Geschichten:Grauen am Darpat - Der kleine Rat
Dramatis Personae
- Unswin von Keilholtz ä.H., Edelknappe und Novize im Zornesorden
- Leomara von Isenbrunn, Ritterin zu Gnitzenkuhl
- Selinde von Löwenhaupt-Hauberach, Junkerin zu Allwinnen und Erb-Baronesse zu Vellberg
- Alexis Colon Darios, Praetor des Rondratempels zu Schwertwacht, Leutnant im Zornesorden
- Alfred Beradje von Schwertwacht, Ritter von Schwertwacht und Leutnant im Zornesorden
- Taseco Efferdicas, Praetor des Efferd-Tempels von Dergelmund
- Hakon Adelger von Sturmfels, Erster Markgräflicher Flusskapitän und Beauftragter zur Sicherung des Darpats, Ritter
Der Kleine Rat
Thronsaal Burg Gnitzenkuhl – Ingerimm 1032 BF
Die illustre Gästeschar
Endlich, ein erfrischendes Bad und eine kräftigende Mahlzeit später saß man bei einem Becher Bier oder einem der lieblichen Weine des Südens gemeinsam an der langen Tafel der Baronin Geshla von Gnitzenkuhl. Der Thron hatte den angestammten Platz geräumt und die Türen zum Raucherzimmer waren geöffnet worden, wo ihnen während der Mahlzeit zwei Musiker aufgespielt hatten. Die gereichten Speisen waren allesamt sehr wohlschmeckend gewesen, wobei Leomara sich während der Speisenfolge nicht verkneifen konnte immer wieder “Oh Fisch, wie köstlich!” einzuwerfen, wenn ein neuer Gang aufgetragen worden war. Allerdings war sie klug genug gewesen dies nicht allzu laut zu tun. Am anderen Ende der Tafel waren nämlich Geshla und ihr Vogt dabei die hiesigen Produkte, die aus den Tobritzen hergestellt wurden über alle Maßen zu loben. Sogar die Namen der Händler fanden Erwähnung denen man das gerade gegessene zu verdanken hatte. Einzig der Efferd Geweihte war zuvor befragt worden, wie er seine Mahlzeit zu sich nehmen wollte. Natürlich wurden auch die neu eingetroffenen Gäste allen Anwesenden vorgestellt, sodass einem gedeihlichen Austausch nichts mehr im Wege stand.
Wie zu erwarten hatte Geshla die Zeit nicht nur in ihrem Arbeitszimmer verbracht, sondern sie sah aus, als sei sie soeben einem Jungbrunnen entstiegen. Die Wangen leicht pfirsichfarben gerötet, die Augen dunkel betont, und die Haare in lockigen Kaskaden auf die Schultern fallend gesteckt, so hatte sie sich ihren Gästen lächelnd am Abend präsentiert. Das Kleid, musste man allerdings sagen war hoch geschlossen und in Form und Farbe eher unaufdringlich. Ein wertvolles um die Schultern geschlungenes Brokattuch sollte die einsetzende Frische des Abends mildern.
Der sie flankierende Vogt von Isenbrunn war in tadellosem Zustand erschienen, in Begleitung seiner Tochter Leomara, die sich ebenfalls herausgeputzt hatte, um den Gästen und auch ihrer Baronin den nötigen Respekt zu zollen. Ihr Kleid war überraschender Weise an die nebachotischen Kleider im Schnitt angelehnt, jedoch keinesfalls in einem durchscheinenden Tuch, sondern aus feinen roten und orangefarbenen Stoffbahnen. Dieser Farbtupfer hatte zur Folge, dass die an sich recht unscheinbare Ritterin mit einem Male sehr fraulich und charmant aussah. Eine schmale Kette um den Hals, an dem ein durchsichtiger Kristall hing war ihr einziger Schmuck. Sie hatte allerdings nicht völlig auf eine Waffe verzichten wollen, sodass an ihrer Hüfte ein schmucker bestickter Gürtel hing, wo wenigstens ihre Zweitwaffe ihren Platz fand. Ihre Haare waren in einem Haarnetz nach oben gesteckt worden, in dessen Mitte ein ähnlicher Stein wie an ihrem Hals saß.
Unswin hatte sich auf den ersten Platz zur linken Seite Leomaras gesetzt. Die Plätze weiter oben am Tisch in der Nähe der Gastgeberin standen nach seinem Verständnis den höherrangigen Gästen, den Geweihten sowie den Junkern oder Erben der Nachbarbaronien zu. Normalerweise hätte er sich gar nicht gesetzt, sondern seinem Herrn Alfred Beradje aufgewartet, aber hier und heute war auch Unswin Gast und wurde bedient. Wie schon den ganzen Tag trug er unter seinem Ornat das ihn als Novizen des Zornesordens auswies sein Kettenhemd, welches er anscheinend nicht einmal zu einem gesellschaftlichen Ereignis wie diesem Essen abzulegen trachtete. Wie seine Tischnachbarin schien er den diversen Variationen von Tobritzen nicht viel abgewinnen zu können. Wenn auch wahrscheinlich weniger weil er sie schon so häufig genossen hatte, sondern eher weil ihm der Geschmack ungewohnt war. Eher lustlos stocherte sich der Edelknappe durch die Gerichte bis er sich beim letzten Gang an einer Gräte heftig verschluckte. Behände war seine Tischnachbarin aufgesprungen. Schnell trat sie hinter ihn und zog ihn derweil er noch immer hustete auf die Beine. Routiniert drückte sie seinen Rumpf leicht nach unten, und schlug ihm kräftig auf den Rücken. Natürlich zogen sie dabei die Blicke aller Anwesenden auf sich, was die Ritterin scheinbar nicht im Geringsten zu stören schien.
Nachdem er mit Leomaras Hilfe die Gräte ausgehustet hatte, saß Unswin mit hochrotem Kopf da und entschied sich dazu an seinem Weinpokal zu nippen bis das Mahl beendet wurde. Die Ritterin hingegen warf ihrer weit entfernt sitzenden Baronin anschließend wilde Blicke zu. Erst nach einer Weile sprach sie den Edelknappen an. "Es tut mir leid, dass die Auswahl des Essens nicht euren Geschmack trifft." Ein Blick in ihren Teller genügte ihm, um zu erkennen, dass hier eine Leidensgenossin neben ihm saß, und er sich nicht weiter rechfertigen musste. "Wenn ihr wollt können wir später noch was Ordentliches essen." Sie war ihm sehr nah gekommen, als sie das gesagt hatte und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Ein blumiger Duft ging von ihr aus.
