu positionieren, dass sie zur Not den Weg zum Schuppen, in dem Tjalf und Arn völlig unbewaffnet waren, schützen konnte. Die Gnitzenkuhlerin warf Marnion einen entsprechenden Blick mit der Hand am Knauf ihres Kurzschwertes zu, und hoffte er würde ihren Wink verstehen.
Der Kelsensteiner reagierte prompt und ging ein paar Schritte zur Seite, so dass er Leomara zwar noch beispringen konnte aber auf jeden Fall den Weg zu den Verletzten abschneiden konnte.
Die beiden Bewaffneten standen nun unschlüssig auf halber Distanz zwischen ihrem Anführer und den Adligen und warfen einen fragenden Blick in seine Richtung.
Unswin glaubte in den Zügen von Jarlek so etwas wie Unmut zu erkennen, als er ihm oder vielmehr seinem Anführer eine Lüge unterstellt hatte.
Bevor sie die Klinge sprechen lassen wollte, hatte sie das Gefühl, dass sie es vielleicht noch einmal friedlich versuchen sollte. Leomara gab sich einen Ruck, und lächelte den Anführer unverbindlich an.
„Wir wollen hier keinen Streit herauf beschwören guter Mann. Ich bin Leomara von Isenbrunn, Ritterin aus der Baronie Gnitzenkuhl. Auch uns dauert das Schicksal eurer Kameraden. Wir sind aus Gnitzenkuhl hier herüber gekommen, weil wir auf unserer Seite des Flusses mit Sichtungen eines Untieres am Darpat zu tun hatten. Als wir so den Fluss und die Auen auf der Suche danach durchkämmt haben, hatte uns ein Schäferjunge flussabwärts von hier auf eurer Seite des Darpat auf einen Fund eines Schafskadavers aufmerksam gemacht. Nach reiflicher Überlegung, dachten wir, wir könnten hier von der Turmbesatzung etwas erfahren, wann und ob dieses Vieh gesehen worden ist. Leider kamen wir jedoch zu spät.“
Sein kritischer Blick wanderte hinüber zu den aufgespannten Wildschweinfellen, sodass die Ritterin sich genötigt sah auch hier erklärend einzuspringen.
„Erst hatten wir in der hereingebrochenen Dunkelheit eine Auseinandersetzung mit einer Rotte Wildschweine beim Anlegen im Schilf. Der Hirte hatte uns gesagt, dass der Turm nicht weit sei, und die Dunkelheit hat uns leider überrascht.“
Gestenreich hatte sie dem Mann ihr Tun geschildert und auch immer wieder den Blickkontakt zu den anderen Soldaten gesucht, um jede Bewegung, die den Beginn einer aggressiven Handlung bedeutet hätte auch nicht zu übersehen.
Der Anführer schien ihre Worte derweil zu überdenken, wohingegen seine Leute immer unruhiger wurden. Aus den Augenwinkeln glaubte sie gar zu sehen, wie der eine anzügliche Gesten in Richtung Selinde machte. Es kostete sie einiges an Selbstbeherrschung um nicht aus ihrer Rolle zu fallen.
„Sicher habt ihr von dem Ungeheuer gehört, und der Baron hat schon die Büttel zu mehr Wachsamkeit angehalten.“ Inständig hoffte, sie, dass dieses Mal der Plan aufgehen würde. Selindes Idee war gut gewesen, und sie hoffte, dass ihre eigene Miene unschuldig genug war, um den abgebrühten Mann hinters Licht zu führen. Doch der antwortete impulsiv und schnell, angesteckt durch ihre eigene Redseligkeit, wie sie annahm.
„Sicher hat er das...!“ Hochmütig und noch immer kritisch sah er ihr direkt in die Augen. Sie schauderte bei diesem leblosen Blick. Nun war es an ihr ihn kalt anzusehen. Das Lächeln war wie aus ihrem Gesicht gelöscht.
„Ach, hat er?“ Jetzt war alles klar. Selinde würde das auch wissen, doch die anderen musste sie auch informieren. Diese Männer standen nie und nimmer im Dienst der Baronin. Rasch zog sie ihr Schwert blank.
„Es gibt gar keinen Baron. Wer auch immer ihr seid, ergebt euch, oder ihr werdet hier und jetzt unsere Klingen zu spüren bekommen!“ Einen Moment stand alles starr, doch wie zu erwarten, wollte dieser Haufen nicht die Waffen strecken, sondern im Gegenteil, sie wollten zeigen, dass diese eingebildeten Adligen ihnen nichts anhaben konnten.
Bericht an die Baronin von Bergthann