Unswin war noch immer etwas beschämt über sein Missgeschick beim Abendessen. Mit hängendem Kopf saß er da und wagte kaum seine Tischnachbarn anzuschauen. Wie mochte er nur in den Augen seines Herrn ausgesehen und welches Bild auf ihn und die Zornesritter geworfen haben. Dennoch war ihm die erneute Initiative der Ritterin nicht unrecht, da ihn das Gespräch sofort von seinem eigenen Schamgefühl ablenkte. “Ich will die Gaben Efferds und Travias keineswegs gering schätzen, aber für einen märkischen Gaumen ist das wahrlich nichts. Zudem scheinen sich Tobritzen selbst im gebratenen Zustand noch sehr erfolgreich ihrer Haut erwehren zu können.” Mit einem zaghaften Lächeln bekämpfte er das Bedürfnis ob seines Missgeschicks erneut im Boden zu versinken.
Leomara hingegen musste nach dieser Äußerung Unswins herzlich lachen. Zudem verwirrte ihn der Umstand, dass dieselbe robuste Ritterin die noch vor einigen Stunden durch Schilf und Uferschlamm gewatet war, hier im Abendkleid und wohl duftend neben ihm saß als wäre sie gerade einem kaiserlichen Empfang entsprungen. “Allerdings wäre es wirklich unschicklich von mir, wenn ich Euch als meiner Lebensretterin diesen Wunsch ausschlagen würde. Zudem verspracht Ihr mir heute Mittag noch eine Führung durch die Stadt. So Ihr also wie ich noch Appetit auf etwas Herzhafteres verspürt, wäre es mir eine Ehre Euch zu einem späteren Zeitpunkt zur Quelle dieses Genusses zu begleiten.” Mit diesen Worten hob er seinen Weinpokal um Leomara zuzuprosten.
Sie hob ebenfalls ihren Pokal und schien seinen Worten nachzulauschen. “Eigentlich dachte ich wir holen uns einfach in der Küche ein wenig schmackhaften Braten, aber wenn es noch nicht so spät ist, können wir auch noch runter in den Anker gehen. Die haben fast immer etwas Leckeres für mich übrig. Dann sollten wir aber noch der Baroness”, sie deutete auf ihre Begleiterin aus dem Schilf, “Bescheid geben. Doch wenn ich ehrlich sein soll, ich fürchte es wird ein langer Abend werden. Wir haben wenig in Erfahrung gebracht, und doch sollte man daran gehen koordiniert zu handeln und Informationen zu sammeln.”
Unswin hielt einen Moment inne und überdachte die Worte seiner Gesprächspartnerin. “Vielleicht ist es besser den Ausflug in die Stadt auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Im Dunkeln könnte ich kaum ehrlich beurteilen was es zu sehen gibt. Zudem dürfte die Stimmung in der Stadt zurzeit wohl weniger gelöst sein als sie es im Normalfall wäre, da wohl vielen Bürgern die Angst vor dem Monster in den Knochen steckt. Verschieben wir dies also auf später. Doch der Gang zur Küche könnte mir durchaus gefallen. Zumindest die Burg werde ich wohl auf diesem Wege schon ein wenig besser kennen lernen.” Er zögerte kurz und nahm in der entstehenden Pause einen tiefen Schluck aus seinem Weinpokal. “Vielleicht könnt Ihr mir bei dieser Gelegenheit auch ein wenig mehr über Euch und das Leben hier in Perricum erzählen. Denn soweit südlich hat es mich in den Diensten des Ordens bisher noch nicht verschlagen.” Unswin gab sich inzwischen nicht mehr die Mühe den restlichen Tischgesprächen zu folgen, sondern hatte sich nun voll Leomara zugewandt während er mit ihr sprach. Mochte es vielleicht auch eine Unhöflichkeit darstellen der Gastgeberin am anderen Tischende nur den eigenen Hinterkopf zu präsentieren, war ihm dies in diesem Moment herzlich egal.
Seine Tischnachbarin, die ohnehin dem oberen Tafelende wenig Aufmerksamkeit schuldete ließ sich gerne auf das Gespräch mit ihm ein. Allerdings versuchte die Ritterin auch sich mit Marnion von Kelsenstein zu unterhalten. An ihrer Mimik merkte man, dass sie dabei sehr beherrscht und konzentriert wirkte und um Distanz bemüht war. Die Leichtigkeit die eben noch im fast vertrauten Gespräch mit dem Edelknappen Unswin geherrscht hatte war gewichen und hatte einer Ernsthaftigkeit Platz gemacht, deren Grundlage sicher nicht im Verlauf dieses Abends begründet lag.
Der Junker von Kelsenstein hatte sich seinen Platz zur Rechten von Leomara gesucht, so weit weg von der schönen Geshla, wie es die Tafel zuließ. Auf seine Rüstung und Schwert hatte er auch für eine solch feine Runde nicht verzichtet. Speis und Trank ließ er unberührt. Dafür betrachtete er intensiv die Anwesenden und fing das eine oder andere Tischgespräch mit den Umsitzenden an.
Voll Bedauern nahm Unswin die neue Reserviertheit zur Kenntnis die Leomara an den Tag legte, nachdem sich der Junker von Kelsenstein, welcher ihm gegenüber saß, an ihrem Gespräch beteiligte. Da sich ihre Stimmung im Moment nachhaltig eingetrübt zu haben schien, bemühte er sich, vielleicht ein wenig ungeschickt, die Aufmerksamkeit des Junkers auf sich zu lenken um Leomara von dem ihr offensichtlich unangenehmen Gesprächspartner zu befreien.
“Sagt einmal, Euer Wohlgeboren, wenn ich mich recht entsinne sind meine Ordensbrüder und ich auf unserem Ritt nach Perricum durch das Hoheitsgebiet Eures Herrn gereist bevor wir nach Gnitzenkuhl kamen. Diese Abenteurer die wir auf dem Marktplatz trafen erzählten, dass sie ihr Treffen mit dem Monster oberhalb Gnitzenkuhl am Darpat hatten. Insofern müsste es sich schon fast auf dem Gebiet Eurer Baronie aufgehalten haben. Wie kommt es also, dass man sonst wenig aus Wasserburg hört. Ist der Baron denn nicht auch bestrebt dem Untier Einhalt zu gebieten?”
Auf die Frage des Knappen hin, nahm auch Marnions Gesicht einen ernsten Ausdruck an, er holte tief Luft ehe er antwortete: ,,Unswin, der Baron von Wasserburg ist mitnichten mein Herr. Weder habe ich ihm, noch seiner Mutter zuvor den Lehnseid geschworen, noch hätten diese Wert darauf gelegt einen Nebachoten auch nur zu empfangen. In einer einzigen Sache war ich zumindest mit der Mutter des Barons einig, das nicht allein Unzucht über die Vergabe von Lehen entscheiden sollte, sondern die Taten eines Menschen. Leider sollten Ihre guten Vorsätze nur für andere gelten und nicht für Ihren Sohn. Baron Zordian von Tikaris kümmert sich einen feuchten Deut um seine Untertanen, solange er es warm hat und ihm gebratene Wachteln in den Mund fliegen. Am Tage als ich den Tod seiner Mutter vernahm, öffnete ich eine meiner besten Flaschen roter Darpater, um den Geschmack nach zu empfinden, als ihr Blut den Fluss färbte."
Leomara war wie zu Salzsäulen erstarrt ob solch einer geäußerten Sicht der Dinge. Sie fragte sich, ob der Kelsensteiner für seine…Vorwürfe Beweise hatte. Wie immer war sie nach Wahrheit bestrebt, egal, wer sie brachte, wenngleich sie niemals freiwillig danach fragen würde. Am Ende würde er gar recht behalten…?
Während der Junker noch sprach wurde es für Unswin überdeutlich woher Leomaras plötzliche schlechte Laune kam. Dieser Wilde der ihm hier gegenübersaß schien wirklich nicht den geringsten Schimmer zu haben was es mit Praios’ Ordnung auf Dere auf sich zu haben schien. Man musste seinen Herren nicht lieben, dennoch war es in seinen eine impertinente Anmaßung wenn nicht gar ein Frevel höchsten Grades den Lehnseid zu verweigern und beim Tode des Lehnsherren ein Freudenfest zu veranstalten. Dazu diese unangemessene, ja fast freche Vertrautheit die dieser Bergbewohner an den Tag legte. Einen Moment fehlten dem Edelknappen einfach die Worte. Sein Mund ging einige Male auf und zu als würde er wieder verzweifelt nach Luft schnappen müssen.
„Nun ja… Marnion, nicht war?“ Unswin legte bewusst etwas Schärfe in den Namen seines Gegenübers um diesen so taktvoll wie möglich auf die Unangemessenheit seines Verhaltens hinzuweisen. „So lotterhaft wie Ihr den Zustand in eurer Baronie darstellt, haben wir von dort also keine nennenswerte Hilfe zu erwarten. Ich danke Euch, dass Ihr mich darüber aufgeklärt habt.“ Er gab sich nicht die Mühe dem Nebachoten zu erklären, dass er die Lasterhaftigkeit wahrscheinlich an anderer Stelle sah als sein Gesprächspartner. Stattdessen drehte er sich Unswin recht abrupt wieder Leomara zu um den gerade hinter ihr stehenden Tischdiener nach mehr Wein zu fragen, so dass er dem Junker von Kelsenstein nur noch seine nahezu unbewegte vernarbte linke Gesichtshälfte zuwandte. Es war ziemlich offensichtlich, das Unswin jedes Interesse daran verloren hatte dieses Gespräch fortzusetzen.
Der Kapitän hatte nahe der Spitze der Tafel und der Baronin Platz genommen. Wenn auch nicht Edler oder Junker, so lies sein Amt ihm diesen Platz doch als angemessen erscheinen. Nachdem sie aus dem Ort hierauf gekommen war, war er zunächst zu seinem Schiff zurückgekehrt. Hier oben dauerte es ihm zu lange und so konnte er noch das ein oder andere mit seinen Offizieren besprechen. Für ein schnelles Bad war er dann rechtzeitig zurückgekehrt und saß nun in einem sauberen Offiziersrock an der Tafel. Seine Klinge und Dreispitz warteten vor der Halle auf ihn. Er genoss die dargebotenen Speisen. Fisch in all seinen Variationen war doch eines der großen Geschenke des Launenhaften an die Menschen. Verbunden mit einem guten Wein noch immer ein Mahl, das zu gefallen wusste.
Neben dem Kapitän nahm der Geweihte Taseco Platz. Zufrieden hatte er registriert, dass die Gastgeberin die Gebote seines Gottes offenbar gut kannte und darum gebeten, den Fisch roh serviert zu bekommen. Zudem bat er um Wasser, ließ sich jedoch auch ein wenig Wein bringen, um der aufmerksamen Baronin gegenüber ebenfalls höflich zu sein.
Die Baronesse zu Vellberg trug ein recht schlichtes dunkelgrünes Samtkleid nach Garether Mode, dazu einen Siegelring sowie eine Halskette mit einem Medaillon, während sie ihr schulterlanges braunes Haar offen trug und auf Schminke verzichtete. Nach einem kurzen Blick über die Tafel setzte sie sich auf einen Platz am oberen Ende des Tisches, nahe der Baronin, wobei sie aber zwei Stühle hin zu dieser freiließ, unsicher, ob nicht noch andere adlige Gäste und Vertraute der Gastgeberin eintreffen und einen Platz nahe dieser einnehmen mochten. Den gereichten Fisch verspeiste sie mit ungerührter Miene; zwar mochte er von kundiger Hand zubereitet worden zu sein, aber Efferds kulinarische Gaben waren einfach nicht ihr Fall, ebenso wenig wie leichte Konversation bei Tisch, welche Selinde daher auf ein gerade noch schickliches Minimum reduzierte. Lediglich der Gastgeberin machte sie ihre Aufwartung, da sie diese bisher noch nicht kennen gelernt hatte.
Geshla war eine Person, der es nicht auffiel, wenn ihr Gegenüber ihren Ausführungen nur mit einem Ohr lauschte. Sie hörte sich selbst scheinbar gerne sprechen, was sie mit betont leiser Stimme tat, wohl um den Missklang der ausbrach, wenn sie laut wurde im Zaum zu halten. Der Baronesse Interesse an der Zusammenkunft nahm jedoch schlagartig zu, als Baronin Geshla zunächst Kapitän Hakon bat, seinen Bericht über die bisherigen Erkenntnisse der Suche vorzutragen.
Nachdem bereits viele Stühle – vor allem am unteren Ende der Tafel, weit weg von der Baronin - besetzt waren, setzte sich auch Hochwürden Alexis an einen der freien Plätze in der Nähe Geshlas. Über die Baronin selbst hatte er noch nicht viel gehört, dafür umso mehr von ihrem Vater. Auch war er gespannt die Geschichte der Baroness von zu Vellberg zu hören und was sie hierher verschlug. Auch Alexis hatte die Zeit und vor allem das Angebot genutzt und während der verbliebenen Zeit ein Bad genommen. Sein Wappenrock war während dieser Zeit ebenfalls gereinigt worden, so dass er nun im gepflegten Zustand mit weißem Wappenrock über dem traditionellen Kettenhemd am Tisch saß.
Widerstreitende Meinungen
Geshla erhob sich, nachdem alle Herrschaften ihren Platz gefunden hatten. Wie bereits beim Essen hatte es keine Tischordnung gegeben sondern man konnte nachdem die Platten und Schalen entfernt worden waren, dort Platz nehmen wo man wollte. Diener brachten die gewünschten Getränke und eine gespannte Ruhe kehrte ein.
“Meine Herrschaften wir haben uns nun hier versammelt, um unsere Erkenntnisse über dieses Ungeheuer aus dem Darpat auszutauschen. Heute haben sich sowohl zu Lande als auch an Bord der Admiral Dozman einige von euch aufgemacht, um die noch frischen Hinweise über dieses Tier zu sammeln. Ich wäre dankbar, wenn daher zunächst ihr Kapitän Hakon von Sturmfels das Wort ergreifen könntet, um den Anwesenden die Ergebnisse eurer Fahrt zu präsentieren.” Sie nickte dem Kapitän auffordernd zu, während sie sich wieder setzte. Leomara verzog keine Miene. Liebend gerne hätte sie Geshla bei ihrer Rückkehr schon alles berichtet, doch die hatte es vorgezogen in ihrem Ankleidezimmer zu baden und sich diverser dringender Dinge zu widmen. Sie konnte sich gut vorstellen, was sie getan hatte. Ihre so genannte Zofe - als ob man so etwas bräuchte - war ohne Unterlass damit beschäftigt gewesen die Herrin herzurichten. Bliebe nur abzuwarten welchen der Herren sie sich dabei auserkoren hatte. Normalerweise suchte sie nach unverheirateten Raulschen Männern. Als der Kapitän sich dann erhob, nickte Leomara wie zur Bestätigung, ja, das könnte wohl der arme Tropf sein.
Mit einem Räuspern erhob sich der Seeoffizier und nickte den Anwesenden kurz zu. “Hochgeboren, die Fahrt hat nicht viel erbracht. Kaum mehr als wir in den letzten Tagen anderen Orts in Erfahrung bringen konnte. Dort ging etwas an Land, soviel steht fest. Wasserseitige Spuren könnten aber auch von einem Boot stammen. Wie ihre Hochgeboren, die Baroness, mir vorhin berichtete gab es landseitig etwas mehr. Dort fand sich eine Kuhle in der wohl ein Tier die Nacht verbracht haben könnte. Wohl zusammengerollt. Von der Größe etwa fünf Schritt. Aber auch das könnte einen anderen Ursprung haben. Zurück in Gnitzenkuhl trafen wir dann auf eine Gruppe Herumtreiber. Erzählten etwas von dem Untier, aber nicht mehr, als wir schon wussten.” Der Sturmfelser blickte in die Runde. “Wenn jemand etwas zu ergänzen hat, bitte. Ich selbst denke dort ist etwas, aber nicht annähernd so gefährlich wie in den Geschichten.” Nachdem er seine Einschätzung abgegeben hatte, setzte er sich wieder und nahm erst einmal einen kräftigen Schluck Wein.
Mit einem Räuspern machte sich der Vogt im Anschluss bei den Versammelten bemerkbar. “Die Gefahr, die von diesem Tier ausgeht verehrter Kapitän ist meiner Meinung nach schwer einzuschätzen, da man nicht weiß was es will. Was ist, wenn sein erklärtes Ziel ist, sagen wir …am Rothandfelsen Eier abzulegen, und damit den Fortbestand seiner Art zu sichern.” Er hob beschwichtigend die Hand, als Gemurmel laut wurde. “Das war natürlich ein völlig aus der Luft gegriffenes Beispiel meine Herrschaften, aber ich wollte damit nur zeigen, nur weil momentan noch kein belegter Fall aufgetreten ist, wo das Tier einen Menschen verletzt hat, heißt es nicht, das es nie so sein könnte.” Hier nahm er einen Schluck aus seinem Pokal, da die Stimme ein wenig rau geworden war. “Tatsache ist, dass unsere Fischer hier am liebsten schon gar nicht mehr bei Dunkelheit auf dem Darpat sein wollen. Und ich kann mir vorstellen, dass alle Baronien, die vom Handel entlang des Darpats und er Reichsstraße profitieren nicht willens sind auf Einnahmen in beträchtlicher Höhe zu verzichten, weil ein vielleicht eher kleines Untier sich die Darpatniederungen als neues Zuhause auserkoren hat. Wir müssen versuchen heraus zu finden was genau es denn ist, was hier sein Unwesen treibt. Vorher werden immer wieder solche Gruppen von Reisigen und Zwielichtigen die einfachen Bürger und Fischer aus der Fassung bringen mit ihren haarsträubenden Erzählungen. Kann man denn irgendwie herausfinden, ob es sich dabei um eine dämonische Erscheinung handelt? Immerhin es hinterlässt kaum oder keine Spuren, dass ist doch irgendwie seltsam. Selbst wenn man davon ausgeht, dass es versucht keine Spuren zu hinterlassen, ein Tier mit einer solchen Größe kann das willentlich doch gar nicht so beeinflussen, oder ist jemandem so eine Gestalt vom Hörensagen bekannt?” Der Isenbrunner setzte sich wieder nicht ohne ein anerkennendes Nicken von Seiten seiner Tochter zu erhalten.
“Der Markgraf entsandte die ‚Admiral Dozman’ eben aus diesen Gründen”, meldete sich Hakon erneut zu Wort. “Ich sage nur, dass es nicht annähernd so grausam und gefährlich ist, wie die Geschichten vermuten lassen. Glaubt mir, wenn es ein Monstrum aus der ‚Blutigen See’ wäre, wir hatten es alle bereits gemerkt. Nach allem was wir wissen, sucht es die Ufer auf und hat eine Vorliebe für Fisch. Das sollten wir nutzen und ihm eine Falle stellen. Umso eher kann alles wieder seinen gewohnten Gang nehmen.”
Taseco nahm einen Schluck Wein und erhob dann das Wort. “Der Kapitän hat Recht, und deswegen habe ich mich ihm angeschlossen. Handelt es sich um eine dem Herrn Efferd ungefällige Wesenheit, so will nicht ich, nicht Kapitän Hakon ruhen, ehe das Biest getötet wurde. In einer Sache muss ich Euch aber widersprechen, Hochgeboren.”, und er wandte sich direkt an den Vogt, “Ist es indes ein Geschöpf, welches für gewöhnlich in den Meeren und Flüssen des Launischen heimisch und nach seinem Willen geschaffen ist, und sucht es nur eine Stelle, seine Brut aufzuziehen, so ist daran nichts Übles. Kommen Menschen nachweislich zu Schaden, so soll das Untier erlegt werden. In diesem Fall möchte ich aber von Euch erbitten, eines der Eier des Tieres zu erhalten, damit ich dem Meer wiedergeben kann, was des Meeres ist.” Der Geweihte verstummte und taxierte den Vogt und die Baronin mit interessiertem Blick.
Die Baronin nickte dem Geweihten wohlwollend und zustimmend zu, wobei ihre Gesicht einen irritierten Eindruck machte.
Bevor der Vogt noch antworten konnte klopfte am anderen Ende der Tafel Marnion von Kelsenstein mit seinem Becher auf die Tafel, das es nur so schepperte und sprach mit einem freudigen Ausdruck im Gesicht. ,, Euer Hochwürden beantwortete meine Frage bevor ich sie aussprechen konnte. Ist es ein Wesen, so stellt es keine Gefahr für irgendeine Baronie am Darpat dar. Lässt es sich doch anscheinend leicht verscheuchen. Im Gegenteil, gerade wenn es aus der Blutigen See stammt, so zieht es sich vielleicht zurück in dieses ruhige Gewässer um seine Brut nicht den Unwesen seiner Heimat auszusetzen. So wir es töten, berauben wir uns damit nicht eines natürlichen Verbündeten im Kampfe gegen die Unwesen der Blutigen See? Auch wenn dem nicht so sei, so wäre dies Wesen sicher von Nutzen um die Menschen aufmerksam und vorsichtig werden zu lassen. Ein Leben ohne Gefahren macht nur schwach, faul und dumm. Wenn Kor und Rondra uns das nächste Mal prüfen, so wollen wir nicht fehlen, sondern immer bereit sein." Marnion war während seiner Rede aufgestanden und stetig lauter geworden. Nun schien er von seinem Eifer selbst überrascht zu sein und setzte sich leicht schwitzend wieder.
Leomara, die direkt zwischen Unswin und dem Kelsensteiner saß fühlte sich inzwischen regelrecht unwohl an ihrem Platz. Ihr Vater warf ihr vom anderen Ende der Tafel drohende Blicke zu und eine Geste der Ermahnung zur Ruhe an der Tafel war kaum zu übersehen. Sie hielt ihren Pokal derart fest umklammert, dass Beobachter auch vermuten könnten, sie würde ihn demnächst als Waffe benutzen.
Mit einem leichten Kopfschütteln nahm der Kapitän die Rede des Kelsensteiners zur Kenntnis. „Mir schien es bislang nicht so, als ob die Menschen in diesen Tagen zu wenige Gefahren kennen würden, Wohlgeboren. Ich weiß nicht wo Ihr in den Jahren seit der Rückkehr des Bethaniers gewesen seit. Ich für meinen Teil denke, dass die Bedrohung seitdem noch immer stark genug war.“ Er griff nach seinem Pokal und führte ihn schon zum Mund, während er noch überlegte, ob er es damit bewenden lassen sollte. Doch diese Nebachoten gingen ihm schon zu lange auf die Nerven. So konnte er sich eine weitere Bemerkung nicht verkneifen. „Wir waren aber stets auch ohne Bedrohungen stark genug. Euer Wohlgeboren sollte nicht den Fehler begehen und von den Schwächen einiger Völker ausgehen, die ob ihrer Selbstgefälligkeit die Gunst der Götter verloren.“
Unswin nutzte die kurze Pause die nach der Rede des Kapitäns entstand um sofort in dieselbe Kerbe zuschlagen. Ohne aufzustehen oder den gescholtenen Junker, der ihm direkt gegenüber saß anzublicken, prostete der Edelknappe dem Sturmfelser zu. „Euer Wohlgeboren, ich kann Euch nur zustimmen. Diese Gefahr sollte nicht einfach leichtfertig hingenommen werden. Immerhin sind wir Ritter und als solche für den Schutz der Schutzlosen verantwortlich. Seien wir an einen Lehnseid gebunden oder nicht. Sollte es jedoch dem einen oder anderen hier an Herausforderungen mangeln, den anempfehle ich wärmstens der Wacht im Finsterkamm. In meiner Heimat könnte sich derjenige dann auch aus erster Hand damit auseinandersetzen, welche Pflichten der Herr Praios einem jedem von uns mitgegeben hat.“ Nur bei seinen letzten Worten mochte dem aufmerksamen Beobachter auffallen, dass er Marnion einen unfreundlichen Seitenblick zuwarf, bevor er seinen Weinpokal energisch wieder abstellte.
Der Junker aus dem Raschtulswall hatte immer noch nicht genug. Anscheinend ungerührt entgegnete er in einem ruhigen Ton. "Ich danke Euch für Eure Belehrungen. Leider weiß ich nicht wo dieser Finsterkamm liegt, doch habe ich einiges gelernt in den Jahren hinter den Bergen im Nordosten. Wie es um die Stärke des Reiches bestellt ist weiß ich sehr wohl und habe mir auch Gedanken über die Worte gemacht die ich in jungen Jahren sprach. Die Schwachen zu schützen kann doch nicht heißen, ihre Körper ein paar Jahre davor zu bewahren von den Würmern oder einem Flussungeheuer angenagt zu werden, sondern ihre Seelen vor Gefahren zu schützen bis sie selbst stark genug sind für die letzte Schlacht. Unser Volk hatte die Gnade, das die Götter uns unsere Schwächen und Selbstgefälligkeit aufzeigten, damit wir die Chance haben uns davon zu befreien. Andere wähnen sich offenbar noch immer sicher in ihrer vermeintlichen Stärke, so dass wir doch die Selbstgefälligkeit nicht allein gepachtet haben, nicht wahr Kapitän?"
Selinde hatte die Ausführungen des Kapitäns wie des Knappen eher verwundert aufgenommen. Als ob es bei dieser Zusammenkunft nichts Wichtigeres gäbe, als sich zu profilieren und seinen Gegenüber dabei zu reizen! Nach einem vernehmbaren Seufzer ergriff die Baronesse das Wort und sprach mit bewusst gleichmütig klingender Stimme, während sie ihren Becher hob und scheinbar intensiv betrachtete: „Wenn die Herren damit fertig sind, einander ihrer Wertschätzung zu versichern und darauf hinzuweisen, in welchen Teilen des Reiches man ihres Schwertarmes noch bedarf, sollten wir mit den Überlegungen zu unserem weiteren Vorgehen fortfahren.“ Mit deutlich mehr Verve fuhr sie fort: „Tatsache ist, dass wir bisher – man möge mich korrigieren – nichts Handfestes herausgefunden haben: Keine aussagekräftigen Spuren, keine glaubwürdigen Augenzeugenberichte, sofern man die Ausführungen dieser Herumtreiber, auf die wir unterwegs trafen, nicht für bare Münze nehmen mag. Vielleicht ist es wirklich eine gute Idee, wie vom Herrn von Sturmfels vorgeschlagen, Köder in Form von Fischen an den bisherigen Sichtungsplätzen des Ungetüms auszulegen.“
Langsam und bedächtig wählte der Unswin nun seine Worte. Er hatte von seinem Herrn am Ende des Tisches einen mahnenden Blick erhalten und wusste ihn wohl zu deuten. Hier und jetzt war nicht der Ort und die Zeit für Streit. „Wir sollten jedoch auch bedenken, dass wir das Monster damit ermutigen immer wieder und öfter an Land zu gehen oder gar in die Dörfer einzudringen, wenn wir anfangen es zu füttern. Wenn wir Köder auslegen, was ich auch für die bislang beste Idee halte, müssen wir sicher sein genügend fähige Männer und Frauen zur Hand zu haben um dem Untier beim ersten Versuch den Gar aus zu machen. Zudem dürfte es sonst auch schwieriger werden dem Monster auf diese Weise habhaft zu werden da die Erfahrung zeigt, dass Wildtiere die einmal einer Falle entgangen sind später vorsichtiger vorgehen. Ich schlage deswegen vor höchstens drei Orte gleichzeitig für diese Fallen auszuwählen. Dafür würde ich zum einen den letzten Sichtungsplatz auswählen und zudem zwei Orte die sich je Flussab und Flussauf befinden. Wenn wir die Distanz abschätzen können die das Untier jede Nacht zurücklegt und davon ausgehen, dass es im Fluss bleibt, sollten sich zwei passende Hinterhalte finden lassen.“ Abwartend sah der Edelknappe in die Runde, ignorierte aber weiterhin den Junker von Kelsenstein.
„Es ist aber nicht damit getan“, sagte der Leutnant des Zornesordens, der sich nun in das Gespräch einschaltete, „dem Wesen, Untier, Monstrum, wie wir es auch immer nennen wollen, einen Köder auszulegen. Vielmehr müssen wir entscheiden, welchen Zweck die Falle erfüllen soll. Wollen wir feststellen um was es sich eigentlich handelt – es also nur beobachten? Oder soll es gewagt werden, ohne genaue Kenntnis über Art, Größe und Verhalten des Wesen es zu töten oder schließlich, was mir unter Umständen deutlich schwerer erscheint – es zu fangen ohne etwas Genaueres von ihm zu wissen?“ Nach dem weiteren Verlauf des Gespräches erschien eine weitere Antwort auf den Nebachoten fehl am Platz. Es stand ohnehin fest, dass dieses Volk alles mögliche, aber mit Sicherheit nie gelernt hatte, wie es seine Selbstgefälligkeit und seine anderen Schwächen hinter sich lässt. „Ich würde einen Platz empfehlen. Eine Gruppe an Land und die ‚Admiral Dozman’ unter mir bereit in der Nähe. Beide Gruppen mit abgeblendeten Sturmlaternen. Sobald wir sehen was es ist, ist es dann seiner Hochwürden zu entscheiden, was zu tun ist. Töten oder Leben lassen.“
Langsam aber bestimmt schüttelte Unswin den Kopf, als er den Vorschlag des Kapitäns hörte. Seiner Meinung nach konnte das nicht funktionieren. „Euer Wohlgeboren, Euer bestimmt gerechtfertigtes Vertrauen in Euer Schiff und Eure Mannschaft in allen Ehren. Doch ist es meine Befürchtung, die Präsenz der ‚Admiral Dozman’ dem Ziel der Aktion eher hinderlich wäre. Wie wir schon festgestellt haben handelt es sich hier wohl um eine Kreatur des Meeres. Das Wasser ist sein Element. Das Schiff jedoch ist ein nicht zu übersehender Störfaktor, dessen Nähe zum angedachten Hinterhalt das Untier eher verschrecken dürfte da es wie wir heute herausgefunden haben wohl deutlich kleiner ist als das Schiff. Deswegen halte ich eine komplett landgestützte Operation für Erfolg versprechender. Natürlich müsste man dabei verhindern, dass das Untier wieder im Schilfgürtel verschwindet sobald wir es daraus hervor gelockt haben.“
„Capitano Adelger, Eure Mannschaft vertraut Eurem Urteil und auch ich vertraue darin, wenn ich an Bord der ‚Admiral’ bin. Doch sei mir noch erlaubt zu sagen, dass ich aus militärischer Sicht ein Aufsplitten unserer eh schon sehr heterogenen Gruppe eher nicht befürworten würde obweil dies sicherlich je nach Typus der Mission hilfreich sein kann. Ihr sprecht jedoch eine bewaffnete Auseinandersetzung an, bei der, so ist meine Meinung, jegliche Kraft und Expertise – aller Wahrscheinlichkeit nach - in Konzentration benötigt werden wird.“
Eine einsame Entscheidung
Ob die Diskussion eine entscheidende Stelle erreicht hatte? Oder ob es schlicht die Tatsache war, dass Unswin, der schließlich nur ein Edelknappe war, Hakon von Sturmfels erneut widersprochen hatte, dass die Baronin zu Reden anhub, konnte man nur mutmaßen. Ritterin Leomara, die dazu schon ihre eigene Theorie hatte sah ihre schlimmsten Vermutungen nur bestätigt. Sobald die unangenehme und durchdringende Stimme erklang, war jedem klar, dass Geshla, scheinbar einigermaßen erbost ob des Verlaufs des bisherigen Gespräches, nicht vor hatte länger zu schweigen. Sie war genötigt ihren Blick, der bislang eher ihrem Tischnachbarn, dem Kapitän, gegolten hatte nun auch auf das unter Ende der Tafel schweifen zu lassen. Es war schwer erkennbar wem das kalte Funkeln ihrer Augen galt.
„Ich denke doch Knappe Unswin, dass es die Entscheidung des Kapitäns ist, was er für angemessen und sinnvoll hält im Kampf gegen dieses Geschöpf. Sicher weiß auch Hochwürden wie sich diese Kreatur am besten täuschen lässt. Eure Idee mit dem Köder ist einfach brillant“, hier strahlte sie förmlich vor Bewunderung Hakon an und befeuchtete, scheinbar ganz in Gedanken versunken, die Lippen, „doch ich frage mich wie man das bewerkstelligen soll?“
`Wie eine dumme Hofschranze!` schoss es Leomara durch den Kopf. Da sitzt sie da und schaut den Kapitän mit großen Kuhaugen an. Sicher, verlockende Lippen und einen Körper der eine Versuchung darstellt, eine Gesinnung die seiner nicht unähnlich ist, aber einfach zu…dumm, befand Leomara so aus der Ferne.
An Geshlas Seite regte sich der bislang in der Zuhörerrolle verweilende Vogt von Isenbrunn. „Aber Baronin, wenn ich kurz noch einmal unsere zuvor schon entworfenen Pläne ins Feld führen…“ Ein ungeduldiges Fuchteln mit ihrer Hand ließ ihn verstummen. Ein gefährliches Glitzern ihrer dunklen Augen war schlagartig dem verführerischen Lächeln gefolgt. „Wir hören nun erst einmal den weiteren Plänen zu die man hier entwickelt Isenbrunn.“
Unswin war deutlich anzusehen, was er von der Zurechtweisung durch die Baronin hielt. Er war puterrot im Gesicht und auf seiner Stirn pulsierte mit einem mal eine breite Ader. Im ersten Moment starrte er nur wütend auf die Tischplatte, sichtlich darum bemüht seine Fassung zu behalten. Als Geshla dann auch noch ihren Vogt abkanzelte befand Unswin, dass er hier und jetzt genug Worte verschwendet hatte. Geräuschvoll schob er seinen Stuhl zurück und erhob sich. „Euer Hochgeboren, ich danke Euch in Travias Namen für Speis und Trank. Da meine Meinung nicht länger gefragt zu sein scheint werde mich nun zurückziehen. Mein hoher Herr, ich werde später in meinem Quartier auf weitere Befehle warten.“ Er trat einen Schritt beiseite und verbeugte sich schließlich höfisch vor Leomara. „Ritterin von Isenbrunn, Ich danke Euch für Eure Gesellschaft und Aufmerksamkeit an diesem Abend. Ich empfehle mich.“ Sprachs, und wandte sich zur Tür, um den Raum stolz erhobenen Hauptes zu verlassen.
Hakon hatte ob seiner Ansprache als ‚Capitano’ eine Augenbraue hochgezogen und wollte gerade etwas auf Unswin erwidern, als die Baronin das Wort erhob. Er hatte schon einiges von ihr vernommen und das hier bestätigte nur das, was er zuvor gehört hatte. Vermutlich versuchte die Baronin, den Stand so stark zu betonen, weil sie dem Neuadel entstammte. Alter Adel würde anders handeln. Aber trotz allem, die Reaktion des Edelknappen empfand er als grob unhöflich und eines Mannes von Stand nicht angemessen. Wenn er mit einer solchen Zurechtweisung nicht umzugehen wusste, wie verhielt es sich dann mit Befehlen oder in anderen wichtigen Fragen? Aber das sollte nicht seine Sorge sein. Er beschloss das Ganze nicht weiter zu beachten. Es gab wichtigeres zu tun.
„Nun gut, was die Falle angeht. Ich denke eine Spur von Fischen, etwa zu der Mulde die gefunden wurde, wäre eine Möglichkeit. Dort dann etwas mehr. Die ‚Admiral Dozman’ würde sich dann in der Mitte des Darpat halten. Das ‚Untier’ ist den Fluss bis hier herauf gekommen. So befahren er ist, kann ein Schiff es nicht stören. Vor allem nicht, wenn es ruhig im Wasser liegt. Alles andere würde zur Frage führen, wie das Tier es bis hierher schaffen konnte. Was unsere Kräfte angeht. Mein Schiff verfügt über eine starke Besatzung, die erfahren darin ist, von den Planken eines Schiffes zu kämpfen. Sei es gegen Menschen oder Unkreaturen, wie es sie in der Blutigen See gibt. Kaum einer der nicht zuvor in der Cronmarine oder der Flotte des Reiches gedient hat und Erfahrungen in der ‚Blutigen See’ aufzuweisen hat. Eure Stärke“, er nickte dem Ritter von Schwertwacht zu, „und die der meisten anderen hier, dürfte hingegen eher im Kampf zu Land liegen. So gesehen würden wir die Kräfte gerade so aufteilen, wie es unserem Können entspricht.“
Wenn Alfred eines gelernt hatte, dann war es dies, Ruhe zu bewahren und angemessen zu reagieren – ein Punkt, der durchaus mit Unswin noch einmal diskutiert werden musste. „Euer Hochgeboren, Capitano. Die Stärke dieses Gremiums, welches Ihr, Hochgeboren von Gnitzenkuhl einberufen habt, ist das viele Kenntnisse, Erfahrungen und Meinungen an einem Tische vertreten sind. Als solches ist es nur natürlich, dass diese auch vorgebracht werden dürfen, damit die Herrin Hesinde uns alles Einsicht und Ruhe in der Findung einer Entscheidung schenken mag!“ Der Leutnant machte eine kurze Pause und fuhr dann fort, „In diesem Zusammenhang möchte ich meine Meinung in sofern revidieren, als dass eine gemeinsame Aktion von Land- und Seetruppen, wie sie der Herr Capitano vorgebracht hat durchaus von Erfolg gekrönt sein kann, so lange die beiden Gruppen miteinander kommunizieren können.“ Nochmals pausierte der Leutnant und blickte in die Runde der Anwesenden, „Ich gehe also recht in der Annahme, dass wir das Untier vernichten wollen, ohne vorher genauere Erkenntnisse über dessen Art in Erfahrung zu bringen?“
Leomara von Isenbrunn stand energisch am gegenüberliegenden Tischende auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr Gesicht drückte Unzufriedenheit aus. „Wenn wir erst das Tier sehen Ritter Alfred, werden wir uns schnell darüber im Klaren sein, um was es sich handelt. Nur als Beispiel: Ich sähe zumindest keinen Sinn darin auf eine sagen wir ein Schritt große Meeresschildkröte einzuhauen, wenn sie an Land käme. Hätte sie dahingegen 3 Köpfe, funkelnde Augen und waberte durchsichtig, würde ich keinen Moment zögern. Unsere Tarnung muss ja nur so lange aufrecht erhalten bleiben, bis wir ihrer ansichtig werden. Sobald wir wissen was es ist geben wir Laut.“ Sie gab ihre defensive Körperhaltung auf und stützte sich nun mit beiden Händen auf dem Tisch ab wobei sie die Gruppe der Reihe nach ins Auge fasste. Sie sah müde aus, aber dennoch schien die Sache hier wichtig genug zu sein, denn sie sprach eindrücklich weiter. „Wie lange wollen wir denn hier ausharren, und darauf warten, dass es sich hier noch einmal blicken lässt? Ich denke, dass ist das eigentliche Problem unserer Unternehmung, und ich muss eurem Edelknappen Unswin beipflichten, was seine Einschätzung der Wahrnehmung des Tieres angeht. Er berichtete mir von dieser Gruppe von Monsterjägern aus Gnitzenkuhl. Die Aussage eines Augenzeugen läßt auch darauf schließen, dass es sich da zeigt, wo es vermutet, dass es seine Ruhe hat. Und warum sollte es auf tote Fische reagieren, wenn es im Wasser um sich herum doch genügend lebende Beute findet? Ein Versuch ist diese Ködersache auf jeden Fall wert, doch so sie scheitert würde ich sagen müssen wir uns aufteilen und schlagkräftige Trupps bilden, die den Darpat flussauf- und flussabwärts entlang reiten und die aktuellen Sichtungen sammeln. Vielleicht handelt es sich ja auch nur um Aufwiegler, die hier ähnliche Verhältnisse wie in der Wildermark herbei wünschen.“ Ihre hellbraunen Augen schienen Feuer in Richtung des Nebachoten an ihrer Seite zu sprühen. Schwer aufseufzend setzte sie ihre Ausführungen dennoch fort. „Es gab ja offensichtlich nachdem es eine Tagesreise westlich von Gnitzenkuhl aufgetaucht ist schon wieder eine angebliche Sichtung in Sabadonn. Das würde bedeuten, dass es pro Tag sagen wir etwa 20 Meilen zurücklegt.“ Mit einem kurzen Nicken des Dankes an ihre Zuhörer setzte sie sich wieder und ließ sich ihren Pokal erneut mit Wein füllen.
"Wenn Ihr erlaubt, Euer Wohlgeboren von Isenbrunn würde ich gerne Eueren Plan noch weiter ausführen." Marnion von Kelsenstein ergriff abermals das Wort und zwinkerte der Ritterin zu, als er sich erhob. „Allerdings würde ich die Reihenfolge umkehren. Laßt uns doch erst aufklären und dann den Köder auslegen. Mit unseren Kräften können wir beidseits des Darpat flussauf und flußab eine Postenkette bilden, die eine Tagesreise zu Pferd in jede Richtung umfasst. Das müsste nach den bisherigen Sichtungen genügen. Wir lassen die Bevölkerung unsere Augen und Ohren sein. Wer eine heiße Spur hat, entzündet ein großes stark rauchendes Feuer das von den anderen Posten weiter gegeben wird. Alle streben in die Richtung aus der die Feuer kommen und die Admiral Dozman führt den Köder mit sich. So können wir uns verständigen und schnell Klarheit über das Wesen bekommen. Allein sollte es sich wider erwarten doch um das Werk von Aufrührern handeln, wäre es wohl ein denkbar schlechter Plan unsere Kräfte zu zersplittern." Mit einem letzten herausfordernden Blick zu der Ritterin setzte sich Marnion wieder.
Selinde hatte den Beiträgen der letzten Redner mit wachsendem Unmut gelauscht, den sie nur mit Mühe unterdrücken konnte. Wie manche Leute mehr ihre Eitelkeiten pflegten oder gerne mehr oder weniger große Spitzen verteilten ging der Edeldame – zu deren größten Tugenden die Geduld nicht gerade zählte – gehörig gegen den Strich. Erst die Worte Leomaras ließen sie aufhorchen: Endlich mal ein konkreter Vorschlag! Als die Rittsfrau geendet hatte, ergriff Selinde das Wort, beschränkte sich aber bei ihren Ausführungen wohlweislich auf das Nötigste, der dauernden Diskutiererei allmählich überdrüssig. „Ich kann der Dame von Isenbrunn nur beipflichten; ich finde ihre Vorschläge respektive Überlegungen sehr vernünftig und denke, dass wir so weiter verfahren sollten. Herr von Kelsenstein, auch Eure Idee hat durchaus was für sich, aber ich hege die, vielleicht unbegründete, Befürchtung, dass die Signalfeuer die Kreatur verscheuchen, noch bevor wir ihrer habhaft werden könnten.“
„Nun, wir für unseren Teil“, Hakon deutete auf den Diener Efferds an seiner Seite, „haben in den Tagen vor unserer Ankunft nichts anderes getan, als die Bevölkerung unsere Augen und Ohren sein zu lassen. Dabei sind wir auch weit herum gekommen. Bis auf Gerüchte war nie genaueres zu erfahren. Erst hier gab es Spuren, mit denen zumindest etwas anzufangen war.“ Der Seeritter beugte sich etwas weiter vor, um die Ritterin und den aufgeblasenen Nebachoten besser sehen zu können. „Euer Vorschlag mit den Posten am Fluss scheint mir darüber nicht sehr zielführend. Zum einen müsste zunächst Kontakt mit allen Baronen aufgenommen werden, da wir kaum über ihr Land verfügen können und diese auch nicht einfach über das Land ihrer Lehnsleute. Zum anderen, glaubt ihr nicht, dass wir schon lange etwas gehört hätten, wäre das Untier dort aufgetaucht? Die Nachricht hätte sich kaum langsamer als ein Leuchtfeuer verbreitet.“ Er hatte sich schon wieder zurückgelehnt, da schien ihm noch etwas einzufallen. „Ach ja, eines noch. Nur damit hier keine Missverständnisse entstehen. Ein Tier oder Untier welches im Wasser lebt, mag an einem Tag weit mehr als 20 Meilen hinter sich bringen.“
„Ich stimme dem Herrn von Sturmfels zu,“ meldete sich der andere Sturmfelser nun vom Ende des Tisches auch zu Wort. „Für eine große Jagd auf das Untier, fehlen uns schlicht und einfach die Möglichkeiten. Doch wenn wir es nicht finden oder verfolgen können, so können wir immer noch dafür sorgen, dass es uns findet. Und wenn die Kreatur tatsächlich so groß ist, wie die Bauern und Fischer behaupten, dann wird es sich wohl einen großen Fischhaufen nicht entgehen lassen wollen. Sagt, Wohlgeboren, ist Euer Schiff mit einem Aal und einer Seilwinde ausgestattet?“ Erst jetzt blickte der Junker von seinem geleerten Teller auf und ließ seinen Blick von der Baronin zum Seeritter schweifen.
„Hoher Herr, bitte“, er konnte sich einfach nicht an diese Anrede gewöhnen. Er wollte sich nicht anmaßen, was Männern wie seinem Vater oder seinem Brüder gebührte. „Die ‚Admiral Dozman’ verfügt über eine leichte Rotze und eine Hornisse. Zusätzlich haben wir Bögen an Bord.“
Nachdem die Pläne, die Roderick von Isenbrunn noch vorzutragen gedacht hatte, nicht ausgesprochen werden sollten, hatte er sich in seinem Stuhl zurück gelehnt. Gut, er würde schweigen. Sein Mienenspiel war unergründlich. Einzig die hellen blauen Augen folgten noch dem Gespräch. Seiner Tochter Leomara warf er bisweilen Blicke zu, deren Zweck einzig darin lag, sie zu bremsen in ihrem Drang den Unhöflichkeiten ein Ende zu bereiten und den sie flankierenden Junker von Kelsenstein zu einem kleinen sportlichen Wettkampf heraus zu fordern, wie es für sie durchaus typisch gewesen wäre. Ihre Mine nahm dabei einen immer verdrossener wirkenden Ausdruck an.
Baronin Geshla erhob sich und klatschte völlig unpassender Weise in die Hände, nachdem der Kapitän geendet hatte. Sie schien die bestehenden Unstimmigkeiten am Tisch völlig vergessen zu haben, und lächelte, als ob ein Sieg errungen worden sei. Mit gemäßigter Stimme, die vermutlich weich klingen sollte sprach sie alle Anwesenden an.
„Ich denke es hat sich eine mehrheitliche Meinung entwickelt. Da wir uns hier in meiner Baronie befinden, und der Hohe Herr von Sturmfels ganz richtig anmerkte, dass man ohne weitere Ankündigungen in anderen Baronien schlecht tätig werden kann, sollten wir doch morgen zunächst hier zur Tat schreiten.“ Der Vogt an ihrer Seite schaute verblüfft auf seine Baronin, sagte aber an dieser Stelle nichts weiter. „Man wird euch im Hafen alles Nötige zur Verfügung stellen, wendet euch nur an meinen Vogt, er wird euch zum Hafenmeister bringen, der euch das notwendige Zeug zur Falle geben kann. Ansonsten denke ich sollte man den morgigen Tag nach Errichten der Falle, oder sollten es nun mehrere werden…nun ja das liegt ganz in eurem Ermessen, man sollte den morgigen Tag vornehmlich mit Ruhen verbringen, da man die Nacht ja auf den jeweiligen Posten verbringt. Ich denke, ihr solltet euch nun noch einmal darüber austauschen, wer wo eine Wache zu übernehmen gedenkt.“
Sie setzte sich wieder hin und winkte den alten Diener heran. „Praiowyn, könntet ihr mir noch einmal von dem Wein nachschenken? Und bringt doch bitte noch von diesem leckeren Honiggebäck, ja?“ Etwas leiser fügte sie noch hinzu. „Die Spielleute sollen sich bereithalten, ich denke wir können uns bald wieder den schönen Dingen zuwenden.“ „Sehr wohl Euer Hochgeboren.“ Humpelnd entfernte sich der gebeugt gehende Mann, und verschwand durch die Tür, um seine Befehle auszuführen, so wie er es schon immer getan hatte.
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